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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Uebergabe von Breda.
wollen, die bald nachher siegte, als man sich dort mit dem Gedan-
ken vertraut gemacht hatte, die vereinigten Provinzen als souverä-
nen Staat anzuerkennen und ihre Gesandten in der Königsburg
Philipp II zu empfangen? Wir wissen es nicht.

Jemand hat behauptet, auch als er das Museum in Madrid
gesehen hatte, "dass es Velazquez für alle in das Gebiet der
höheren geistigen Sphäre der Kunst fallende Aufgaben durchaus
an den erforderlichen Eigenschaften gefehlt habe" 1). Den Be-
weis dieses strengen Urtheils sollen die religiösen und mytholo-
gischen Bilder beibringen.

Aber was heisst "höhere geistige Sphäre der Kunst?"
Ist es Gedanken- und Programmmalerei? wie die im Plafond des
goldschimmernden sechszehnsäuligen Saals im Palast Serra zu
Genua, wo Ambrosius Spinola, ein Elias, zwischen allegorischen
Damen zum Himmel fährt? Hätte die Minerva mit dem Hahne,
Herkules mit dem Grabscheit2) und der Flussgott Merka dabei
sein müssen?

Oder ist es der Ausdruck seelischer Vorgänge und der Ver-
stand der Anordnung, auf die man sonst die Grösse Raphaels
gründete? Wir glauben, dass die Uebergabe von Breda sich in
diesem Punkte wol neben dem Zimmer des Heliodor sehn lassen
kann. Es hat aber Kritiker gegeben, denen es schon ärgerlich
gewesen wäre, dass Velazquez nur den 5. Juni 1625 malte.

Wenige Historienbilder enthalten sowenig Geistloses (d. h.
Phrase und Schablone); an wenige ist soviel Geist (künstlerisch
und menschlich) gewandt worden; wenige geben so viel zu
denken, und noch wenigere lassen wie dieses einen Künstler von
wahrem Geistesadel erkennen. --

Ausnahmsweise finden sich mehrere Skizzen für Einzelfiguren.
In der Sammlung der Biblioteca nacional (Mittlere Bände III, 22)
ist eine Kohlenskizze auf weiss Papier, wo die Umrisse mehr
unbestimmt versucht als in festen Linien entworfen sind. Die
Hauptfigur ist der Reitknecht hinter dem Pferd Spinola's, dessen
unverdeckte Figur gezeichnet ist, den rechten Arm in die Seite ge-
stemmt. Daneben rechts, nur halb so gross, der horchende Jüngling,
der hier zwei Finger erhebt. Auf der Rückseite desselben Blatts,
viel kleiner, in ganz stumpfer, schwacher Contour, Spinola. Ausser-

1) Waagen in Zahn's Jahrbüchern.
2) In dem nach Rubens' Zeichnung gestochenen Titelkupfer der Obsidio
Bredana.

Die Uebergabe von Breda.
wollen, die bald nachher siegte, als man sich dort mit dem Gedan-
ken vertraut gemacht hatte, die vereinigten Provinzen als souverä-
nen Staat anzuerkennen und ihre Gesandten in der Königsburg
Philipp II zu empfangen? Wir wissen es nicht.

Jemand hat behauptet, auch als er das Museum in Madrid
gesehen hatte, „dass es Velazquez für alle in das Gebiet der
höheren geistigen Sphäre der Kunst fallende Aufgaben durchaus
an den erforderlichen Eigenschaften gefehlt habe“ 1). Den Be-
weis dieses strengen Urtheils sollen die religiösen und mytholo-
gischen Bilder beibringen.

Aber was heisst „höhere geistige Sphäre der Kunst?“
Ist es Gedanken- und Programmmalerei? wie die im Plafond des
goldschimmernden sechszehnsäuligen Saals im Palast Serra zu
Genua, wo Ambrosius Spinola, ein Elias, zwischen allegorischen
Damen zum Himmel fährt? Hätte die Minerva mit dem Hahne,
Herkules mit dem Grabscheit2) und der Flussgott Merka dabei
sein müssen?

Oder ist es der Ausdruck seelischer Vorgänge und der Ver-
stand der Anordnung, auf die man sonst die Grösse Raphaels
gründete? Wir glauben, dass die Uebergabe von Breda sich in
diesem Punkte wol neben dem Zimmer des Heliodor sehn lassen
kann. Es hat aber Kritiker gegeben, denen es schon ärgerlich
gewesen wäre, dass Velazquez nur den 5. Juni 1625 malte.

