Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Uebergabe von Breda.
ohne Zweifel von Anfang an in Buen Retiro; fänden sich frühere
Inventare dieses Lustorts, so würde man vielleicht Daten über
die Entstehungszeit erhalten. Bis jetzt fehlt es an allen Zeug-
nissen. Die Meinung, dass es 1647 gemalt sei, ist eine reine Ver-
muthung.

Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Die Wahl
des Gegenstandes würde am besten kurz nach der Mitte der
dreissige passen, bald nach Aufstellung der zwölf Feldherrnbilder
im Salon des Retiro. Das Gemälde gleichen Inhalts von Jose
Leonardo gehörte in der Malerei, in den Köpfen und Einzel-
heiten zu den besten des Cyclus. Was die Kritik herausforderte
waren weniger künstlerische als stofflich-geschichtliche Unge-
hörigkeiten. Aber Fehler verlieren durch Zeit und Gewöhnung
ihr Anstössiges. Ferner war die Einnahme von Breda schon am
Ende der dreissiger Jahre durch aufregende Ereignisse glück-
licher und unglücklicher Art in den Hintergrund gedrängt wor-
den. Ein kecker Einfall Conde's und die Belagerung einer Grenz-
festung war glänzend zurückgewiesen worden; aber kurz darauf
ging Portugal verloren und der catalonische Aufstand führte zur
Occupation einer grossen Provinz durch die Franzosen. Noch
mehr, Breda war nach zwölf Jahren (1637) von den Holländern
wiedergenommen worden, und unter wenig ehrenvollen Umstän-
den für die Spanier1). Die berühmte Belagerung konnte jetzt
nur peinliche Empfindungen wecken. Ihre wiederholte Vorfüh-
rung würde besser zu dem kriegerischen, hoffnungsvollen Geist
des vierten Jahrzehnts passen.

Nun aber scheint der Stil des Gemäldes auf eine spätere
Zeit zu führen. Die Breite und Lockerheit des Pinsels kündigt
den dritten Stil an. Aber jenes signirte und datirte Porträt des
Admirals Pulido, welches Palomino als Exempel der Bravour
(valentia) anführt, wo er mit langen Borstenpinseln für den Ein-
druck aus der Ferne arbeitete, fällt schon in's Jahr 1639.

Sucht man nach demselben System gemalte Werke, so fällt
der Blick natürlich auf die Reiterbilder. Da ist nun das einzige
sicher datirte der Prinz Balthasar, schon um 1635 gemalt. Diess
ist im Eindruck ähnlich, in der Malführung schärfer und dünner,
im Ton lichter. Olivares Reiterporträt muss ungefähr ein Lustrum

1) Breda se perdio a mi juicio mal, porque no ha resistido mas de 56 dias,
siendo la plaza mas fuerte de Europa. So schreibt der Cardinalinfant dem Könige,
den 18. September 1637.
24

Die Uebergabe von Breda.
ohne Zweifel von Anfang an in Buen Retiro; fänden sich frühere
Inventare dieses Lustorts, so würde man vielleicht Daten über
die Entstehungszeit erhalten. Bis jetzt fehlt es an allen Zeug-
nissen. Die Meinung, dass es 1647 gemalt sei, ist eine reine Ver-
muthung.

Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Die Wahl
des Gegenstandes würde am besten kurz nach der Mitte der
dreissige passen, bald nach Aufstellung der zwölf Feldherrnbilder
im Salon des Retiro. Das Gemälde gleichen Inhalts von José
Leonardo gehörte in der Malerei, in den Köpfen und Einzel-
heiten zu den besten des Cyclus. Was die Kritik herausforderte
waren weniger künstlerische als stofflich-geschichtliche Unge-
hörigkeiten. Aber Fehler verlieren durch Zeit und Gewöhnung
ihr Anstössiges. Ferner war die Einnahme von Breda schon am
Ende der dreissiger Jahre durch aufregende Ereignisse glück-
licher und unglücklicher Art in den Hintergrund gedrängt wor-
den. Ein kecker Einfall Condé’s und die Belagerung einer Grenz-
festung war glänzend zurückgewiesen worden; aber kurz darauf
ging Portugal verloren und der catalonische Aufstand führte zur
Occupation einer grossen Provinz durch die Franzosen. Noch
mehr, Breda war nach zwölf Jahren (1637) von den Holländern
wiedergenommen worden, und unter wenig ehrenvollen Umstän-
den für die Spanier1). Die berühmte Belagerung konnte jetzt
nur peinliche Empfindungen wecken. Ihre wiederholte Vorfüh-
rung würde besser zu dem kriegerischen, hoffnungsvollen Geist
des vierten Jahrzehnts passen.

