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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Volksfiguren.
mischung geworden 1). Auch der Bildnissmaler Michel de
Mierevelt soll damit angefangen haben. Mit welchem Behagen
man das Treiben der niedern Klassen beobachtete, zeigt die oft
bis zum Läppischen und Unflätigen gehende Kleinmalerei der
Schelmenromane. Ihr gleichzeitiges Aufkommen ist gewiss nicht
zufällig. Im Geburtsjahr unseres Malers war das erste und beste
Werk dieser Art erschienen, der Guzman de Alfarache des
Sevillaners Mateo Aleman (wenn man von dem kleinen Vorspiel,
dem Lazarillo de Tormes des Mendoza (1553) absieht). Ihm folgte
1605 die Picara Justina des Perez de Leon, der Marcos de Obregon
des Vicente Espinel (1615) und viele andre. Wer die Erlebnisse
des unsterblichsten aller Ritter in den Ventas der Mancha und
unter den Hirten der Sierra morena hätte malen wollen, würde
in diesen Bodegones ein Vorbild gefunden haben. Wer in dor-
tigen Dörfern campirte, kann noch heute ihre Originale sehen
und hier den unverfälschten Geschmack altspanischen Wesens
geniessen, zu dem er, nach allen Qualen der Gegenwart, mit um
so mehr Behagen in der Erinnerung zurückkehrt.

Die Cabinetmaler des siebzehnten Jahrhunderts in Nieder-
land waren Virtuosen, die sich an ein reiches Publikum von
lockern Sitten und sehr feinem Geschmack wandten; die Komik
ihrer Bilder beruht zum Theil auf dem Kontrast des Gegen-
standes mit der unendlichen, und doch so geistreich versteckten
Kunst. In jenen spanischen Sittenbildern fällt zunächst nur die
blanke nüchterne Wahrheit auf. Von Majolicaschüsseln mit
Metallreflexen, Silbergeräth und Kunstschränken ist nichts darin
zu spüren. Sie sind mehr den ältern niederländischen Sachen des
Brueghel, des Beukelaer, jenes Aertsen verwandt, in welchen
das Volksleben gröber und reizloser, aber unmittelbarer und
bunter erscheint, als in der jüngeren Schule.

Der alte Herrera hatte diese bodegoncillos seinen Söhnen
gelehrt. Der eine, el Rubio, zeichnete auch Figürchen in der
Art Callot's; der später als Kirchenmaler berühmt gewordene
Francisco machte sich sogar in Rom einen Namen mit seinen
Fischstücken; er hiess dort der Fischhispanier (lo Spagnuolo
delle pesce)
. Die Altgesinnten sahen sauer auf diese plebejische
Kunst, und widerlegten die Maler der Fischmärkte bereits

1) Hij heeft hem begheven te maken Keuckens, met allerley goet en cost naet
leven, so eygentlijck alle de verwen treffende, dat het natuerlijck geleeck te wesen:
met welck veel te doen, hij wel den alder vasten Meester in zijn verwe vermenghen
oft temperen
is geweest, di men oyt heeft ghevonden. Het Schilder Boeck. f. 162 D.

Volksfiguren.
mischung geworden 1). Auch der Bildnissmaler Michel de
Mierevelt soll damit angefangen haben. Mit welchem Behagen
man das Treiben der niedern Klassen beobachtete, zeigt die oft
bis zum Läppischen und Unflätigen gehende Kleinmalerei der
Schelmenromane. Ihr gleichzeitiges Aufkommen ist gewiss nicht
zufällig. Im Geburtsjahr unseres Malers war das erste und beste
Werk dieser Art erschienen, der Guzman de Alfarache des
Sevillaners Mateo Aleman (wenn man von dem kleinen Vorspiel,
dem Lazarillo de Tormes des Mendoza (1553) absieht). Ihm folgte
1605 die Picara Justina des Perez de Leon, der Marcos de Obregon
des Vicente Espinel (1615) und viele andre. Wer die Erlebnisse
des unsterblichsten aller Ritter in den Ventas der Mancha und
unter den Hirten der Sierra morena hätte malen wollen, würde
in diesen Bodegones ein Vorbild gefunden haben. Wer in dor-
tigen Dörfern campirte, kann noch heute ihre Originale sehen
und hier den unverfälschten Geschmack altspanischen Wesens
geniessen, zu dem er, nach allen Qualen der Gegenwart, mit um
so mehr Behagen in der Erinnerung zurückkehrt.