Wenige Historienbilder enthalten sowenig Geistloses (d. h.
Phrase und Schablone); an wenige ist soviel Geist (künstlerisch
und menschlich) gewandt worden; wenige geben so viel zu
denken, und noch wenigere lassen wie dieses einen Künstler von
wahrem Geistesadel erkennen. —

Ausnahmsweise finden sich mehrere Skizzen für Einzelfiguren.
In der Sammlung der Biblioteca nacional (Mittlere Bände III, 22)
ist eine Kohlenskizze auf weiss Papier, wo die Umrisse mehr
unbestimmt versucht als in festen Linien entworfen sind. Die
Hauptfigur ist der Reitknecht hinter dem Pferd Spinola’s, dessen
unverdeckte Figur gezeichnet ist, den rechten Arm in die Seite ge-
stemmt. Daneben rechts, nur halb so gross, der horchende Jüngling,
der hier zwei Finger erhebt. Auf der Rückseite desselben Blatts,
viel kleiner, in ganz stumpfer, schwacher Contour, Spinola. Ausser-

1) Waagen in Zahn’s Jahrbüchern.
2) In dem nach Rubens’ Zeichnung gestochenen Titelkupfer der Obsidio
Bredana.
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[367/0395] Die Uebergabe von Breda. wollen, die bald nachher siegte, als man sich dort mit dem Gedan- ken vertraut gemacht hatte, die vereinigten Provinzen als souverä- nen Staat anzuerkennen und ihre Gesandten in der Königsburg Philipp II zu empfangen? Wir wissen es nicht. Jemand hat behauptet, auch als er das Museum in Madrid gesehen hatte, „dass es Velazquez für alle in das Gebiet der höheren geistigen Sphäre der Kunst fallende Aufgaben durchaus an den erforderlichen Eigenschaften gefehlt habe“ 1). Den Be- weis dieses strengen Urtheils sollen die religiösen und mytholo- gischen Bilder beibringen. Aber was heisst „höhere geistige Sphäre der Kunst?“ Ist es Gedanken- und Programmmalerei? wie die im Plafond des goldschimmernden sechszehnsäuligen Saals im Palast Serra zu Genua, wo Ambrosius Spinola, ein Elias, zwischen allegorischen Damen zum Himmel fährt? Hätte die Minerva mit dem Hahne, Herkules mit dem Grabscheit 2) und der Flussgott Merka dabei sein müssen? Oder ist es der Ausdruck seelischer Vorgänge und der Ver- stand der Anordnung, auf die man sonst die Grösse Raphaels gründete? Wir glauben, dass die Uebergabe von Breda sich in diesem Punkte wol neben dem Zimmer des Heliodor sehn lassen kann. Es hat aber Kritiker gegeben, denen es schon ärgerlich gewesen wäre, dass Velazquez nur den 5. Juni 1625 malte. Wenige Historienbilder enthalten sowenig Geistloses (d. h. Phrase und Schablone); an wenige ist soviel Geist (künstlerisch und menschlich) gewandt worden; wenige geben so viel zu denken, und noch wenigere lassen wie dieses einen Künstler von wahrem Geistesadel erkennen. — Ausnahmsweise finden sich mehrere Skizzen für Einzelfiguren. In der Sammlung der Biblioteca nacional (Mittlere Bände III, 22) ist eine Kohlenskizze auf weiss Papier, wo die Umrisse mehr unbestimmt versucht als in festen Linien entworfen sind. Die Hauptfigur ist der Reitknecht hinter dem Pferd Spinola’s, dessen unverdeckte Figur gezeichnet ist, den rechten Arm in die Seite ge- stemmt. Daneben rechts, nur halb so gross, der horchende Jüngling, der hier zwei Finger erhebt. Auf der Rückseite desselben Blatts, viel kleiner, in ganz stumpfer, schwacher Contour, Spinola. Ausser- 1) Waagen in Zahn’s Jahrbüchern. 2) In dem nach Rubens’ Zeichnung gestochenen Titelkupfer der Obsidio Bredana.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/395>, abgerufen am 23.11.2024.