Der Schwerpunkt indess seiner Thätigkeit in diesen merk- würdigen Monaten lag nicht in den Bildnissen oder Historien. Er erbat sich vom Könige die Erlaubniss, die Tizians des Schlosses für sich kopiren zu dürfen. Mit Staunen sah Philipp zu, wie unter den Händen dieses seltensten unter den tausenden von Kopisten aller Nationen, welche sie seit Jahrhunderten belagern, eines nach dem andern dieser durch die Zeit schon etwas ge- dämpften Prachtstücke neu erstand, immer um einige Grade er- höht in Brillanz der Farbe und des Lichts, belebt im Ausdruck und vergröbert in den Formen. Der König konnte sich nicht satt daran sehen, er hat später, obwol er die Originale besass, aus Rubens Nachlass eine Anzahl dieser Kopien ankaufen lassen.
Pacheco nennt fünf grosse Mythologien nebst dem "Sünden- fall", und sechs Bildnisse; aber diess ist nur die Hälfte. Gewiss ein merkwürdiger Beweis seiner Verehrung des venezianischen Meisters, einer Verehrung, die ebenso warm wie treu war. Denn er hatte bereits vor einem Vierteljahrhundert diese Samm- lung in Italien begonnen: in Rom kopirte er bei den Ludovisi die beiden Bacchanalien (jetzt in Stockholm: vielleicht die vor- züglichsten), in Florenz den Cardinal Hippolyt von Medici, in Mantua die beiden Bildnisse der Isabella von Este. Sein Wunsch scheint gewesen zu sein, in der fürstlichen Wohnung zu Ant- werpen sich mit dem ganzen Werk Tizians zu umgeben; auch zehn Originale Tizians besass er, oder glaubte sie zu besitzen 1). Andere Maler hätten sich mit kleinen Skizzen beholfen, ihm war nichts leicht als das Grosse (Sainsbury S. 61). Das befremdliche ist, wie ein Künstler, längst gewohnt im Strom des Schaffens zu leben, hierzu die Selbstverleugnung und Geduld findet; nicht weniger seltsam, aber bezeichnend ist es, dass er in jener Fund- grube malerischer Motive, die Spanien damals noch mehr war als heute, sich mit alten italienischen Bildern Monatelang ein- schliesst, ohne der Umgebung einen Blick zu schenken. Aber Rubens war der Sohn seines Jahrhunderts, eines Jahrhunderts der Epigonen, wenigstens in den Ländern romanischer Zunge. Wie die Caracci, deren Grundsätze auch er, nur mit mehr Geist befolgte, suchte er die Quelle wahrer Kunst mehr in den Mustern der Vorzeit als in der lebendigen Natur. Bei solcher Fruchtbar- keit wäre letzteres auch ein viel zu umständlicher Weg gewesen.
1) Sainsbury a. a. O. 236 ff.
Rubens in Madrid.
Der Schwerpunkt indess seiner Thätigkeit in diesen merk- würdigen Monaten lag nicht in den Bildnissen oder Historien. Er erbat sich vom Könige die Erlaubniss, die Tizians des Schlosses für sich kopiren zu dürfen. Mit Staunen sah Philipp zu, wie unter den Händen dieses seltensten unter den tausenden von Kopisten aller Nationen, welche sie seit Jahrhunderten belagern, eines nach dem andern dieser durch die Zeit schon etwas ge- dämpften Prachtstücke neu erstand, immer um einige Grade er- höht in Brillanz der Farbe und des Lichts, belebt im Ausdruck und vergröbert in den Formen. Der König konnte sich nicht satt daran sehen, er hat später, obwol er die Originale besass, aus Rubens Nachlass eine Anzahl dieser Kopien ankaufen lassen.
