Das Farbensystem ist das der Reiterbilder. Himmel und Ferne mit ihren breiten, kühlen, grün-blauen Flächen, durch- zogen vom weissen Schimmer des Wassers und Pulverdampfs, geben den Grund für die warmen, farbig satten Figuren des Vordergrunds, mit ihren rothbraunen Schatten, bis zu dem mäch- tigen Schecken in der Ecke rechts. Auch hier ist für lichte Punkte gesorgt, in dem Prinzen mit dem weissen sonnenbe- leuchteten Wams (man wird an Rembrandts "Nachtwache" er- innert), im Glanz der Rüstung und Schimmer goldgestickter Seide; im weissen Mantel der abschliessenden Figur rechts, der weiss und hellblau karrirten Fahne. Die stärkste Lichtöffnung hat der Maler in die Mitte und den Mittelgrund verlegt, in die vorbei- defilirenden Truppen; diese Stelle giebt ihm zugleich den hellen Grund für die zwei Protagonisten. Das Licht kommt von links, also Südosten (denn die Uebergabe fand um zehn Uhr morgens statt) und fällt den Spaniern ins Gesicht. Der hellste Punkt in allen Gesichtern ist die Stirn Spinola's. Alles ist von Luft um- flossen, schwebt im Luftmeer.
Es ist eine militärische Ceremonie, aber eine Ceremonie, in welcher eine lange Epopöe von Kämpfen, wo zwei gewaltige Gegner unter Aufbietung aller Kräfte der Elemente und mensch- lichen Verstands und Willens miteinander rangen, beschlossen und besiegelt wurde. Alles, was diese starken, klugen und kühnen Männer gearbeitet haben -- mit jener Veste als Kampf- preis -- dessen Pathos drängt sich in diesem Moment, einem mili- tärischen Sakrament gleichsam, zusammen.
Aber die Wellenkreise der Gedanken die es anregt, sie schwingen noch weiter, von der Vergangenheit nach der Zukunft. Die Gestalten des Velazquez, hier noch mehr als sonst reprä- sentativ, beleuchten in einem Strahl das ganze Bild jenes Weltkampfs zweier Völker und Religionen. Hier wurde von der Hand eines spanischen Hofmalers ein spanischer Erfolg ge- feiert, errungen durch Zusammenwirken von vier Nationen, unter der Führung eines Genueser Condottieren. Dieser spanische Gene- ralissimus macht der Bravour eines holländischen Kommandanten sein Kompliment, eines Ketzer- und Rebellenchefs nach den Begriffen seines Staats. Der Enkel jenes Philipp, welcher die Hand des Meuchelmörders gegen den grossen Wilhelm aufrief, er hat seinen Maler mit diesem Bild beauftragt, wo ein Nach- folger Alba's einen Oranier begrüsst und rühmt. Hat der Schöpfer dieses Bildes damals schon jene Stimmung ausdrücken
Viertes Buch.
Das Farbensystem ist das der Reiterbilder. Himmel und Ferne mit ihren breiten, kühlen, grün-blauen Flächen, durch- zogen vom weissen Schimmer des Wassers und Pulverdampfs, geben den Grund für die warmen, farbig satten Figuren des Vordergrunds, mit ihren rothbraunen Schatten, bis zu dem mäch- tigen Schecken in der Ecke rechts. Auch hier ist für lichte Punkte gesorgt, in dem Prinzen mit dem weissen sonnenbe- leuchteten Wams (man wird an Rembrandts „Nachtwache“ er- innert), im Glanz der Rüstung und Schimmer goldgestickter Seide; im weissen Mantel der abschliessenden Figur rechts, der weiss und hellblau karrirten Fahne. Die stärkste Lichtöffnung hat der Maler in die Mitte und den Mittelgrund verlegt, in die vorbei- defilirenden Truppen; diese Stelle giebt ihm zugleich den hellen Grund für die zwei Protagonisten. Das Licht kommt von links, also Südosten (denn die Uebergabe fand um zehn Uhr morgens statt) und fällt den Spaniern ins Gesicht. Der hellste Punkt in allen Gesichtern ist die Stirn Spinola’s. Alles ist von Luft um- flossen, schwebt im Luftmeer.
