Tr. Nun denn, Auktorität gegen Auktorität, Italiener gegen Italiener. Die Venezianer fallen wol ebenso schwer in die Waage wie die Floren- tiner. Unser staatskluger König D. Philipp II, der sich am besten in seinem Reich auf Gemälde verstand, hat er sich nicht Jahr aus Jahr ein die Bilder Tizians kommen lassen? Und obwol der hochselige Herr ebenso ökonomisch war, wie jener Alte von Cadore goldgierig, so sind sie doch immer gut Freund geblieben. Schon der unbesiegte Kaiser wollte nur von ihm gemalt sein. Und während jener den Pablo Veronese für den Escorial zu bekommen trachtete, hat er bereut Euern florentinischen Zuccaro gerufen zu haben und seine Bilder fortnehmen lassen. -- Ich sehe hier keinen Tizian, wol aber zwei schöne Bassano's. Das ist ein Thiermaler, so ausgezeichnet, dass es oft sicherer ist, seine Bestien nachzuahmen, als die auf dem Felde, weil er sie auf eine so leichte und praktische Manier gebracht hat. Stehen nicht seine Skizzen höher im Preis als die mühsam ausgeführten Werke andrer?
E. Ein grosser Maler, der Bassano! wer bezweifelt es? Von Hirtenstücken, Vieh auf der Weide; ein vortrefflicher Mann. Alle seine Figuren haben eine Tracht, die Volkstracht der Zeit, und die muss für alle Historien herhalten, wie auch dieselben Modelle für alle Figuren dienen. Denn der Greis, der Knabe, das Kind, das Weib, sind die- selben Gestalten, in allen Handlungen: und da gebraucht er freilich mehr Tuch als Nacktes, mehr Schuhe als Füsse, er zeigt kaum einen. Die Sachen sind das Entzücken der Bezahler; aber ich frage, was ist das Alles im Vergleich mit der Tiefe und Grossheit des Nackten eines Michelangelo! -- Das gebe ich zu, dass diese Venezianer ver- standen haben, Schule zu machen. Da haben wir unsern Pedro Orrente, einen wackeren Historienmaler, der indess entdeckte, dass er seine Rechnung besser finde auf den Pfaden des Bassano. Ich beeile mich hinzuzufügen, dass er seine eigene Manier hat, nach der Natur. Mit solchen Nachahmungen nähren sich viele Maler heutzutage. Des Bassano Art bleibt ja so zu sagen an den Leuten kleben, ohne dass sie sich besonders anzustrengen und viel zeichnen zu lernen brauchen [a. a. O. I, 410]. Das geht nicht so bei allen. In Rom verbietet man den Knaben nach Michelangelo zu zeichnen.
Tr. Von Tizian könnt Ihr das mit den Schuhen nicht sagen. Da seht seine Danae, seine beiden Dianen, seine Antiope, seine Venus, die Seine Majestät im Alcazar verborgen hält. Ist da vielleicht das lautere Schönheitsgold mit den erdigen Schlacken der Spinnerei und Schusterei versetzt? Hat nicht Euer Michelangelo selbst von ihm ge- sagt, als er S. Heiligkeit Paul III aufnahm, dass Er allein malen könne? Und ist Tizian nicht der Erfinder jener bestrickenden Manier, die heute
Anhang.
Tr. Nun denn, Auktorität gegen Auktorität, Italiener gegen Italiener. Die Venezianer fallen wol ebenso schwer in die Waage wie die Floren- tiner. Unser staatskluger König D. Philipp II, der sich am besten in seinem Reich auf Gemälde verstand, hat er sich nicht Jahr aus Jahr ein die Bilder Tizians kommen lassen? Und obwol der hochselige Herr ebenso ökonomisch war, wie jener Alte von Cadore goldgierig, so sind sie doch immer gut Freund geblieben. Schon der unbesiegte Kaiser wollte nur von ihm gemalt sein. Und während jener den Pablo Veronese für den Escorial zu bekommen trachtete, hat er bereut Euern florentinischen Zuccaro gerufen zu haben und seine Bilder fortnehmen lassen. — Ich sehe hier keinen Tizian, wol aber zwei schöne Bassano’s. Das ist ein Thiermaler, so ausgezeichnet, dass es oft sicherer ist, seine Bestien nachzuahmen, als die auf dem Felde, weil er sie auf eine so leichte und praktische Manier gebracht hat. Stehen nicht seine Skizzen höher im Preis als die mühsam ausgeführten Werke andrer?
