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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
dunklen Taverne zu sitzen, die durch ein Fenster links erleuchtet
wird. Das hellste Licht ist gesammelt auf die Hauptfigur, deren
Hautweisse es zurückstrahlt. Damit kontrastiren die vier wetter-
gebräunten Häupter in scharfer, wie gemeisselter Modellirung,
ihre Licht einsaugenden, vertragenen, braunen und gelben Män-
tel und Wämser. Endlich folgen vier Figuren im Schatten, aus
dem einige helle Nasenspitzen und Stirnhöcker auftauchen.

Wer den Maler im Nackten beurtheilen will, muss sich
diesen jugendlich weichen obwol robusten Bacchuskörper ansehn.
Der überschneidende Arm, das vortretende Knie, der vom Reflex
des rothen Mantels beleuchtete Unterschenkel, -- hier muss man
sagen, dass er in diesem Stück kaum noch etwas zu lernen hatte;
Vertrautheit mit dem organischen Gefüge gesellt sich zur Wahr-
heit des Scheins, der natürlichen Zartheit einer jugendlichen
Hülle, ihrer farbigen Frische und ihrem Glanz.

Die schwache Seite der Malerei sind die Schatten und die
dunkeln Stoffe. Die Untermalung mit Rothbraun hat mehreren
Theilen, ja ganzen Figuren in der Modellirung geschadet. Der
kauernde Zapfer ist fast nur Silhouette. Die Blätter des Wein-
stocks sind dicke braune Massen. Auch der Hintergrund hat die
Haltung verloren. Hier dürfte aber wol durch Reinigung Ab-
hülfe geschafft werden können.

Verglichen mit späteren Historien fällt die Beengung im
Raum auf. Die dicht zusammenhockenden Figuren sind stark
nach vorn gedrängt, sie haben keinen Raum um sich (keine
respiracion), weder vor, noch über, und scheinbar auch nicht
hinter sich, denn der jetzige Grund wirkt wie eine blaugetünchte
Wand. Man könnte fragen, ob der Vorgang nicht anfangs in
einem Gewölbe gedacht sei; wirklich ist die Gebirgslandschaft
nachträglich um die Figuren herumgemalt und ganz in der Art
der spätern Reiterbilder.

Doch ist der Gesammteindruck durch diese Nachdunklung
wenig gestört. Da die Hauptfiguren mit ihren breiten Lichtpar-
tien in voller Kraft bestehen, so gewinnen sie sogar durch den
Kontrast mit jenen gesunkenen Flächen.

Auch die Komposition ist wolerwogen. Die Rundung des
engen Kreises, der strahlende nackte Gott neben den beman-
telten Alten, der Schenke als Abschieber, die Gruppe des Herzu-
tretenden mit dem Musikanten, welche die Reihe einrahmend
abschliesst, der Contrapost des zurückgelehnten Begleiters mit
dem vorgebeugten Knienden, und dergleichen mehr verrathen

Zweites Buch.
dunklen Taverne zu sitzen, die durch ein Fenster links erleuchtet
wird. Das hellste Licht ist gesammelt auf die Hauptfigur, deren
Hautweisse es zurückstrahlt. Damit kontrastiren die vier wetter-
gebräunten Häupter in scharfer, wie gemeisselter Modellirung,
ihre Licht einsaugenden, vertragenen, braunen und gelben Män-
tel und Wämser. Endlich folgen vier Figuren im Schatten, aus
dem einige helle Nasenspitzen und Stirnhöcker auftauchen.

Wer den Maler im Nackten beurtheilen will, muss sich
diesen jugendlich weichen obwol robusten Bacchuskörper ansehn.
Der überschneidende Arm, das vortretende Knie, der vom Reflex
des rothen Mantels beleuchtete Unterschenkel, — hier muss man
sagen, dass er in diesem Stück kaum noch etwas zu lernen hatte;
Vertrautheit mit dem organischen Gefüge gesellt sich zur Wahr-
heit des Scheins, der natürlichen Zartheit einer jugendlichen
Hülle, ihrer farbigen Frische und ihrem Glanz.

Die schwache Seite der Malerei sind die Schatten und die
dunkeln Stoffe. Die Untermalung mit Rothbraun hat mehreren
Theilen, ja ganzen Figuren in der Modellirung geschadet. Der
kauernde Zapfer ist fast nur Silhouette. Die Blätter des Wein-
stocks sind dicke braune Massen. Auch der Hintergrund hat die
Haltung verloren. Hier dürfte aber wol durch Reinigung Ab-
hülfe geschafft werden können.