Die Cabinetmaler des siebzehnten Jahrhunderts in Nieder-
land waren Virtuosen, die sich an ein reiches Publikum von
lockern Sitten und sehr feinem Geschmack wandten; die Komik
ihrer Bilder beruht zum Theil auf dem Kontrast des Gegen-
standes mit der unendlichen, und doch so geistreich versteckten
Kunst. In jenen spanischen Sittenbildern fällt zunächst nur die
blanke nüchterne Wahrheit auf. Von Majolicaschüsseln mit
Metallreflexen, Silbergeräth und Kunstschränken ist nichts darin
zu spüren. Sie sind mehr den ältern niederländischen Sachen des
Brueghel, des Beukelaer, jenes Aertsen verwandt, in welchen
das Volksleben gröber und reizloser, aber unmittelbarer und
bunter erscheint, als in der jüngeren Schule.

Der alte Herrera hatte diese bodegoncillos seinen Söhnen
gelehrt. Der eine, el Rubio, zeichnete auch Figürchen in der
Art Callot’s; der später als Kirchenmaler berühmt gewordene
Francisco machte sich sogar in Rom einen Namen mit seinen
Fischstücken; er hiess dort der Fischhispanier (lo Spagnuolo
delle pesce)
. Die Altgesinnten sahen sauer auf diese plebejische
Kunst, und widerlegten die Maler der Fischmärkte bereits

1) Hij heeft hem begheven te maken Keuckens, met allerley goet en cost naet
leven, so eygentlijck alle de verwen treffende, dat het natuerlijck geleeck te wesen:
met welck veel te doen, hij wel den alder vasten Meester in zijn verwe vermenghen
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is geweest, di men oyt heeft ghevonden. Het Schilder Boeck. f. 162 D.
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[127/0147] Volksfiguren. mischung geworden 1). Auch der Bildnissmaler Michel de Mierevelt soll damit angefangen haben. Mit welchem Behagen man das Treiben der niedern Klassen beobachtete, zeigt die oft bis zum Läppischen und Unflätigen gehende Kleinmalerei der Schelmenromane. Ihr gleichzeitiges Aufkommen ist gewiss nicht zufällig. Im Geburtsjahr unseres Malers war das erste und beste Werk dieser Art erschienen, der Guzman de Alfarache des Sevillaners Mateo Aleman (wenn man von dem kleinen Vorspiel, dem Lazarillo de Tormes des Mendoza (1553) absieht). Ihm folgte 1605 die Picara Justina des Perez de Leon, der Marcos de Obregon des Vicente Espinel (1615) und viele andre. Wer die Erlebnisse des unsterblichsten aller Ritter in den Ventas der Mancha und unter den Hirten der Sierra morena hätte malen wollen, würde in diesen Bodegones ein Vorbild gefunden haben. Wer in dor- tigen Dörfern campirte, kann noch heute ihre Originale sehen und hier den unverfälschten Geschmack altspanischen Wesens geniessen, zu dem er, nach allen Qualen der Gegenwart, mit um so mehr Behagen in der Erinnerung zurückkehrt. Die Cabinetmaler des siebzehnten Jahrhunderts in Nieder- land waren Virtuosen, die sich an ein reiches Publikum von lockern Sitten und sehr feinem Geschmack wandten; die Komik ihrer Bilder beruht zum Theil auf dem Kontrast des Gegen- standes mit der unendlichen, und doch so geistreich versteckten Kunst. In jenen spanischen Sittenbildern fällt zunächst nur die blanke nüchterne Wahrheit auf. Von Majolicaschüsseln mit Metallreflexen, Silbergeräth und Kunstschränken ist nichts darin zu spüren. Sie sind mehr den ältern niederländischen Sachen des Brueghel, des Beukelaer, jenes Aertsen verwandt, in welchen das Volksleben gröber und reizloser, aber unmittelbarer und bunter erscheint, als in der jüngeren Schule. Der alte Herrera hatte diese bodegoncillos seinen Söhnen gelehrt. Der eine, el Rubio, zeichnete auch Figürchen in der Art Callot’s; der später als Kirchenmaler berühmt gewordene Francisco machte sich sogar in Rom einen Namen mit seinen Fischstücken; er hiess dort der Fischhispanier (lo Spagnuolo delle pesce). Die Altgesinnten sahen sauer auf diese plebejische Kunst, und widerlegten die Maler der Fischmärkte bereits 1) Hij heeft hem begheven te maken Keuckens, met allerley goet en cost naet leven, so eygentlijck alle de verwen treffende, dat het natuerlijck geleeck te wesen: met welck veel te doen, hij wel den alder vasten Meester in zijn verwe vermenghen oft temperen is geweest, di men oyt heeft ghevonden. Het Schilder Boeck. f. 162 D.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/147>, abgerufen am 21.11.2024.