Pacheco nennt fünf grosse Mythologien nebst dem „Sünden- fall“, und sechs Bildnisse; aber diess ist nur die Hälfte. Gewiss ein merkwürdiger Beweis seiner Verehrung des venezianischen Meisters, einer Verehrung, die ebenso warm wie treu war. Denn er hatte bereits vor einem Vierteljahrhundert diese Samm- lung in Italien begonnen: in Rom kopirte er bei den Ludovisi die beiden Bacchanalien (jetzt in Stockholm: vielleicht die vor- züglichsten), in Florenz den Cardinal Hippolyt von Medici, in Mantua die beiden Bildnisse der Isabella von Este. Sein Wunsch scheint gewesen zu sein, in der fürstlichen Wohnung zu Ant- werpen sich mit dem ganzen Werk Tizians zu umgeben; auch zehn Originale Tizians besass er, oder glaubte sie zu besitzen 1). Andere Maler hätten sich mit kleinen Skizzen beholfen, ihm war nichts leicht als das Grosse (Sainsbury S. 61). Das befremdliche ist, wie ein Künstler, längst gewohnt im Strom des Schaffens zu leben, hierzu die Selbstverleugnung und Geduld findet; nicht weniger seltsam, aber bezeichnend ist es, dass er in jener Fund- grube malerischer Motive, die Spanien damals noch mehr war als heute, sich mit alten italienischen Bildern Monatelang ein- schliesst, ohne der Umgebung einen Blick zu schenken. Aber Rubens war der Sohn seines Jahrhunderts, eines Jahrhunderts der Epigonen, wenigstens in den Ländern romanischer Zunge. Wie die Caracci, deren Grundsätze auch er, nur mit mehr Geist befolgte, suchte er die Quelle wahrer Kunst mehr in den Mustern der Vorzeit als in der lebendigen Natur. Bei solcher Fruchtbar- keit wäre letzteres auch ein viel zu umständlicher Weg gewesen.
1) Sainsbury a. a. O. 236 ff.
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Rubens in Madrid.
Der Schwerpunkt indess seiner Thätigkeit in diesen merk-
würdigen Monaten lag nicht in den Bildnissen oder Historien.
Er erbat sich vom Könige die Erlaubniss, die Tizians des Schlosses
für sich kopiren zu dürfen. Mit Staunen sah Philipp zu, wie
unter den Händen dieses seltensten unter den tausenden von
Kopisten aller Nationen, welche sie seit Jahrhunderten belagern,
eines nach dem andern dieser durch die Zeit schon etwas ge-
dämpften Prachtstücke neu erstand, immer um einige Grade er-
höht in Brillanz der Farbe und des Lichts, belebt im Ausdruck
und vergröbert in den Formen. Der König konnte sich nicht
satt daran sehen, er hat später, obwol er die Originale besass,
aus Rubens Nachlass eine Anzahl dieser Kopien ankaufen
lassen.
Pacheco nennt fünf grosse Mythologien nebst dem „Sünden-
fall“, und sechs Bildnisse; aber diess ist nur die Hälfte. Gewiss
ein merkwürdiger Beweis seiner Verehrung des venezianischen
Meisters, einer Verehrung, die ebenso warm wie treu war.
Denn er hatte bereits vor einem Vierteljahrhundert diese Samm-
lung in Italien begonnen: in Rom kopirte er bei den Ludovisi
die beiden Bacchanalien (jetzt in Stockholm: vielleicht die vor-
züglichsten), in Florenz den Cardinal Hippolyt von Medici, in
Mantua die beiden Bildnisse der Isabella von Este. Sein Wunsch
scheint gewesen zu sein, in der fürstlichen Wohnung zu Ant-
werpen sich mit dem ganzen Werk Tizians zu umgeben; auch
zehn Originale Tizians besass er, oder glaubte sie zu besitzen 1).
Andere Maler hätten sich mit kleinen Skizzen beholfen, ihm war
nichts leicht als das Grosse (Sainsbury S. 61). Das befremdliche
ist, wie ein Künstler, längst gewohnt im Strom des Schaffens
zu leben, hierzu die Selbstverleugnung und Geduld findet; nicht
weniger seltsam, aber bezeichnend ist es, dass er in jener Fund-
grube malerischer Motive, die Spanien damals noch mehr war
als heute, sich mit alten italienischen Bildern Monatelang ein-
schliesst, ohne der Umgebung einen Blick zu schenken. Aber
Rubens war der Sohn seines Jahrhunderts, eines Jahrhunderts
der Epigonen, wenigstens in den Ländern romanischer Zunge.
Wie die Caracci, deren Grundsätze auch er, nur mit mehr Geist
befolgte, suchte er die Quelle wahrer Kunst mehr in den Mustern
der Vorzeit als in der lebendigen Natur. Bei solcher Fruchtbar-
keit wäre letzteres auch ein viel zu umständlicher Weg gewesen.
1) Sainsbury a. a. O. 236 ff.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/267>, abgerufen am 22.11.2024.
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