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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Drittes Buch.
Gelenkknochen und Muskelschwellungen, dem orange Mantel
haben reliefartigen Farbenkörper, die Halbtöne sind dünn aufge-
tragen, in den Schatten ist eine durchsichtige, braune Unter-
tuschung benutzt. Das Eisengeräth: Werkzeuge und in Arbeit
begriffene Waffenstücke, heben kontrastirend Ton und Weichheit
des Nackten. Die Kleidungsstücke sind über das fast fertige
Nackte gemalt, dessen Pinselstriche darunter erkennbar sind.

Zu Modellen hat er offenbar keine Italiener, sondern, nach
den Gesichtern, Spanier gehabt -- wahrscheinlich aus dem Haus-
halt des Gesandten -- auch die Frisur mit den an den Schläfen
herüberhängenden, gekräuselten Löckchen ist spanisch. Die Ge-
sichter sind zum Theil hässlich genug, aber die Körper haben
etwas von dem nervigen, elastischen Bau des torero. Athletische
Kraft erscheint bei diesen Leuten oft in dünneren, ja geschmeidige-
ren Formen als Durchschnittsstärke bei nordischen Racen; sie
ist hier mit einer Oekonomie in der Masse bestritten, die von der
Knochen- und Fleischexpansion gefeierter Stilmaler auffallend
abweicht, bei deren Menschen es zuweilen den Anschein hat,
als hätten sie zuviel an sich selbst zu schleppen. Das sind jene
montanneses von Biscaya und Asturien, die man dort so oft
Wunder zäher Ausdauer, Lastenbewältigung und Gewandtheit
ausführen sieht, wie man sie ihrem kleinen Körper nicht zutraut.

Eine Besonderheit unseres Malers ist endlich die Abneigung
gegen realistische Kleinlichkeit im Detail. Hier war sein Form-
gefühl ganz verschieden von dem eines andern tüchtigen Malers
des Nackten, Ribera. Dieser gehörte auch zu denen, welchen
ihre anatomische Lehrzeit stets nachhing. Er folgt den Muskel-
fasern mit dem Strich, er liebt die ausgearbeiteten und zer-
klüfteten Formen des Alters, er verweilt am eingehendsten bei
den schwierigen vielgegliederten Extremitäten, an denen man
seine Hand am sichersten erkennt. Velazquez umgekehrt war
das wichtigste die Wahrheit der grossen Flächen, "wo alles ist
und nichts erscheint", wie Winckelmann sagte. Von Händen und
Füssen würde er am liebsten nur Eindruck und Gesammtcontour
geben: die trennenden Einschnitte der Zehen und Finger, die
Gelenkwinkel werden nur angedeutet. Noch weniger lässt er
sich ein auf die Falten und Schwielen dieser Theile, oder auf
die Unterschiede der der Luft ausgesetzten gebräunten und der
bekleideten weissen Hauttheile. --

Ausser dieser fachmässigen Ausgiebigkeit bot der gewählte
Stoff aber auch eine Handhabe für das Publicum: das novellistische

Drittes Buch.
Gelenkknochen und Muskelschwellungen, dem orange Mantel
haben reliefartigen Farbenkörper, die Halbtöne sind dünn aufge-
tragen, in den Schatten ist eine durchsichtige, braune Unter-
tuschung benutzt. Das Eisengeräth: Werkzeuge und in Arbeit
begriffene Waffenstücke, heben kontrastirend Ton und Weichheit
des Nackten. Die Kleidungsstücke sind über das fast fertige
Nackte gemalt, dessen Pinselstriche darunter erkennbar sind.

Zu Modellen hat er offenbar keine Italiener, sondern, nach
den Gesichtern, Spanier gehabt — wahrscheinlich aus dem Haus-
halt des Gesandten — auch die Frisur mit den an den Schläfen
herüberhängenden, gekräuselten Löckchen ist spanisch. Die Ge-
sichter sind zum Theil hässlich genug, aber die Körper haben
etwas von dem nervigen, elastischen Bau des torero. Athletische
Kraft erscheint bei diesen Leuten oft in dünneren, ja geschmeidige-
ren Formen als Durchschnittsstärke bei nordischen Racen; sie
ist hier mit einer Oekonomie in der Masse bestritten, die von der
Knochen- und Fleischexpansion gefeierter Stilmaler auffallend
abweicht, bei deren Menschen es zuweilen den Anschein hat,
als hätten sie zuviel an sich selbst zu schleppen. Das sind jene
montañeses von Biscaya und Asturien, die man dort so oft
Wunder zäher Ausdauer, Lastenbewältigung und Gewandtheit
ausführen sieht, wie man sie ihrem kleinen Körper nicht zutraut.

