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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Drittes Buch.
an der Wand neben dem Fenster ... Sie trug ein Kleid von
schwarzem Sammet mit Goldstickerei. Ihr Kopfputz war hüb-
scher als ihr Anzug. Es ist ein Engelsgesicht (una faccia de
angelo
), der schönsten Frauen eine, die ich in meinem Leben sah:
sehr weisse Haut, blonde Haare, mehr ins weisse als golden,
echt königliche Miene, das Kinn ein wenig vorstehend, der Schopf
hoch zugespitzt und gekräuselt, aber mit dem Kamm aufge-
löst. Sie hörte meinen Vortrag aufmerksam an und antwortete
freundlich, aber so leise, dass ich mit grosser Mühe kaum einige
Worte verstand." Der Abate Scaglia nennt sie sehr liebens-
würdig (gentilissima), fand, dass sie sich auch sehr gut ausdrücke
(parla molto bene) und anmuthig bewege. Vor sieben Jahren,
als Carl Stuart um ihretwillen jene abenteuerliche Brautfahrt
nach Madrid unternahm, war sie gewiss noch anziehender ge-
wesen. Buckingham schrieb damals an König Jakob: "Ohne zu
schmeicheln, ich glaube, es giebt kein holderes Geschöpf (sweeter
creature
) auf der Welt". Und doch hatten die Engländer sie nie
in so reizenden Situationen gesehn, wie wenn sie bei intimen Fa-
milienfesten erschien, z. B. als der Geburtstag ihres Bruders
im Frühlingsmonat 1622 zu Aranjuez mit Maskentanz und Schau-
spiel gefeiert wurde, wo der Italiener Julio Cesar Fontana die
Scenerie erfunden und Juan de Tassis Graf von Villamediana
eine romantische "Fiesta" Gloria de Niquea gedichtet hatte 1).
Hier stellte sie, umgeben von fünfundzwanzig Hofdamen, die
Titelrolle dar, während die neunzehnjährige Königin Isabella, als
Göttin der Schönheit, von ihrem Wagen aus einer Nische zusah.
"Sie spielte die Hauptrolle, schreibt der dabei anwesende Mo-
denese G. B. Ronchi, mit soviel Geschick, dass die Gräfin Lemos
voller Sorgen ist. Sie fürchtet Ihre Hoheit gewinne an dieser
Kunst mehr Geschmack als gut ist." Schon damals galt das
sechzehnjährige Mädchen bei den Diplomaten für einflussreich;
Olivares wollte sie durch Heirath entfernen, denn sie war "für
ihr Alter sehr klug und galt viel bei dem König" 2).

Jenen Engländern machte sie einen mehr flämischen als spa-
nischen Eindruck; aber was die klassischen Nationaltugenden
ihres Geschlechts betrifft, so nahm sie es mit jeder schwarzäugi-

1) Abgedruckt in den Obras de Juan de Tassis, Conde de Villamediana. Ma-
drid 1634. 40.
2) Depesche des savoyischen Ministers Msgr. Anastasio Germonio, Erz-
bischof von Tarantasia, v. 6. April 1623: assai per la sua eta prudente.

Drittes Buch.
an der Wand neben dem Fenster … Sie trug ein Kleid von
schwarzem Sammet mit Goldstickerei. Ihr Kopfputz war hüb-
scher als ihr Anzug. Es ist ein Engelsgesicht (una faccia de
angelo
), der schönsten Frauen eine, die ich in meinem Leben sah:
sehr weisse Haut, blonde Haare, mehr ins weisse als golden,
echt königliche Miene, das Kinn ein wenig vorstehend, der Schopf
hoch zugespitzt und gekräuselt, aber mit dem Kamm aufge-
löst. Sie hörte meinen Vortrag aufmerksam an und antwortete
freundlich, aber so leise, dass ich mit grosser Mühe kaum einige
Worte verstand.“ Der Abate Scaglia nennt sie sehr liebens-
würdig (gentilissima), fand, dass sie sich auch sehr gut ausdrücke
(parla molto bene) und anmuthig bewege. Vor sieben Jahren,
als Carl Stuart um ihretwillen jene abenteuerliche Brautfahrt
nach Madrid unternahm, war sie gewiss noch anziehender ge-
wesen. Buckingham schrieb damals an König Jakob: „Ohne zu
schmeicheln, ich glaube, es giebt kein holderes Geschöpf (sweeter
creature
) auf der Welt“. Und doch hatten die Engländer sie nie
in so reizenden Situationen gesehn, wie wenn sie bei intimen Fa-
milienfesten erschien, z. B. als der Geburtstag ihres Bruders
im Frühlingsmonat 1622 zu Aranjuez mit Maskentanz und Schau-
spiel gefeiert wurde, wo der Italiener Julio Cesar Fontana die
Scenerie erfunden und Juan de Tassis Graf von Villamediana
eine romantische „Fiesta“ Gloria de Niquea gedichtet hatte 1).
Hier stellte sie, umgeben von fünfundzwanzig Hofdamen, die
Titelrolle dar, während die neunzehnjährige Königin Isabella, als
Göttin der Schönheit, von ihrem Wagen aus einer Nische zusah.
„Sie spielte die Hauptrolle, schreibt der dabei anwesende Mo-
denese G. B. Ronchi, mit soviel Geschick, dass die Gräfin Lemos
voller Sorgen ist. Sie fürchtet Ihre Hoheit gewinne an dieser
Kunst mehr Geschmack als gut ist.“ Schon damals galt das
sechzehnjährige Mädchen bei den Diplomaten für einflussreich;
Olivares wollte sie durch Heirath entfernen, denn sie war „für
ihr Alter sehr klug und galt viel bei dem König“ 2).

