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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
kaum denkbar, dass das merkwürdige Bild ohne Antheil des
Meisters entstanden sei.

Auch das zweite Exemplar, gewöhnlich als Skizze bezeich-
net, stammt aus Neapel, wo es der englische Gesandte, Lord
Heytesbury, von einem Kunsthändler Simone kaufte. Es ist
sogar bezeichnet und datirt, der Name steht, in zierlicher Schrift
auf dem Blatt eines zerrissenen Büchleins, links an der Ecke
Diego V .. zquez f.
1634 [nicht 1624].

Man hat nun zwar gesagt, wie sollte der Maler eine Skizze
bezeichnet haben, er, der kaum zwei oder drei seiner grossen Ge-
mälde bezeichnet hat! Ist es wahrscheinlich, dass er vier Jahre
zwischen dem Entwurf und der 1628 erfolgten Ausführung des
Bildes verstreichen liess?

Diese Zweifel beruhen auf Unkenntniss des Gemäldes. Es
ist keine Skizze 1), sondern ein sauber vollendetes Bildchen, das
an die Bassanos erinnert. Und zwar ein Bildchen, das zwar
Idee und Gruppirungsschema der grossen Leinwand entlehnt, in
den Einzelheiten aber als eine "gänzlich umgearbeitete Ausgabe"
derselben bezeichnet werden kann. Zwei Figuren zur Linken,
der Schenke mit der Vase und der Satyr, das Paar rechts, sind
weggelassen, ein Mohrenknabe ist hinzugefügt; die übrigen Rol-
len aber sind nach anderen Modellen gearbeitet.

Die Bacchusknechte sind keine Bauern und Landstreicher
mehr; sie gehören den bessern Klassen an, vielleicht dem niedern
Hofgesinde. Die Figuren sind dünner, die Köpfe spitzer, Tracht
und Frisur hauptstädtisch. Auch überlassen sie sich nicht jener
ungebundenen Faschingsheiterkeit; ihr Gebahren schmeckt nach
dem Klienten und Tellerlecker, jenem Schweif von Vetterschaft,
welcher den Granden von Castilien anzuhängen pflegte. Dem-
gemäss drängen sie sich auch nicht gemüthlich aneinander,
sondern sitzen in angemessenen Zwischenräumen, wie es sich
bei einem Ordenskapitel schickt.

Während die Gäste etwas befangen sind, ist der Amphitryo um
so aufgeräumter; die Gesellschaft, bei der dort das Hauptvergnü-
gen war, ist hier wol mehr das Objekt, mit dem er sich amüsirt.
Es ist nicht der verschlemmte Thunichtgut, schon zu blasirt für
ein homerisches Gelächter; nein, ein urgesunder Faun mit Voll-

1) Auch Waagen bemerkt: spiritedly but by no means sketchily executed.
Treasures IV, 387. Grösse: 32" x 39".

Zweites Buch.
kaum denkbar, dass das merkwürdige Bild ohne Antheil des
Meisters entstanden sei.

Auch das zweite Exemplar, gewöhnlich als Skizze bezeich-
net, stammt aus Neapel, wo es der englische Gesandte, Lord
Heytesbury, von einem Kunsthändler Simone kaufte. Es ist
sogar bezeichnet und datirt, der Name steht, in zierlicher Schrift
auf dem Blatt eines zerrissenen Büchleins, links an der Ecke
Diego V .. zquez f.
1634 [nicht 1624].

Man hat nun zwar gesagt, wie sollte der Maler eine Skizze
bezeichnet haben, er, der kaum zwei oder drei seiner grossen Ge-
mälde bezeichnet hat! Ist es wahrscheinlich, dass er vier Jahre
zwischen dem Entwurf und der 1628 erfolgten Ausführung des
Bildes verstreichen liess?

Diese Zweifel beruhen auf Unkenntniss des Gemäldes. Es
ist keine Skizze 1), sondern ein sauber vollendetes Bildchen, das
an die Bassanos erinnert. Und zwar ein Bildchen, das zwar
Idee und Gruppirungsschema der grossen Leinwand entlehnt, in
den Einzelheiten aber als eine „gänzlich umgearbeitete Ausgabe“
derselben bezeichnet werden kann. Zwei Figuren zur Linken,
der Schenke mit der Vase und der Satyr, das Paar rechts, sind
weggelassen, ein Mohrenknabe ist hinzugefügt; die übrigen Rol-
len aber sind nach anderen Modellen gearbeitet.