Nun aber scheint der Stil des Gemäldes auf eine spätere
Zeit zu führen. Die Breite und Lockerheit des Pinsels kündigt
den dritten Stil an. Aber jenes signirte und datirte Porträt des
Admirals Pulido, welches Palomino als Exempel der Bravour
(valentia) anführt, wo er mit langen Borstenpinseln für den Ein-
druck aus der Ferne arbeitete, fällt schon in’s Jahr 1639.

Sucht man nach demselben System gemalte Werke, so fällt
der Blick natürlich auf die Reiterbilder. Da ist nun das einzige
sicher datirte der Prinz Balthasar, schon um 1635 gemalt. Diess
ist im Eindruck ähnlich, in der Malführung schärfer und dünner,
im Ton lichter. Olivares Reiterporträt muss ungefähr ein Lustrum

1) Breda se perdió á mi juicio mal, porque no ha resistido mas de 56 dias,
siendo la plaza mas fuerte de Europa. So schreibt der Cardinalinfant dem Könige,
den 18. September 1637.
24
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0397" n="369"/><fw place="top" type="header">Die Uebergabe von Breda.</fw><lb/>
ohne Zweifel von Anfang an in Buen Retiro; fänden sich frühere<lb/>
Inventare dieses Lustorts, so würde man vielleicht Daten über<lb/>
die Entstehungszeit erhalten. Bis jetzt fehlt es an allen Zeug-<lb/>
nissen. Die Meinung, dass es 1647 gemalt sei, ist eine reine Ver-<lb/>
muthung.</p><lb/>
          <p>Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Die Wahl<lb/>
des Gegenstandes würde am besten kurz nach der Mitte der<lb/>
dreissige passen, bald nach Aufstellung der zwölf Feldherrnbilder<lb/>
im Salon des Retiro. Das Gemälde gleichen Inhalts von José<lb/>
Leonardo gehörte in der Malerei, in den Köpfen und Einzel-<lb/>
heiten zu den besten des Cyclus. Was die Kritik herausforderte<lb/>
waren weniger künstlerische als stofflich-geschichtliche Unge-<lb/>
hörigkeiten. Aber Fehler verlieren durch Zeit und Gewöhnung<lb/>
ihr Anstössiges. Ferner war die Einnahme von Breda schon am<lb/>
Ende der dreissiger Jahre durch aufregende Ereignisse glück-<lb/>
licher und unglücklicher Art in den Hintergrund gedrängt wor-<lb/>
den. Ein kecker Einfall Condé&#x2019;s und die Belagerung einer Grenz-<lb/>
festung war glänzend zurückgewiesen worden; aber kurz darauf<lb/>
ging Portugal verloren und der catalonische Aufstand führte zur<lb/>
Occupation einer grossen Provinz durch die Franzosen. Noch<lb/>
mehr, Breda war nach zwölf Jahren (1637) von den Holländern<lb/>
wiedergenommen worden, und unter wenig ehrenvollen Umstän-<lb/>
den für die Spanier<note place="foot" n="1)">Breda se perdió á mi juicio mal, porque no ha resistido mas de 56 dias,<lb/>
siendo la plaza mas fuerte de Europa. So schreibt der Cardinalinfant dem Könige,<lb/>
den 18. September 1637.</note>. Die berühmte Belagerung konnte jetzt<lb/>
nur peinliche Empfindungen wecken. Ihre wiederholte Vorfüh-<lb/>
rung würde besser zu dem kriegerischen, hoffnungsvollen Geist<lb/>
des vierten Jahrzehnts passen.</p><lb/>
          <p>Nun aber scheint der Stil des Gemäldes auf eine spätere<lb/>
Zeit zu führen. Die Breite und Lockerheit des Pinsels kündigt<lb/>
den dritten Stil an. Aber jenes signirte und datirte Porträt des<lb/>
Admirals Pulido, welches Palomino als Exempel der Bravour<lb/>