Verglichen mit späteren Historien fällt die Beengung im
Raum auf. Die dicht zusammenhockenden Figuren sind stark
nach vorn gedrängt, sie haben keinen Raum um sich (keine
respiracion), weder vor, noch über, und scheinbar auch nicht
hinter sich, denn der jetzige Grund wirkt wie eine blaugetünchte
Wand. Man könnte fragen, ob der Vorgang nicht anfangs in
einem Gewölbe gedacht sei; wirklich ist die Gebirgslandschaft
nachträglich um die Figuren herumgemalt und ganz in der Art
der spätern Reiterbilder.

Doch ist der Gesammteindruck durch diese Nachdunklung
wenig gestört. Da die Hauptfiguren mit ihren breiten Lichtpar-
tien in voller Kraft bestehen, so gewinnen sie sogar durch den
Kontrast mit jenen gesunkenen Flächen.

Auch die Komposition ist wolerwogen. Die Rundung des
engen Kreises, der strahlende nackte Gott neben den beman-
telten Alten, der Schenke als Abschieber, die Gruppe des Herzu-
tretenden mit dem Musikanten, welche die Reihe einrahmend
abschliesst, der Contrapost des zurückgelehnten Begleiters mit
dem vorgebeugten Knienden, und dergleichen mehr verrathen

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[260/0286] Zweites Buch. dunklen Taverne zu sitzen, die durch ein Fenster links erleuchtet wird. Das hellste Licht ist gesammelt auf die Hauptfigur, deren Hautweisse es zurückstrahlt. Damit kontrastiren die vier wetter- gebräunten Häupter in scharfer, wie gemeisselter Modellirung, ihre Licht einsaugenden, vertragenen, braunen und gelben Män- tel und Wämser. Endlich folgen vier Figuren im Schatten, aus dem einige helle Nasenspitzen und Stirnhöcker auftauchen. Wer den Maler im Nackten beurtheilen will, muss sich diesen jugendlich weichen obwol robusten Bacchuskörper ansehn. Der überschneidende Arm, das vortretende Knie, der vom Reflex des rothen Mantels beleuchtete Unterschenkel, — hier muss man sagen, dass er in diesem Stück kaum noch etwas zu lernen hatte; Vertrautheit mit dem organischen Gefüge gesellt sich zur Wahr- heit des Scheins, der natürlichen Zartheit einer jugendlichen Hülle, ihrer farbigen Frische und ihrem Glanz. Die schwache Seite der Malerei sind die Schatten und die dunkeln Stoffe. Die Untermalung mit Rothbraun hat mehreren Theilen, ja ganzen Figuren in der Modellirung geschadet. Der kauernde Zapfer ist fast nur Silhouette. Die Blätter des Wein- stocks sind dicke braune Massen. Auch der Hintergrund hat die Haltung verloren. Hier dürfte aber wol durch Reinigung Ab- hülfe geschafft werden können. Verglichen mit späteren Historien fällt die Beengung im Raum auf. Die dicht zusammenhockenden Figuren sind stark nach vorn gedrängt, sie haben keinen Raum um sich (keine respiracion), weder vor, noch über, und scheinbar auch nicht hinter sich, denn der jetzige Grund wirkt wie eine blaugetünchte Wand. Man könnte fragen, ob der Vorgang nicht anfangs in einem Gewölbe gedacht sei; wirklich ist die Gebirgslandschaft nachträglich um die Figuren herumgemalt und ganz in der Art der spätern Reiterbilder. Doch ist der Gesammteindruck durch diese Nachdunklung wenig gestört. Da die Hauptfiguren mit ihren breiten Lichtpar- tien in voller Kraft bestehen, so gewinnen sie sogar durch den Kontrast mit jenen gesunkenen Flächen. Auch die Komposition ist wolerwogen. Die Rundung des engen Kreises, der strahlende nackte Gott neben den beman- telten Alten, der Schenke als Abschieber, die Gruppe des Herzu- tretenden mit dem Musikanten, welche die Reihe einrahmend abschliesst, der Contrapost des zurückgelehnten Begleiters mit dem vorgebeugten Knienden, und dergleichen mehr verrathen

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/286>, abgerufen am 22.11.2024.