Die Bacchusknechte sind keine Bauern und Landstreicher
mehr; sie gehören den bessern Klassen an, vielleicht dem niedern
Hofgesinde. Die Figuren sind dünner, die Köpfe spitzer, Tracht
und Frisur hauptstädtisch. Auch überlassen sie sich nicht jener
ungebundenen Faschingsheiterkeit; ihr Gebahren schmeckt nach
dem Klienten und Tellerlecker, jenem Schweif von Vetterschaft,
welcher den Granden von Castilien anzuhängen pflegte. Dem-
gemäss drängen sie sich auch nicht gemüthlich aneinander,
sondern sitzen in angemessenen Zwischenräumen, wie es sich
bei einem Ordenskapitel schickt.

Während die Gäste etwas befangen sind, ist der Amphitryo um
so aufgeräumter; die Gesellschaft, bei der dort das Hauptvergnü-
gen war, ist hier wol mehr das Objekt, mit dem er sich amüsirt.
Es ist nicht der verschlemmte Thunichtgut, schon zu blasirt für
ein homerisches Gelächter; nein, ein urgesunder Faun mit Voll-

1) Auch Waagen bemerkt: spiritedly but by no means sketchily executed.
Treasures IV, 387. Grösse: 32″ × 39″.
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[262/0288] Zweites Buch. kaum denkbar, dass das merkwürdige Bild ohne Antheil des Meisters entstanden sei. Auch das zweite Exemplar, gewöhnlich als Skizze bezeich- net, stammt aus Neapel, wo es der englische Gesandte, Lord Heytesbury, von einem Kunsthändler Simone kaufte. Es ist sogar bezeichnet und datirt, der Name steht, in zierlicher Schrift auf dem Blatt eines zerrissenen Büchleins, links an der Ecke Diego V .. zquez f. 1634 [nicht 1624]. Man hat nun zwar gesagt, wie sollte der Maler eine Skizze bezeichnet haben, er, der kaum zwei oder drei seiner grossen Ge- mälde bezeichnet hat! Ist es wahrscheinlich, dass er vier Jahre zwischen dem Entwurf und der 1628 erfolgten Ausführung des Bildes verstreichen liess? Diese Zweifel beruhen auf Unkenntniss des Gemäldes. Es ist keine Skizze 1), sondern ein sauber vollendetes Bildchen, das an die Bassanos erinnert. Und zwar ein Bildchen, das zwar Idee und Gruppirungsschema der grossen Leinwand entlehnt, in den Einzelheiten aber als eine „gänzlich umgearbeitete Ausgabe“ derselben bezeichnet werden kann. Zwei Figuren zur Linken, der Schenke mit der Vase und der Satyr, das Paar rechts, sind weggelassen, ein Mohrenknabe ist hinzugefügt; die übrigen Rol- len aber sind nach anderen Modellen gearbeitet. Die Bacchusknechte sind keine Bauern und Landstreicher mehr; sie gehören den bessern Klassen an, vielleicht dem niedern Hofgesinde. Die Figuren sind dünner, die Köpfe spitzer, Tracht und Frisur hauptstädtisch. Auch überlassen sie sich nicht jener ungebundenen Faschingsheiterkeit; ihr Gebahren schmeckt nach dem Klienten und Tellerlecker, jenem Schweif von Vetterschaft, welcher den Granden von Castilien anzuhängen pflegte. Dem- gemäss drängen sie sich auch nicht gemüthlich aneinander, sondern sitzen in angemessenen Zwischenräumen, wie es sich bei einem Ordenskapitel schickt. Während die Gäste etwas befangen sind, ist der Amphitryo um so aufgeräumter; die Gesellschaft, bei der dort das Hauptvergnü- gen war, ist hier wol mehr das Objekt, mit dem er sich amüsirt. Es ist nicht der verschlemmte Thunichtgut, schon zu blasirt für ein homerisches Gelächter; nein, ein urgesunder Faun mit Voll- 1) Auch Waagen bemerkt: spiritedly but by no means sketchily executed. Treasures IV, 387. Grösse: 32″ × 39″.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/288>, abgerufen am 22.11.2024.