Eine Besonderheit unseres Malers ist endlich die Abneigung
gegen realistische Kleinlichkeit im Detail. Hier war sein Form-
gefühl ganz verschieden von dem eines andern tüchtigen Malers
des Nackten, Ribera. Dieser gehörte auch zu denen, welchen
ihre anatomische Lehrzeit stets nachhing. Er folgt den Muskel-
fasern mit dem Strich, er liebt die ausgearbeiteten und zer-
klüfteten Formen des Alters, er verweilt am eingehendsten bei
den schwierigen vielgegliederten Extremitäten, an denen man
seine Hand am sichersten erkennt. Velazquez umgekehrt war
das wichtigste die Wahrheit der grossen Flächen, „wo alles ist
und nichts erscheint“, wie Winckelmann sagte. Von Händen und
Füssen würde er am liebsten nur Eindruck und Gesammtcontour
geben: die trennenden Einschnitte der Zehen und Finger, die
Gelenkwinkel werden nur angedeutet. Noch weniger lässt er
sich ein auf die Falten und Schwielen dieser Theile, oder auf
die Unterschiede der der Luft ausgesetzten gebräunten und der
bekleideten weissen Hauttheile. —

Ausser dieser fachmässigen Ausgiebigkeit bot der gewählte
Stoff aber auch eine Handhabe für das Publicum: das novellistische

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[304/0330] Drittes Buch. Gelenkknochen und Muskelschwellungen, dem orange Mantel haben reliefartigen Farbenkörper, die Halbtöne sind dünn aufge- tragen, in den Schatten ist eine durchsichtige, braune Unter- tuschung benutzt. Das Eisengeräth: Werkzeuge und in Arbeit begriffene Waffenstücke, heben kontrastirend Ton und Weichheit des Nackten. Die Kleidungsstücke sind über das fast fertige Nackte gemalt, dessen Pinselstriche darunter erkennbar sind. Zu Modellen hat er offenbar keine Italiener, sondern, nach den Gesichtern, Spanier gehabt — wahrscheinlich aus dem Haus- halt des Gesandten — auch die Frisur mit den an den Schläfen herüberhängenden, gekräuselten Löckchen ist spanisch. Die Ge- sichter sind zum Theil hässlich genug, aber die Körper haben etwas von dem nervigen, elastischen Bau des torero. Athletische Kraft erscheint bei diesen Leuten oft in dünneren, ja geschmeidige- ren Formen als Durchschnittsstärke bei nordischen Racen; sie ist hier mit einer Oekonomie in der Masse bestritten, die von der Knochen- und Fleischexpansion gefeierter Stilmaler auffallend abweicht, bei deren Menschen es zuweilen den Anschein hat, als hätten sie zuviel an sich selbst zu schleppen. Das sind jene montañeses von Biscaya und Asturien, die man dort so oft Wunder zäher Ausdauer, Lastenbewältigung und Gewandtheit ausführen sieht, wie man sie ihrem kleinen Körper nicht zutraut. Eine Besonderheit unseres Malers ist endlich die Abneigung gegen realistische Kleinlichkeit im Detail. Hier war sein Form- gefühl ganz verschieden von dem eines andern tüchtigen Malers des Nackten, Ribera. Dieser gehörte auch zu denen, welchen ihre anatomische Lehrzeit stets nachhing. Er folgt den Muskel- fasern mit dem Strich, er liebt die ausgearbeiteten und zer- klüfteten Formen des Alters, er verweilt am eingehendsten bei den schwierigen vielgegliederten Extremitäten, an denen man seine Hand am sichersten erkennt. Velazquez umgekehrt war das wichtigste die Wahrheit der grossen Flächen, „wo alles ist und nichts erscheint“, wie Winckelmann sagte. Von Händen und Füssen würde er am liebsten nur Eindruck und Gesammtcontour geben: die trennenden Einschnitte der Zehen und Finger, die Gelenkwinkel werden nur angedeutet. Noch weniger lässt er sich ein auf die Falten und Schwielen dieser Theile, oder auf die Unterschiede der der Luft ausgesetzten gebräunten und der bekleideten weissen Hauttheile. — Ausser dieser fachmässigen Ausgiebigkeit bot der gewählte Stoff aber auch eine Handhabe für das Publicum: das novellistische

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/330>, abgerufen am 24.11.2024.