Jenen Engländern machte sie einen mehr flämischen als spa-
nischen Eindruck; aber was die klassischen Nationaltugenden
ihres Geschlechts betrifft, so nahm sie es mit jeder schwarzäugi-

1) Abgedruckt in den Obras de Juan de Tassis, Conde de Villamediana. Ma-
drid 1634. 40.
2) Depesche des savoyischen Ministers Msgr. Anastasio Germonio, Erz-
bischof von Tarantasia, v. 6. April 1623: assai per la sua età prudente.
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[312/0338] Drittes Buch. an der Wand neben dem Fenster … Sie trug ein Kleid von schwarzem Sammet mit Goldstickerei. Ihr Kopfputz war hüb- scher als ihr Anzug. Es ist ein Engelsgesicht (una faccia de angelo), der schönsten Frauen eine, die ich in meinem Leben sah: sehr weisse Haut, blonde Haare, mehr ins weisse als golden, echt königliche Miene, das Kinn ein wenig vorstehend, der Schopf hoch zugespitzt und gekräuselt, aber mit dem Kamm aufge- löst. Sie hörte meinen Vortrag aufmerksam an und antwortete freundlich, aber so leise, dass ich mit grosser Mühe kaum einige Worte verstand.“ Der Abate Scaglia nennt sie sehr liebens- würdig (gentilissima), fand, dass sie sich auch sehr gut ausdrücke (parla molto bene) und anmuthig bewege. Vor sieben Jahren, als Carl Stuart um ihretwillen jene abenteuerliche Brautfahrt nach Madrid unternahm, war sie gewiss noch anziehender ge- wesen. Buckingham schrieb damals an König Jakob: „Ohne zu schmeicheln, ich glaube, es giebt kein holderes Geschöpf (sweeter creature) auf der Welt“. Und doch hatten die Engländer sie nie in so reizenden Situationen gesehn, wie wenn sie bei intimen Fa- milienfesten erschien, z. B. als der Geburtstag ihres Bruders im Frühlingsmonat 1622 zu Aranjuez mit Maskentanz und Schau- spiel gefeiert wurde, wo der Italiener Julio Cesar Fontana die Scenerie erfunden und Juan de Tassis Graf von Villamediana eine romantische „Fiesta“ Gloria de Niquea gedichtet hatte 1). Hier stellte sie, umgeben von fünfundzwanzig Hofdamen, die Titelrolle dar, während die neunzehnjährige Königin Isabella, als Göttin der Schönheit, von ihrem Wagen aus einer Nische zusah. „Sie spielte die Hauptrolle, schreibt der dabei anwesende Mo- denese G. B. Ronchi, mit soviel Geschick, dass die Gräfin Lemos voller Sorgen ist. Sie fürchtet Ihre Hoheit gewinne an dieser Kunst mehr Geschmack als gut ist.“ Schon damals galt das sechzehnjährige Mädchen bei den Diplomaten für einflussreich; Olivares wollte sie durch Heirath entfernen, denn sie war „für ihr Alter sehr klug und galt viel bei dem König“ 2). Jenen Engländern machte sie einen mehr flämischen als spa- nischen Eindruck; aber was die klassischen Nationaltugenden ihres Geschlechts betrifft, so nahm sie es mit jeder schwarzäugi- 1) Abgedruckt in den Obras de Juan de Tassis, Conde de Villamediana. Ma- drid 1634. 40. 2) Depesche des savoyischen Ministers Msgr. Anastasio Germonio, Erz- bischof von Tarantasia, v. 6. April 1623: assai per la sua età prudente.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/338>, abgerufen am 24.11.2024.