Tintoretto gehört zu denen, die zu allen Zeiten ebenso heftige Bewunderer wie Hasser gehabt haben, erstere unter den Künstlern, letztere besonders unter Laien. Die einen fühlen sich verletzt durch sein Verfahren mit den Gegenständen, seinen Leichtsinn; die andern sehen nur das malerische Genie, die unerschöpfliche Ge- staltungskraft. Zu den erstern gehörte Pacheco1), zu den letztern sein Schwiegersohn, obwol dessen ruhiges Beobachtertemperament von dem feurigen Wesen des Komponisten und "Maschinisten" so grundverschieden war. Zu der Art Malerei, die Velazquez gross gemacht hat, fehlte ihm zwar nicht das Talent (wie seine Bildnisse beweisen) aber das Phlegma und -- die Zeit. Dem Schweif der Tintorettoschwärmer, die damals in Venedig ihr Wesen trieben, war der Naturalismus ein Greuel; wer kein Stilmaler (manieroso) ist (sagt Marco Boschini, der die Gesinnung und das Rothwelsch dieser Leute auf die Nachwelt gebracht hat), der ist ein Schuhflicker.
Da giebt es Leute, Naturalisten nennen sie sich, wenn die eine Gestalt malen wollen, so streifen sie in den Gassen herum und quälen die Nachbarn: dein Gesicht ist just meine Idee, das wird einen herr- lichen Effekt machen in der Figur, die ich unter den Händen habe. Sind sie an der Arbeit, so darf Niemand herein, wie bei den Buben wenn sie an ihrem Pensum sitzen, weil sie sich schämen, ihre Taschen- spielerkünste (stregarie) zu verrathen. Da sieht es aus, wie bei den Schwarzkünstlern: Püppchen, Kleidungstücke, Waffen, Modelle, Beine, Büsten, Ketten u. s. w. Das sind keine Maler, sondern Abschreiber, Pinsel- pfuscher (strupia peneli) -- die die Natur in den Sack stecken; Gesandte, die ihren Vortrag an den König vom Blatt ablesen. Nein, wer kein Stilmaler ist, der ist ein Schuhflicker! Wer so seine Sachen stückweis, strichweis, gliedweis macht, bekleistert das edle Handwerk. Wenn sie den Jupiter malen sollen, so konterfeien sie einen Schürgen, aus einem Küchenbürschchen (cestariol, Knabe der mit dem Körbchen auf den Markt geht) machen sie einen Ganymed, aus einem sonnverbrannten Bauern Apollo, und für Diana dient ihnen Dortchen Lakenreisser (Doratia de Caracupana)"2).
In der Beschreibung des Escorial von Francisco de los San- tos3) steht ein Abschnitt über das aus dem Nachlass Carl I er-
1) El arte de la pintura II. 14 f. 130. 295 (falta de decoro).
2) Marco Boschini, La Carta del nauegar pitoresco. Venetia 1660. Vento segondo.
3) Descripcion del Escorial. Madrid 1681. S. 38 f.
Drittes Buch.
Tintoretto gehört zu denen, die zu allen Zeiten ebenso heftige Bewunderer wie Hasser gehabt haben, erstere unter den Künstlern, letztere besonders unter Laien. Die einen fühlen sich verletzt durch sein Verfahren mit den Gegenständen, seinen Leichtsinn; die andern sehen nur das malerische Genie, die unerschöpfliche Ge- staltungskraft. Zu den erstern gehörte Pacheco1), zu den letztern sein Schwiegersohn, obwol dessen ruhiges Beobachtertemperament von dem feurigen Wesen des Komponisten und „Maschinisten“ so grundverschieden war. Zu der Art Malerei, die Velazquez gross gemacht hat, fehlte ihm zwar nicht das Talent (wie seine Bildnisse beweisen) aber das Phlegma und — die Zeit. Dem Schweif der Tintorettoschwärmer, die damals in Venedig ihr Wesen trieben, war der Naturalismus ein Greuel; wer kein Stilmaler (manieroso) ist (sagt Marco Boschini, der die Gesinnung und das Rothwelsch dieser Leute auf die Nachwelt gebracht hat), der ist ein Schuhflicker.