Es ist eine militärische Ceremonie, aber eine Ceremonie, in welcher eine lange Epopöe von Kämpfen, wo zwei gewaltige Gegner unter Aufbietung aller Kräfte der Elemente und mensch- lichen Verstands und Willens miteinander rangen, beschlossen und besiegelt wurde. Alles, was diese starken, klugen und kühnen Männer gearbeitet haben — mit jener Veste als Kampf- preis — dessen Pathos drängt sich in diesem Moment, einem mili- tärischen Sakrament gleichsam, zusammen.
Aber die Wellenkreise der Gedanken die es anregt, sie schwingen noch weiter, von der Vergangenheit nach der Zukunft. Die Gestalten des Velazquez, hier noch mehr als sonst reprä- sentativ, beleuchten in einem Strahl das ganze Bild jenes Weltkampfs zweier Völker und Religionen. Hier wurde von der Hand eines spanischen Hofmalers ein spanischer Erfolg ge- feiert, errungen durch Zusammenwirken von vier Nationen, unter der Führung eines Genueser Condottieren. Dieser spanische Gene- ralissimus macht der Bravour eines holländischen Kommandanten sein Kompliment, eines Ketzer- und Rebellenchefs nach den Begriffen seines Staats. Der Enkel jenes Philipp, welcher die Hand des Meuchelmörders gegen den grossen Wilhelm aufrief, er hat seinen Maler mit diesem Bild beauftragt, wo ein Nach- folger Alba’s einen Oranier begrüsst und rühmt. Hat der Schöpfer dieses Bildes damals schon jene Stimmung ausdrücken
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Viertes Buch.
Das Farbensystem ist das der Reiterbilder. Himmel und
Ferne mit ihren breiten, kühlen, grün-blauen Flächen, durch-
zogen vom weissen Schimmer des Wassers und Pulverdampfs,
geben den Grund für die warmen, farbig satten Figuren des
Vordergrunds, mit ihren rothbraunen Schatten, bis zu dem mäch-
tigen Schecken in der Ecke rechts. Auch hier ist für lichte
Punkte gesorgt, in dem Prinzen mit dem weissen sonnenbe-
leuchteten Wams (man wird an Rembrandts „Nachtwache“ er-
innert), im Glanz der Rüstung und Schimmer goldgestickter Seide;
im weissen Mantel der abschliessenden Figur rechts, der weiss
und hellblau karrirten Fahne. Die stärkste Lichtöffnung hat der
Maler in die Mitte und den Mittelgrund verlegt, in die vorbei-
defilirenden Truppen; diese Stelle giebt ihm zugleich den hellen
Grund für die zwei Protagonisten. Das Licht kommt von links,
also Südosten (denn die Uebergabe fand um zehn Uhr morgens
statt) und fällt den Spaniern ins Gesicht. Der hellste Punkt in
allen Gesichtern ist die Stirn Spinola’s. Alles ist von Luft um-
flossen, schwebt im Luftmeer.
Es ist eine militärische Ceremonie, aber eine Ceremonie, in
welcher eine lange Epopöe von Kämpfen, wo zwei gewaltige
Gegner unter Aufbietung aller Kräfte der Elemente und mensch-
lichen Verstands und Willens miteinander rangen, beschlossen
und besiegelt wurde. Alles, was diese starken, klugen und
kühnen Männer gearbeitet haben — mit jener Veste als Kampf-
preis — dessen Pathos drängt sich in diesem Moment, einem mili-
tärischen Sakrament gleichsam, zusammen.
Aber die Wellenkreise der Gedanken die es anregt, sie
schwingen noch weiter, von der Vergangenheit nach der Zukunft.
Die Gestalten des Velazquez, hier noch mehr als sonst reprä-
sentativ, beleuchten in einem Strahl das ganze Bild jenes
Weltkampfs zweier Völker und Religionen. Hier wurde von
der Hand eines spanischen Hofmalers ein spanischer Erfolg ge-
feiert, errungen durch Zusammenwirken von vier Nationen, unter
der Führung eines Genueser Condottieren. Dieser spanische Gene-
ralissimus macht der Bravour eines holländischen Kommandanten
sein Kompliment, eines Ketzer- und Rebellenchefs nach den
Begriffen seines Staats. Der Enkel jenes Philipp, welcher die
Hand des Meuchelmörders gegen den grossen Wilhelm aufrief,
er hat seinen Maler mit diesem Bild beauftragt, wo ein Nach-
folger Alba’s einen Oranier begrüsst und rühmt. Hat der
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/394>, abgerufen am 23.11.2024.
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