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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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die dabei vorgeführt werden mussten, forderten vom Darsteller
Kenntniss des Sports, die Treffsicherheit des grossen Bild-
nissmalers und das Genie Callot's für räumliche Austheilung
von hunderten charakteristischer Figürchen. Wenige Bilder ha-
ben unserm Maler wol soviel Mühe gekostet. Zu keinen finden
sich so viele Vorstudien, besonders der Zuschauergruppen, die
man zuweilen für selbständige Gemälde gehalten und so gedeu-
tet hat. Der Auftraggeber wollte ein exaktes Bild sehn, wie
eine Momentphotographie, und so sehn sie in der That aus: aber
ein Mann wie Velazquez malt keine Hofzeitung: nur Maler
vermögen zu beurtheilen, wieviel versteckte Kunst und Berech-
nung darin enthalten ist. Ein Theil der Figuren sind Skizzen
für grosse Bildnisse gleichwerthig.

Es gab in den königlichen Schlössern früherer Jahrhunderte
mehrere grosse Saujagden, darunter mindestens zwei, die Velaz-
quez zugeschrieben wurden. Die Entstehungszeit und die Wan-
derungen der einzigen erhaltenen sind daraus nicht sicher zu
ermitteln1). Sie befinden sich natürlich im heutigen klassischen
Lande des Sports, England. Das grosse Gemälde für die Torre
de la parada, von dem der Maler in dem Gesuch vom Jahr 1637
(S. 332) spricht, ist wahrscheinlich eine solche Jagd.

"Die Saujagd, schreibt der Cardinalinfant Ferdinand aus
Brüssel den 21. Januar 1638, ist die grösste Jagd von allen."
Nach Juan Mateos und Martinez de Espinar hat sich über alle

1) Zuerst im Inventar des alten Schlosses von 1686 kommt eine Monteria de
jabalies Philipp IV von Velazquez vor, 31/2 varas breit, 2 hoch, taxirt zu 150 do-
blones. Sie hing in dem Thurmgemach nach dem Park zu. Diese Maasse stimmen
mit denen des Gemäldes der Nationalgalerie (10' 3" x 6' 2"). -- Gleichzeitig
aber befand sich laut der Testamentaria Carl II (1701) am Ende des Jahrhunderts
in dem siebten Zimmer der Torre de la parada eine Tela real de javalies con
orquillas, von derselben Breite (31/2 Ellen), neben drei gleichgrossen Jagdstücken,
nämlich der Wolfsjagd, der Hühnerjagd (caza de buitron) und dem oben erwähnten
Jagdabenteuer mit dem Keiler, der des Königs Pferd aufriss. Im Jahre 1714 steht
an der Stelle der Hühnerjagd die grosse Hirschjagd. Nur das erste Stück wird
dem Velez, Velazquez zugeschrieben, die übrigen einem bald Arniens, bald Arinente,
bald Seiniers geschriebenen Maler, der meiner Ansicht nach Peter Snayers ist.
Diese Bilder wurden nach der Verwüstung der Torre in das Pardoschloss über-
geführt. -- Im achtzehnten Jahrhundert finden wir im Neuen Schloss (1747) eine
Cazeria de Javalies Philipp IV im Pardo, Original des Velazquez, von denselben
Maassen; und 1772 eine ebensolche im Buen Retiro. -- Ponz sah ein solches Bild
im "grossen Saal" des Schlosses; er nennt es Una diversion de caza en el Pardo,
en que hay figuras chicas de mucha naturalidad y gusto.

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die dabei vorgeführt werden mussten, forderten vom Darsteller
Kenntniss des Sports, die Treffsicherheit des grossen Bild-
nissmalers und das Genie Callot’s für räumliche Austheilung
von hunderten charakteristischer Figürchen. Wenige Bilder ha-
ben unserm Maler wol soviel Mühe gekostet. Zu keinen finden
sich so viele Vorstudien, besonders der Zuschauergruppen, die
man zuweilen für selbständige Gemälde gehalten und so gedeu-
tet hat. Der Auftraggeber wollte ein exaktes Bild sehn, wie
eine Momentphotographie, und so sehn sie in der That aus: aber
ein Mann wie Velazquez malt keine Hofzeitung: nur Maler
vermögen zu beurtheilen, wieviel versteckte Kunst und Berech-
nung darin enthalten ist. Ein Theil der Figuren sind Skizzen
für grosse Bildnisse gleichwerthig.

Es gab in den königlichen Schlössern früherer Jahrhunderte
mehrere grosse Saujagden, darunter mindestens zwei, die Velaz-
quez zugeschrieben wurden. Die Entstehungszeit und die Wan-
derungen der einzigen erhaltenen sind daraus nicht sicher zu
ermitteln1). Sie befinden sich natürlich im heutigen klassischen
Lande des Sports, England. Das grosse Gemälde für die Torre
de la parada, von dem der Maler in dem Gesuch vom Jahr 1637
(S. 332) spricht, ist wahrscheinlich eine solche Jagd.

