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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zwei Reisen nach Madrid.
einiger der fliessendsten und wolklingendsten Gedichte der Schule,
Liebeslieder im italienischen Geschmack des Herrera, und einer
"Epistel", in welcher er mit dem echten Accente des Selbster-
lebten dem desenganno Worte giebt, und mit Kummer der Jahre
gedenkt, wo er "in der alten Kolonie der Laster gelebt, ein
Augur der Mienen eines Günstlings". Da nennt er die Hoffnungen
des Hofs "Kerker wo der Ehrgeizige stirbt und dem Klügsten
graue Haare wachsen".

Damals lebte Rioja in der Nähe von S. Clemente, neben
einem schönen Garten, den Lope, im Jahre 1621 sein Gast, besang.
Er war ein Freund und Gesinnungsgenosse Pacheco's, der mehrere
seiner Dichtungen, die sich auf Malerisches beziehen, sowie einen
Discurs über die Vier Nägel, in seinem Buch aufbewahrt hat.
Darunter ist eine Umschreibung der Lampsonius'schen Verse
auf das Bildniss des Quinten Metsys und eine artige Ausführung
des Einfalls des Libanius von dem Maler, der ein Bild des Apollo
auf widerstrebendes Lorberholz (Daphne) malen wollte 1).

Dieser Hausfreund, der Velazquez bald nach Madrid folgte,
mag bei den Berathungen über den grossen Schritt das ent-
scheidende Wort gesprochen haben.

Man kann sich denken, dass der Schwiegervater, der Mann
ausgebreiteter Verbindungen, mit Empfehlungen an die bei Hof
ansässigen Sevillaner nicht gekargt hat. Unter denen, die den
jungen Mann in Madrid freundlich aufnahmen (agasajado) nennt
er die Brüder D. Luis und D. Melchor del Alcazar. Diese Fa-
milie zählt im sechszehnten Jahrhundert mehrere Berühmtheiten;
von diesen beiden ist indess wenig näheres bekannt. Sie sind
aber nicht zu verwechseln mit zwei gleichnamigen Männern,
die oft im "Malerbuch" angeführt werden und deren Lebensbe-
schreibung im Bildnisswerk steht. Melchor del Alcazar, geb. 1502,
war ein angesehener Jurist, einer der Veinticuatro und Vice-
castellan des Alcazar (teniente de Alcaide). Sein guter Stil er-
regte die Aufmerksamkeit Philipp II, der aber im mündlichen
Vortrag den "Sevillanischen Cicero" nicht wiedererkannte. Sein
Bruder war der Epigrammatiker Baltasar (S. 31). Der älteste der
sieben Söhne Melchor's war der gelehrte Jesuit Luis del Alcazar
(+ 1613). Von unserm Melchor erfährt man nur, dass er eben-
falls Dichter war (florido ingenio sevillano) und im sieben und
dreissigsten Jahre (1625) zu Madrid starb. Pacheco rückt ein

1) El Arte de la Pintura I, 429. II, 46. 151. 288. 319.
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Zwei Reisen nach Madrid.
einiger der fliessendsten und wolklingendsten Gedichte der Schule,
Liebeslieder im italienischen Geschmack des Herrera, und einer
„Epistel“, in welcher er mit dem echten Accente des Selbster-
lebten dem desengaño Worte giebt, und mit Kummer der Jahre
gedenkt, wo er „in der alten Kolonie der Laster gelebt, ein
Augur der Mienen eines Günstlings“. Da nennt er die Hoffnungen
des Hofs „Kerker wo der Ehrgeizige stirbt und dem Klügsten
graue Haare wachsen“.

Damals lebte Rioja in der Nähe von S. Clemente, neben
einem schönen Garten, den Lope, im Jahre 1621 sein Gast, besang.
Er war ein Freund und Gesinnungsgenosse Pacheco’s, der mehrere
seiner Dichtungen, die sich auf Malerisches beziehen, sowie einen
Discurs über die Vier Nägel, in seinem Buch aufbewahrt hat.
Darunter ist eine Umschreibung der Lampsonius’schen Verse
auf das Bildniss des Quinten Metsys und eine artige Ausführung
des Einfalls des Libanius von dem Maler, der ein Bild des Apollo
auf widerstrebendes Lorberholz (Daphne) malen wollte 1).

Dieser Hausfreund, der Velazquez bald nach Madrid folgte,
mag bei den Berathungen über den grossen Schritt das ent-
scheidende Wort gesprochen haben.