(<hi rendition="#i">valentia</hi>) anführt, wo er mit langen Borstenpinseln für den Ein-<lb/>
druck aus der Ferne arbeitete, fällt schon in&#x2019;s Jahr 1639.</p><lb/>
          <p>Sucht man nach demselben System gemalte Werke, so fällt<lb/>
der Blick natürlich auf die Reiterbilder. Da ist nun das einzige<lb/>
sicher datirte der Prinz Balthasar, schon um 1635 gemalt. Diess<lb/>
ist im Eindruck ähnlich, in der Malführung schärfer und dünner,<lb/>
im Ton lichter. Olivares Reiterporträt muss ungefähr ein Lustrum<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">24</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[369/0397] Die Uebergabe von Breda. ohne Zweifel von Anfang an in Buen Retiro; fänden sich frühere Inventare dieses Lustorts, so würde man vielleicht Daten über die Entstehungszeit erhalten. Bis jetzt fehlt es an allen Zeug- nissen. Die Meinung, dass es 1647 gemalt sei, ist eine reine Ver- muthung. Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Die Wahl des Gegenstandes würde am besten kurz nach der Mitte der dreissige passen, bald nach Aufstellung der zwölf Feldherrnbilder im Salon des Retiro. Das Gemälde gleichen Inhalts von José Leonardo gehörte in der Malerei, in den Köpfen und Einzel- heiten zu den besten des Cyclus. Was die Kritik herausforderte waren weniger künstlerische als stofflich-geschichtliche Unge- hörigkeiten. Aber Fehler verlieren durch Zeit und Gewöhnung ihr Anstössiges. Ferner war die Einnahme von Breda schon am Ende der dreissiger Jahre durch aufregende Ereignisse glück- licher und unglücklicher Art in den Hintergrund gedrängt wor- den. Ein kecker Einfall Condé’s und die Belagerung einer Grenz- festung war glänzend zurückgewiesen worden; aber kurz darauf ging Portugal verloren und der catalonische Aufstand führte zur Occupation einer grossen Provinz durch die Franzosen. Noch mehr, Breda war nach zwölf Jahren (1637) von den Holländern wiedergenommen worden, und unter wenig ehrenvollen Umstän- den für die Spanier 1). Die berühmte Belagerung konnte jetzt nur peinliche Empfindungen wecken. Ihre wiederholte Vorfüh- rung würde besser zu dem kriegerischen, hoffnungsvollen Geist des vierten Jahrzehnts passen. Nun aber scheint der Stil des Gemäldes auf eine spätere Zeit zu führen. Die Breite und Lockerheit des Pinsels kündigt den dritten Stil an. Aber jenes signirte und datirte Porträt des Admirals Pulido, welches Palomino als Exempel der Bravour (valentia) anführt, wo er mit langen Borstenpinseln für den Ein- druck aus der Ferne arbeitete, fällt schon in’s Jahr 1639. Sucht man nach demselben System gemalte Werke, so fällt der Blick natürlich auf die Reiterbilder. Da ist nun das einzige sicher datirte der Prinz Balthasar, schon um 1635 gemalt. Diess ist im Eindruck ähnlich, in der Malführung schärfer und dünner, im Ton lichter. Olivares Reiterporträt muss ungefähr ein Lustrum 1) Breda se perdió á mi juicio mal, porque no ha resistido mas de 56 dias, siendo la plaza mas fuerte de Europa. So schreibt der Cardinalinfant dem Könige, den 18. September 1637. 24

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/397
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/397>, abgerufen am 23.11.2024.