Naturae gaudentis et lascivitatis opus. Ludovicus Nonnius.
Es ist ein allgemein menschlicher, wiewol in sehr wechseln- der Stärke verbreiteter Trieb, bei Personen, die einen tiefen Eindruck zurückgelassen haben, mögen sie nun bleibendes für Nation und Menschheit geschaffen haben, oder nur der Spielball eines ausserordentlichen Geschickes gewesen sein, sei es endlich dass wir sie bloss geliebt haben, die Aeusserlichkeiten und die Umgebung ihrer Existenz kennen zu lernen. Wir fragen nach dem Platz wo sie geboren, nach den Bergen deren Luft sie als Kin- der geathmet, und wollen neben ihrem Grabe stehn; wir erkun- digen uns nach ihren Vorfahren, Lehrern und Kameraden. Diesem Trieb ist es Gebrauch geworden, in Biographien Rechnung zu tragen, besonders bei Menschen deren Wirkungskreis der Phan- tasie angehört.
Dieses Bedürfniss beruht auf einem einfachen psychologischen Gesetz und hat an sich gar nichts zu thun mit der wissenschaft- lichen Absicht (durch die man solche Abschweifungen zu recht- fertigen sucht), den Menschen und sein Werk nach Zeitbegrif- fen und dem ursächlichen Zusammenhang zu erklären. Die zufällige Oertlichkeit wo Jemand die Hand des Schicksals in seinem Leben erfahren hat, der Baum der dort stand, der Ruf eines Vogels, der Qualm eines Feuers gräbt sich unauslöschlich
Erstes Buch.
[Abbildung]
Sevilla.
Naturae gaudentis et lascivitatis opus. Ludovicus Nonnius.
Es ist ein allgemein menschlicher, wiewol in sehr wechseln- der Stärke verbreiteter Trieb, bei Personen, die einen tiefen Eindruck zurückgelassen haben, mögen sie nun bleibendes für Nation und Menschheit geschaffen haben, oder nur der Spielball eines ausserordentlichen Geschickes gewesen sein, sei es endlich dass wir sie bloss geliebt haben, die Aeusserlichkeiten und die Umgebung ihrer Existenz kennen zu lernen. Wir fragen nach dem Platz wo sie geboren, nach den Bergen deren Luft sie als Kin- der geathmet, und wollen neben ihrem Grabe stehn; wir erkun- digen uns nach ihren Vorfahren, Lehrern und Kameraden. Diesem Trieb ist es Gebrauch geworden, in Biographien Rechnung zu tragen, besonders bei Menschen deren Wirkungskreis der Phan- tasie angehört.
Dieses Bedürfniss beruht auf einem einfachen psychologischen Gesetz und hat an sich gar nichts zu thun mit der wissenschaft- lichen Absicht (durch die man solche Abschweifungen zu recht- fertigen sucht), den Menschen und sein Werk nach Zeitbegrif- fen und dem ursächlichen Zusammenhang zu erklären. Die zufällige Oertlichkeit wo Jemand die Hand des Schicksals in seinem Leben erfahren hat, der Baum der dort stand, der Ruf eines Vogels, der Qualm eines Feuers gräbt sich unauslöschlich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0042"n="22"/><fwplace="top"type="header">Erstes Buch.</fw><lb/><figure/></div><divn="2"><head><hirendition="#b">Sevilla.</hi></head><lb/><citrendition="#et"><quote> Naturae gaudentis et lascivitatis opus.</quote><lb/><bibl>Ludovicus Nonnius.</bibl></cit><lb/><p>Es ist ein allgemein menschlicher, wiewol in sehr wechseln-<lb/>
der Stärke verbreiteter Trieb, bei Personen, die einen tiefen<lb/>
Eindruck zurückgelassen haben, mögen sie nun bleibendes für<lb/>
Nation und Menschheit geschaffen haben, oder nur der Spielball<lb/>
eines ausserordentlichen Geschickes gewesen sein, sei es endlich<lb/>
dass wir sie bloss geliebt haben, die Aeusserlichkeiten und die<lb/>
Umgebung ihrer Existenz kennen zu lernen. Wir fragen nach dem<lb/>
Platz wo sie geboren, nach den Bergen deren Luft sie als Kin-<lb/>
der geathmet, und wollen neben ihrem Grabe stehn; wir erkun-<lb/>
digen uns nach ihren Vorfahren, Lehrern und Kameraden. Diesem<lb/>
Trieb ist es Gebrauch geworden, in Biographien Rechnung zu<lb/>
tragen, besonders bei Menschen deren Wirkungskreis der Phan-<lb/>
tasie angehört.</p><lb/><p>Dieses Bedürfniss beruht auf einem einfachen psychologischen<lb/>
Gesetz und hat an sich gar nichts zu thun mit der wissenschaft-<lb/>
lichen Absicht (durch die man solche Abschweifungen zu recht-<lb/>
fertigen sucht), den Menschen und sein Werk nach Zeitbegrif-<lb/>
fen und dem ursächlichen Zusammenhang zu erklären. Die<lb/>
zufällige Oertlichkeit wo Jemand die Hand des Schicksals in<lb/>
seinem Leben erfahren hat, der Baum der dort stand, der Ruf<lb/>
eines Vogels, der Qualm eines Feuers gräbt sich unauslöschlich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[22/0042]
Erstes Buch.
[Abbildung]
Sevilla.
Naturae gaudentis et lascivitatis opus.
Ludovicus Nonnius.
Es ist ein allgemein menschlicher, wiewol in sehr wechseln-
der Stärke verbreiteter Trieb, bei Personen, die einen tiefen
Eindruck zurückgelassen haben, mögen sie nun bleibendes für
Nation und Menschheit geschaffen haben, oder nur der Spielball
eines ausserordentlichen Geschickes gewesen sein, sei es endlich
dass wir sie bloss geliebt haben, die Aeusserlichkeiten und die
Umgebung ihrer Existenz kennen zu lernen. Wir fragen nach dem
Platz wo sie geboren, nach den Bergen deren Luft sie als Kin-
der geathmet, und wollen neben ihrem Grabe stehn; wir erkun-
digen uns nach ihren Vorfahren, Lehrern und Kameraden. Diesem
Trieb ist es Gebrauch geworden, in Biographien Rechnung zu
tragen, besonders bei Menschen deren Wirkungskreis der Phan-
tasie angehört.
Dieses Bedürfniss beruht auf einem einfachen psychologischen
Gesetz und hat an sich gar nichts zu thun mit der wissenschaft-
lichen Absicht (durch die man solche Abschweifungen zu recht-
fertigen sucht), den Menschen und sein Werk nach Zeitbegrif-
fen und dem ursächlichen Zusammenhang zu erklären. Die
zufällige Oertlichkeit wo Jemand die Hand des Schicksals in
seinem Leben erfahren hat, der Baum der dort stand, der Ruf
eines Vogels, der Qualm eines Feuers gräbt sich unauslöschlich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/42>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.