„Die Saujagd, schreibt der Cardinalinfant Ferdinand aus
Brüssel den 21. Januar 1638, ist die grösste Jagd von allen.“
Nach Juan Mateos und Martinez de Espinar hat sich über alle

1) Zuerst im Inventar des alten Schlosses von 1686 kommt eine Monteria de
jabalíes Philipp IV von Velazquez vor, 3½ varas breit, 2 hoch, taxirt zu 150 do-
blones. Sie hing in dem Thurmgemach nach dem Park zu. Diese Maasse stimmen
mit denen des Gemäldes der Nationalgalerie (10' 3″ × 6' 2″). — Gleichzeitig
aber befand sich laut der Testamentaria Carl II (1701) am Ende des Jahrhunderts
in dem siebten Zimmer der Torre de la parada eine Tela real de javalies con
orquillas, von derselben Breite (3½ Ellen), neben drei gleichgrossen Jagdstücken,
nämlich der Wolfsjagd, der Hühnerjagd (caza de buitron) und dem oben erwähnten
Jagdabenteuer mit dem Keiler, der des Königs Pferd aufriss. Im Jahre 1714 steht
an der Stelle der Hühnerjagd die grosse Hirschjagd. Nur das erste Stück wird
dem Velez, Velazquez zugeschrieben, die übrigen einem bald Arniens, bald Arinente,
bald Seiniers geschriebenen Maler, der meiner Ansicht nach Peter Snayers ist.
Diese Bilder wurden nach der Verwüstung der Torre in das Pardoschloss über-
geführt. — Im achtzehnten Jahrhundert finden wir im Neuen Schloss (1747) eine
Cazeria de Javalies Philipp IV im Pardo, Original des Velazquez, von denselben
Maassen; und 1772 eine ebensolche im Buen Retiro. — Ponz sah ein solches Bild
im „grossen Saal“ des Schlosses; er nennt es Una diversion de caza en el Pardo,
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[379/0407] Tela real. die dabei vorgeführt werden mussten, forderten vom Darsteller Kenntniss des Sports, die Treffsicherheit des grossen Bild- nissmalers und das Genie Callot’s für räumliche Austheilung von hunderten charakteristischer Figürchen. Wenige Bilder ha- ben unserm Maler wol soviel Mühe gekostet. Zu keinen finden sich so viele Vorstudien, besonders der Zuschauergruppen, die man zuweilen für selbständige Gemälde gehalten und so gedeu- tet hat. Der Auftraggeber wollte ein exaktes Bild sehn, wie eine Momentphotographie, und so sehn sie in der That aus: aber ein Mann wie Velazquez malt keine Hofzeitung: nur Maler vermögen zu beurtheilen, wieviel versteckte Kunst und Berech- nung darin enthalten ist. Ein Theil der Figuren sind Skizzen für grosse Bildnisse gleichwerthig. Es gab in den königlichen Schlössern früherer Jahrhunderte mehrere grosse Saujagden, darunter mindestens zwei, die Velaz- quez zugeschrieben wurden. Die Entstehungszeit und die Wan- derungen der einzigen erhaltenen sind daraus nicht sicher zu ermitteln 1). Sie befinden sich natürlich im heutigen klassischen Lande des Sports, England. Das grosse Gemälde für die Torre de la parada, von dem der Maler in dem Gesuch vom Jahr 1637 (S. 332) spricht, ist wahrscheinlich eine solche Jagd. „Die Saujagd, schreibt der Cardinalinfant Ferdinand aus Brüssel den 21. Januar 1638, ist die grösste Jagd von allen.“ Nach Juan Mateos und Martinez de Espinar hat sich über alle 1) Zuerst im Inventar des alten Schlosses von 1686 kommt eine Monteria de jabalíes Philipp IV von Velazquez vor, 3½ varas breit, 2 hoch, taxirt zu 150 do- blones. Sie hing in dem Thurmgemach nach dem Park zu. Diese Maasse stimmen mit denen des Gemäldes der Nationalgalerie (10' 3″ × 6' 2″). — Gleichzeitig aber befand sich laut der Testamentaria Carl II (1701) am Ende des Jahrhunderts in dem siebten Zimmer der Torre de la parada eine Tela real de javalies con orquillas, von derselben Breite (3½ Ellen), neben drei gleichgrossen Jagdstücken, nämlich der Wolfsjagd, der Hühnerjagd (caza de buitron) und dem oben erwähnten Jagdabenteuer mit dem Keiler, der des Königs Pferd aufriss. Im Jahre 1714 steht an der Stelle der Hühnerjagd die grosse Hirschjagd. Nur das erste Stück wird dem Velez, Velazquez zugeschrieben, die übrigen einem bald Arniens, bald Arinente, bald Seiniers geschriebenen Maler, der meiner Ansicht nach Peter Snayers ist. Diese Bilder wurden nach der Verwüstung der Torre in das Pardoschloss über- geführt. — Im achtzehnten Jahrhundert finden wir im Neuen Schloss (1747) eine Cazeria de Javalies Philipp IV im Pardo, Original des Velazquez, von denselben Maassen; und 1772 eine ebensolche im Buen Retiro. — Ponz sah ein solches Bild im „grossen Saal“ des Schlosses; er nennt es Una diversion de caza en el Pardo, en que hay figuras chicas de mucha naturalidad y gusto.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/407>, abgerufen am 22.11.2024.