Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.In Venedig. den Staat zu verhöhnen; z. B. 1624, als Benavides von Venedigabwesend war, wurde das Gesandtschaftshotel zu einem Sammel- platz von Verbannten, Bravos und Verurtheilten, die von da ihre Streifzüge machten. So wurden unter Connivenz des Sekretärs Irles fünf Sträflinge, auf dem Wege zur Galere, von solchen Abenteurern mit Hülfe der Dienerschaft befreit, in den Palast gerettet, und dann in Civilkleidern vom Fenster dem Volk ge- zeigt, "als Beweis des Privilegs". Die feindselige Stimmung stieg aufs höchste zur Zeit des mantuanischen Erbfolgekriegs. Venedig war damals die Haupttriebfeder der antispanischen Liga. Man trug sich in Wien mit Anschlägen auf die Terra Ferma, und der spanische Gesandte hatte gesagt: Aut Roma, aut Car- thago delenda est. Die Italiener schlossen, dass mit den Spaniern Freundschaft unmöglich sei, weil sie nur Sklaven oder offene Feinde haben wollten. Ueber seine damalige Beschäftigung in Venedig haben Auch nach allen sonstigen Daten muss Tintoretto ihn be- 18
In Venedig. den Staat zu verhöhnen; z. B. 1624, als Benavides von Venedigabwesend war, wurde das Gesandtschaftshotel zu einem Sammel- platz von Verbannten, Bravos und Verurtheilten, die von da ihre Streifzüge machten. So wurden unter Connivenz des Sekretärs Irles fünf Sträflinge, auf dem Wege zur Galere, von solchen Abenteurern mit Hülfe der Dienerschaft befreit, in den Palast gerettet, und dann in Civilkleidern vom Fenster dem Volk ge- zeigt, „als Beweis des Privilegs“. Die feindselige Stimmung stieg aufs höchste zur Zeit des mantuanischen Erbfolgekriegs. Venedig war damals die Haupttriebfeder der antispanischen Liga. Man trug sich in Wien mit Anschlägen auf die Terra Ferma, und der spanische Gesandte hatte gesagt: Aut Roma, aut Car- thago delenda est. Die Italiener schlossen, dass mit den Spaniern Freundschaft unmöglich sei, weil sie nur Sklaven oder offene Feinde haben wollten. Ueber seine damalige Beschäftigung in Venedig haben Auch nach allen sonstigen Daten muss Tintoretto ihn be- 18
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In Venedig.
den Staat zu verhöhnen; z. B. 1624, als Benavides von Venedig
abwesend war, wurde das Gesandtschaftshotel zu einem Sammel-
platz von Verbannten, Bravos und Verurtheilten, die von da
ihre Streifzüge machten. So wurden unter Connivenz des Sekretärs
Irles fünf Sträflinge, auf dem Wege zur Galere, von solchen
Abenteurern mit Hülfe der Dienerschaft befreit, in den Palast
gerettet, und dann in Civilkleidern vom Fenster dem Volk ge-
zeigt, „als Beweis des Privilegs“. Die feindselige Stimmung
stieg aufs höchste zur Zeit des mantuanischen Erbfolgekriegs.
Venedig war damals die Haupttriebfeder der antispanischen Liga.
Man trug sich in Wien mit Anschlägen auf die Terra Ferma,
und der spanische Gesandte hatte gesagt: Aut Roma, aut Car-
thago delenda est. Die Italiener schlossen, dass mit den Spaniern
Freundschaft unmöglich sei, weil sie nur Sklaven oder offene
Feinde haben wollten.
Ueber seine damalige Beschäftigung in Venedig haben
wir bloss eine Notiz Palomino’s. „Sehr gefielen ihm die Gemälde
von Tizian, Tintoretto, Paolo und andern Künstlern jener Schule,
daher er unablässig zeichnete, die ganze Zeit die er dort zu-
brachte; namentlich machte er Studien nach der berühmten Kreu-
zigung Tintoretto’s [in der Scuola di S. Rocco] und kopierte die
Communion der Apostel, welche er dem Könige verehrte. [S. 151
Anm.] Nur der Krieg verhinderte ihn, viel länger dort zu bleiben.“
Auch nach allen sonstigen Daten muss Tintoretto ihn be-
sonders gefesselt haben. Darin stimmte er mit dem Geschmack
der Zeit überein. Tintoretto, nun ein Menschenalter todt, hielt
noch immer Maler und Publicum unter seinem Bann. „Alle die
nach ihm blühten, ergaben sich seinem Stil“. Die Scuola di S.
Rocco, deren Guardian Joseph Cagliari ein Neffe Paolo’s war,
blieb der Sammelplatz und die Akademie der Aufstrebenden, be-
sonders der Fremden (Deutschen); sie galt für die Schule, wo
man Composition, Grazie, stramme Zeichnung (stringatura),
Ordnung und Entgegensetzung (staccatura) der Lichter und
Schatten lernen müsse. Die Zahl der Zeichnungen und ge-
malten Kopien nach den Gemälden dieser Scuola war gross.
Die Platten Agostino Caracci’s nach der Kreuzigung liess Daniel
Nis vergolden. Noch sah man in seiner Wohnung das Studir-
zimmer, jenes schwerzugängliche Heiligthum, wo er auf Ideen
Jagd gemacht; die kleinen Modelle von Wachs und Thon
kopirte, in Häuschen, Fenster setzte, aufhing, um sie für seine
Entwürfe zu benutzen.
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