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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Borrachos.
eine Menge Ueberlegungen, die sich hinter dem Schein des Zu-
fälligen verbergen.

Das Bild bezeichnet also einen Höhepunkt. In Kraft,
Bestimmtheit und morbidezza der Modellirung, in Plastik der Ge-
stalten, im Wechsel der Beleuchtungsgrade, in Ausdruck und
Leben der Züge gab es eigentlich keinen Schritt darüber hinaus.
Warum war das Bild also das erste und letzte seiner Art? Wäre
so etwas damals in Niederland gemalt worden, so würde heute
wahrscheinlich jede Galerie ihre Borrachos besitzen. Liebhaber
und Kunsthändler würden geschworen haben, dieser Maler dürfe
und könne nie etwas anderes malen als Bacchanalien, und er
wäre damit ein reicher Mann geworden. Aber Velazquez fand
an Selbstwiederholungen keinen Geschmack, auch wenn seine
Stellung ihm gewinnbringende Ausnutzung seiner Erfindungen
erlaubt hätte. Niemals wieder hat er eine Kneipe gemalt. Die
Verehrer des Bildes mussten sich also mit Wiederholungen und
Kopien zufrieden geben 1).

Es giebt zwei Wiederholungen, die beide in mehr als einer Be-
ziehung noch ungelöste Räthsel sind. Das eine ist das Bild im
Museum zu Neapel, in der Grösse des Originals. Viele Gemälde-
freunde verdanken ihm ihren einzigen, unvergesslichen Eindruck
von dem unvergleichlichen Genie des spanischen Malers. Es ist in
einer mir sonst nicht vorgekommenen Guachetechnik gearbeitet;
die Pigmente sind in einer teigartigen Masse stückweis auf Lein-
wand aufgetragen, die Stücke soviel als möglich einer Farbe ent-
sprechend, ringsum bemerkt man erhöhte Rändchen. Nicht min-
der merkwürdig ist, dass man selbst mit der Photographie des
Originals in der Hand nichts von den Merkmalen einer Kopie ent-
decken kann; ja noch mehr, die hellere und echt velazquische
Haltung scheint ursprünglicher als in dem nachgedunkelten Ori-
ginal in Madrid, dessen getrübte Theile, besonders die Land-
schaft, man nach dieser Wiederholung ergänzen kann. Es scheint

1) Das Gemälde wurde später aus dem königlichen Schlafgemach in die alte
Nordgalerie versetzt und bei des Königs Tode zu dreihundert Dukaten taxirt.
1686 steigt es auf 400, 1702 nach dem Tod Carl II auf 200 Dublonen = 24000 Rea-
len. Nach dem Brand erscheint es ohne Rahmen, hatte also vermuthlich gelitten;
es kommt nach Buen Retiro, kehrt unter Carl III in den neuen Palast zurück, wo
es Goya 1780 auf 40000 Realen schätzt. Letzterer hat es radirt, und Mengs
Schwiegersohn Carmona in Kupfer gestochen, aber nicht in seiner guten pariser,
sondern in seiner schlechten spanischen Manier; keines von beiden Blättern giebt
den Charakter der Zeichnung wieder. -- Grösse: 165 x 225.

Die Borrachos.
eine Menge Ueberlegungen, die sich hinter dem Schein des Zu-
fälligen verbergen.

Das Bild bezeichnet also einen Höhepunkt. In Kraft,
Bestimmtheit und morbidezza der Modellirung, in Plastik der Ge-
stalten, im Wechsel der Beleuchtungsgrade, in Ausdruck und
Leben der Züge gab es eigentlich keinen Schritt darüber hinaus.
Warum war das Bild also das erste und letzte seiner Art? Wäre
so etwas damals in Niederland gemalt worden, so würde heute
wahrscheinlich jede Galerie ihre Borrachos besitzen. Liebhaber
und Kunsthändler würden geschworen haben, dieser Maler dürfe
und könne nie etwas anderes malen als Bacchanalien, und er
wäre damit ein reicher Mann geworden. Aber Velazquez fand
an Selbstwiederholungen keinen Geschmack, auch wenn seine
Stellung ihm gewinnbringende Ausnutzung seiner Erfindungen
erlaubt hätte. Niemals wieder hat er eine Kneipe gemalt. Die
Verehrer des Bildes mussten sich also mit Wiederholungen und
Kopien zufrieden geben 1).