Da giebt es Leute, Naturalisten nennen sie sich, wenn die eine Gestalt malen wollen, so streifen sie in den Gassen herum und quälen die Nachbarn: dein Gesicht ist just meine Idee, das wird einen herr- lichen Effekt machen in der Figur, die ich unter den Händen habe. Sind sie an der Arbeit, so darf Niemand herein, wie bei den Buben wenn sie an ihrem Pensum sitzen, weil sie sich schämen, ihre Taschen- spielerkünste (stregarie) zu verrathen. Da sieht es aus, wie bei den Schwarzkünstlern: Püppchen, Kleidungstücke, Waffen, Modelle, Beine, Büsten, Ketten u. s. w. Das sind keine Maler, sondern Abschreiber, Pinsel- pfuscher (strupia peneli) — die die Natur in den Sack stecken; Gesandte, die ihren Vortrag an den König vom Blatt ablesen. Nein, wer kein Stilmaler ist, der ist ein Schuhflicker! Wer so seine Sachen stückweis, strichweis, gliedweis macht, bekleistert das edle Handwerk. Wenn sie den Jupiter malen sollen, so konterfeien sie einen Schürgen, aus einem Küchenbürschchen (cestariol, Knabe der mit dem Körbchen auf den Markt geht) machen sie einen Ganymed, aus einem sonnverbrannten Bauern Apollo, und für Diana dient ihnen Dortchen Lakenreisser (Doratia de Caracupana)“2).
In der Beschreibung des Escorial von Francisco de los San- tos3) steht ein Abschnitt über das aus dem Nachlass Carl I er-
1) El arte de la pintura II. 14 f. 130. 295 (falta de decoro).
2) Marco Boschini, La Carta del nauegar pitoresco. Venetia 1660. Vento segondo.
3) Descripcion del Escorial. Madrid 1681. S. 38 f.
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Drittes Buch.
Tintoretto gehört zu denen, die zu allen Zeiten ebenso heftige
Bewunderer wie Hasser gehabt haben, erstere unter den Künstlern,
letztere besonders unter Laien. Die einen fühlen sich verletzt
durch sein Verfahren mit den Gegenständen, seinen Leichtsinn;
die andern sehen nur das malerische Genie, die unerschöpfliche Ge-
staltungskraft. Zu den erstern gehörte Pacheco 1), zu den letztern
sein Schwiegersohn, obwol dessen ruhiges Beobachtertemperament
von dem feurigen Wesen des Komponisten und „Maschinisten“
so grundverschieden war. Zu der Art Malerei, die Velazquez
gross gemacht hat, fehlte ihm zwar nicht das Talent (wie seine
Bildnisse beweisen) aber das Phlegma und — die Zeit. Dem
Schweif der Tintorettoschwärmer, die damals in Venedig ihr
Wesen trieben, war der Naturalismus ein Greuel; wer kein
Stilmaler (manieroso) ist (sagt Marco Boschini, der die Gesinnung
und das Rothwelsch dieser Leute auf die Nachwelt gebracht hat),
der ist ein Schuhflicker.
Da giebt es Leute, Naturalisten nennen sie sich, wenn die eine
Gestalt malen wollen, so streifen sie in den Gassen herum und quälen
die Nachbarn: dein Gesicht ist just meine Idee, das wird einen herr-
lichen Effekt machen in der Figur, die ich unter den Händen habe.
Sind sie an der Arbeit, so darf Niemand herein, wie bei den Buben
wenn sie an ihrem Pensum sitzen, weil sie sich schämen, ihre Taschen-
spielerkünste (stregarie) zu verrathen. Da sieht es aus, wie bei den
Schwarzkünstlern: Püppchen, Kleidungstücke, Waffen, Modelle, Beine,
Büsten, Ketten u. s. w. Das sind keine Maler, sondern Abschreiber, Pinsel-
pfuscher (strupia peneli) — die die Natur in den Sack stecken; Gesandte,
die ihren Vortrag an den König vom Blatt ablesen. Nein, wer kein
Stilmaler ist, der ist ein Schuhflicker! Wer so seine Sachen stückweis,
strichweis, gliedweis macht, bekleistert das edle Handwerk. Wenn sie
den Jupiter malen sollen, so konterfeien sie einen Schürgen, aus einem
Küchenbürschchen (cestariol, Knabe der mit dem Körbchen auf den
Markt geht) machen sie einen Ganymed, aus einem sonnverbrannten Bauern
Apollo, und für Diana dient ihnen Dortchen Lakenreisser (Doratia de
Caracupana)“ 2).
In der Beschreibung des Escorial von Francisco de los San-
tos 3) steht ein Abschnitt über das aus dem Nachlass Carl I er-
1) El arte de la pintura II. 14 f. 130. 295 (falta de decoro).
2) Marco Boschini, La Carta del nauegar pitoresco. Venetia 1660. Vento
segondo.
3) Descripcion del Escorial. Madrid 1681. S. 38 f.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/300>, abgerufen am 21.11.2024.
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