Man kann sich denken, dass der Schwiegervater, der Mann
ausgebreiteter Verbindungen, mit Empfehlungen an die bei Hof
ansässigen Sevillaner nicht gekargt hat. Unter denen, die den
jungen Mann in Madrid freundlich aufnahmen (agasajado) nennt
er die Brüder D. Luis und D. Melchor del Alcázar. Diese Fa-
milie zählt im sechszehnten Jahrhundert mehrere Berühmtheiten;
von diesen beiden ist indess wenig näheres bekannt. Sie sind
aber nicht zu verwechseln mit zwei gleichnamigen Männern,
die oft im „Malerbuch“ angeführt werden und deren Lebensbe-
schreibung im Bildnisswerk steht. Melchor del Alcázar, geb. 1502,
war ein angesehener Jurist, einer der Veinticuatro und Vice-
castellan des Alcazar (teniente de Alcaide). Sein guter Stil er-
regte die Aufmerksamkeit Philipp II, der aber im mündlichen
Vortrag den „Sevillanischen Cicero“ nicht wiedererkannte. Sein
Bruder war der Epigrammatiker Baltasar (S. 31). Der älteste der
sieben Söhne Melchor’s war der gelehrte Jesuit Luis del Alcazar
(† 1613). Von unserm Melchor erfährt man nur, dass er eben-
falls Dichter war (flórido ingenio sevillano) und im sieben und
dreissigsten Jahre (1625) zu Madrid starb. Pacheco rückt ein

1) El Arte de la Pintura I, 429. II, 46. 151. 288. 319.
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[161/0181] Zwei Reisen nach Madrid. einiger der fliessendsten und wolklingendsten Gedichte der Schule, Liebeslieder im italienischen Geschmack des Herrera, und einer „Epistel“, in welcher er mit dem echten Accente des Selbster- lebten dem desengaño Worte giebt, und mit Kummer der Jahre gedenkt, wo er „in der alten Kolonie der Laster gelebt, ein Augur der Mienen eines Günstlings“. Da nennt er die Hoffnungen des Hofs „Kerker wo der Ehrgeizige stirbt und dem Klügsten graue Haare wachsen“. Damals lebte Rioja in der Nähe von S. Clemente, neben einem schönen Garten, den Lope, im Jahre 1621 sein Gast, besang. Er war ein Freund und Gesinnungsgenosse Pacheco’s, der mehrere seiner Dichtungen, die sich auf Malerisches beziehen, sowie einen Discurs über die Vier Nägel, in seinem Buch aufbewahrt hat. Darunter ist eine Umschreibung der Lampsonius’schen Verse auf das Bildniss des Quinten Metsys und eine artige Ausführung des Einfalls des Libanius von dem Maler, der ein Bild des Apollo auf widerstrebendes Lorberholz (Daphne) malen wollte 1). Dieser Hausfreund, der Velazquez bald nach Madrid folgte, mag bei den Berathungen über den grossen Schritt das ent- scheidende Wort gesprochen haben. Man kann sich denken, dass der Schwiegervater, der Mann ausgebreiteter Verbindungen, mit Empfehlungen an die bei Hof ansässigen Sevillaner nicht gekargt hat. Unter denen, die den jungen Mann in Madrid freundlich aufnahmen (agasajado) nennt er die Brüder D. Luis und D. Melchor del Alcázar. Diese Fa- milie zählt im sechszehnten Jahrhundert mehrere Berühmtheiten; von diesen beiden ist indess wenig näheres bekannt. Sie sind aber nicht zu verwechseln mit zwei gleichnamigen Männern, die oft im „Malerbuch“ angeführt werden und deren Lebensbe- schreibung im Bildnisswerk steht. Melchor del Alcázar, geb. 1502, war ein angesehener Jurist, einer der Veinticuatro und Vice- castellan des Alcazar (teniente de Alcaide). Sein guter Stil er- regte die Aufmerksamkeit Philipp II, der aber im mündlichen Vortrag den „Sevillanischen Cicero“ nicht wiedererkannte. Sein Bruder war der Epigrammatiker Baltasar (S. 31). Der älteste der sieben Söhne Melchor’s war der gelehrte Jesuit Luis del Alcazar († 1613). Von unserm Melchor erfährt man nur, dass er eben- falls Dichter war (flórido ingenio sevillano) und im sieben und dreissigsten Jahre (1625) zu Madrid starb. Pacheco rückt ein 1) El Arte de la Pintura I, 429. II, 46. 151. 288. 319. 11

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/181>, abgerufen am 26.11.2024.