Es giebt zwei Wiederholungen, die beide in mehr als einer Be-
ziehung noch ungelöste Räthsel sind. Das eine ist das Bild im
Museum zu Neapel, in der Grösse des Originals. Viele Gemälde-
freunde verdanken ihm ihren einzigen, unvergesslichen Eindruck
von dem unvergleichlichen Genie des spanischen Malers. Es ist in
einer mir sonst nicht vorgekommenen Guachetechnik gearbeitet;
die Pigmente sind in einer teigartigen Masse stückweis auf Lein-
wand aufgetragen, die Stücke soviel als möglich einer Farbe ent-
sprechend, ringsum bemerkt man erhöhte Rändchen. Nicht min-
der merkwürdig ist, dass man selbst mit der Photographie des
Originals in der Hand nichts von den Merkmalen einer Kopie ent-
decken kann; ja noch mehr, die hellere und echt velazquische
Haltung scheint ursprünglicher als in dem nachgedunkelten Ori-
ginal in Madrid, dessen getrübte Theile, besonders die Land-
schaft, man nach dieser Wiederholung ergänzen kann. Es scheint

1) Das Gemälde wurde später aus dem königlichen Schlafgemach in die alte
Nordgalerie versetzt und bei des Königs Tode zu dreihundert Dukaten taxirt.
1686 steigt es auf 400, 1702 nach dem Tod Carl II auf 200 Dublonen = 24000 Rea-
len. Nach dem Brand erscheint es ohne Rahmen, hatte also vermuthlich gelitten;
es kommt nach Buen Retiro, kehrt unter Carl III in den neuen Palast zurück, wo
es Goya 1780 auf 40000 Realen schätzt. Letzterer hat es radirt, und Mengs
Schwiegersohn Carmona in Kupfer gestochen, aber nicht in seiner guten pariser,
sondern in seiner schlechten spanischen Manier; keines von beiden Blättern giebt
den Charakter der Zeichnung wieder. — Grösse: 165 × 225.
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[261/0287] Die Borrachos. eine Menge Ueberlegungen, die sich hinter dem Schein des Zu- fälligen verbergen. Das Bild bezeichnet also einen Höhepunkt. In Kraft, Bestimmtheit und morbidezza der Modellirung, in Plastik der Ge- stalten, im Wechsel der Beleuchtungsgrade, in Ausdruck und Leben der Züge gab es eigentlich keinen Schritt darüber hinaus. Warum war das Bild also das erste und letzte seiner Art? Wäre so etwas damals in Niederland gemalt worden, so würde heute wahrscheinlich jede Galerie ihre Borrachos besitzen. Liebhaber und Kunsthändler würden geschworen haben, dieser Maler dürfe und könne nie etwas anderes malen als Bacchanalien, und er wäre damit ein reicher Mann geworden. Aber Velazquez fand an Selbstwiederholungen keinen Geschmack, auch wenn seine Stellung ihm gewinnbringende Ausnutzung seiner Erfindungen erlaubt hätte. Niemals wieder hat er eine Kneipe gemalt. Die Verehrer des Bildes mussten sich also mit Wiederholungen und Kopien zufrieden geben 1). Es giebt zwei Wiederholungen, die beide in mehr als einer Be- ziehung noch ungelöste Räthsel sind. Das eine ist das Bild im Museum zu Neapel, in der Grösse des Originals. Viele Gemälde- freunde verdanken ihm ihren einzigen, unvergesslichen Eindruck von dem unvergleichlichen Genie des spanischen Malers. Es ist in einer mir sonst nicht vorgekommenen Guachetechnik gearbeitet; die Pigmente sind in einer teigartigen Masse stückweis auf Lein- wand aufgetragen, die Stücke soviel als möglich einer Farbe ent- sprechend, ringsum bemerkt man erhöhte Rändchen. Nicht min- der merkwürdig ist, dass man selbst mit der Photographie des Originals in der Hand nichts von den Merkmalen einer Kopie ent- decken kann; ja noch mehr, die hellere und echt velazquische Haltung scheint ursprünglicher als in dem nachgedunkelten Ori- ginal in Madrid, dessen getrübte Theile, besonders die Land- schaft, man nach dieser Wiederholung ergänzen kann. Es scheint 1) Das Gemälde wurde später aus dem königlichen Schlafgemach in die alte Nordgalerie versetzt und bei des Königs Tode zu dreihundert Dukaten taxirt. 1686 steigt es auf 400, 1702 nach dem Tod Carl II auf 200 Dublonen = 24000 Rea- len. Nach dem Brand erscheint es ohne Rahmen, hatte also vermuthlich gelitten; es kommt nach Buen Retiro, kehrt unter Carl III in den neuen Palast zurück, wo es Goya 1780 auf 40000 Realen schätzt. Letzterer hat es radirt, und Mengs Schwiegersohn Carmona in Kupfer gestochen, aber nicht in seiner guten pariser, sondern in seiner schlechten spanischen Manier; keines von beiden Blättern giebt den Charakter der Zeichnung wieder. — Grösse: 165 × 225.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/287>, abgerufen am 21.11.2024.