E. Ein grosser Maler, der Bassano! wer bezweifelt es? Von Hirtenstücken, Vieh auf der Weide; ein vortrefflicher Mann. Alle seine Figuren haben eine Tracht, die Volkstracht der Zeit, und die muss für alle Historien herhalten, wie auch dieselben Modelle für alle Figuren dienen. Denn der Greis, der Knabe, das Kind, das Weib, sind die- selben Gestalten, in allen Handlungen: und da gebraucht er freilich mehr Tuch als Nacktes, mehr Schuhe als Füsse, er zeigt kaum einen. Die Sachen sind das Entzücken der Bezahler; aber ich frage, was ist das Alles im Vergleich mit der Tiefe und Grossheit des Nackten eines Michelangelo! — Das gebe ich zu, dass diese Venezianer ver- standen haben, Schule zu machen. Da haben wir unsern Pedro Orrente, einen wackeren Historienmaler, der indess entdeckte, dass er seine Rechnung besser finde auf den Pfaden des Bassano. Ich beeile mich hinzuzufügen, dass er seine eigene Manier hat, nach der Natur. Mit solchen Nachahmungen nähren sich viele Maler heutzutage. Des Bassano Art bleibt ja so zu sagen an den Leuten kleben, ohne dass sie sich besonders anzustrengen und viel zeichnen zu lernen brauchen [a. a. O. I, 410]. Das geht nicht so bei allen. In Rom verbietet man den Knaben nach Michelangelo zu zeichnen.
Tr. Von Tizian könnt Ihr das mit den Schuhen nicht sagen. Da seht seine Danae, seine beiden Dianen, seine Antiope, seine Venus, die Seine Majestät im Alcazar verborgen hält. Ist da vielleicht das lautere Schönheitsgold mit den erdigen Schlacken der Spinnerei und Schusterei versetzt? Hat nicht Euer Michelangelo selbst von ihm ge- sagt, als er S. Heiligkeit Paul III aufnahm, dass Er allein malen könne? Und ist Tizian nicht der Erfinder jener bestrickenden Manier, die heute
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Tr. Nun denn, Auktorität gegen Auktorität, Italiener gegen Italiener.
Die Venezianer fallen wol ebenso schwer in die Waage wie die Floren-
tiner. Unser staatskluger König D. Philipp II, der sich am besten
in seinem Reich auf Gemälde verstand, hat er sich nicht Jahr aus Jahr
ein die Bilder Tizians kommen lassen? Und obwol der hochselige Herr
ebenso ökonomisch war, wie jener Alte von Cadore goldgierig, so sind
sie doch immer gut Freund geblieben. Schon der unbesiegte Kaiser
wollte nur von ihm gemalt sein. Und während jener den Pablo Veronese
für den Escorial zu bekommen trachtete, hat er bereut Euern florentinischen
Zuccaro gerufen zu haben und seine Bilder fortnehmen lassen. — Ich
sehe hier keinen Tizian, wol aber zwei schöne Bassano’s. Das ist ein
Thiermaler, so ausgezeichnet, dass es oft sicherer ist, seine Bestien
nachzuahmen, als die auf dem Felde, weil er sie auf eine so leichte
und praktische Manier gebracht hat. Stehen nicht seine Skizzen höher
im Preis als die mühsam ausgeführten Werke andrer?
E. Ein grosser Maler, der Bassano! wer bezweifelt es? Von
Hirtenstücken, Vieh auf der Weide; ein vortrefflicher Mann. Alle seine
Figuren haben eine Tracht, die Volkstracht der Zeit, und die muss für
alle Historien herhalten, wie auch dieselben Modelle für alle Figuren
dienen. Denn der Greis, der Knabe, das Kind, das Weib, sind die-
selben Gestalten, in allen Handlungen: und da gebraucht er freilich
mehr Tuch als Nacktes, mehr Schuhe als Füsse, er zeigt kaum einen.
Die Sachen sind das Entzücken der Bezahler; aber ich frage, was ist
das Alles im Vergleich mit der Tiefe und Grossheit des Nackten
eines Michelangelo! — Das gebe ich zu, dass diese Venezianer ver-
standen haben, Schule zu machen. Da haben wir unsern Pedro Orrente,
einen wackeren Historienmaler, der indess entdeckte, dass er seine
Rechnung besser finde auf den Pfaden des Bassano. Ich beeile mich
hinzuzufügen, dass er seine eigene Manier hat, nach der Natur. Mit
solchen Nachahmungen nähren sich viele Maler heutzutage. Des Bassano
Art bleibt ja so zu sagen an den Leuten kleben, ohne dass sie sich
besonders anzustrengen und viel zeichnen zu lernen brauchen [a. a. O.
I, 410]. Das geht nicht so bei allen. In Rom verbietet man den
Knaben nach Michelangelo zu zeichnen.
Tr. Von Tizian könnt Ihr das mit den Schuhen nicht sagen.
Da seht seine Danae, seine beiden Dianen, seine Antiope, seine Venus,
die Seine Majestät im Alcazar verborgen hält. Ist da vielleicht das
lautere Schönheitsgold mit den erdigen Schlacken der Spinnerei und
Schusterei versetzt? Hat nicht Euer Michelangelo selbst von ihm ge-
sagt, als er S. Heiligkeit Paul III aufnahm, dass Er allein malen könne?
Und ist Tizian nicht der Erfinder jener bestrickenden Manier, die heute
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/118>, abgerufen am 21.11.2024.
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