Wüsste man von dieser Reise nichts, man würde unbedenk- lich den zwanzig Jahre ältern Zurbaran für sein Vorbild erklä- ren, der wirklich auf dem eben beschriebenen Wege zu ähn- lichen Resultaten gekommen war. Eigene, uns unbekannte Ver- hältnisse müssen obgewaltet haben, welche die Berührung beider Männer verhinderten. Zurbaran hatte in den dreizehn Jahren von 1625--38 mit einer bei seinem peinlichen System erstaun- lichen Fruchtbarkeit Klöster und Kirchen Andalusiens und Estremadura's mit seinen grossen Gemäldecyklen angefüllt1). Von da ab aber ist eine Lücke in seiner Chronologie. Man liest, er sei in seinen Geburtsort Fuente de Cantos zurückgekehrt. Aus dem Jahre 1644 kennen wir von ihm einen Retablo in der Kirche zu Zafra, wenige Meilen von seinem Geburtsort.
Wenn man eine Vermuthung aussprechen darf, so wäre es die, dass nichts geringeres als das grosse Ansehn des Hofmalers, der Eindruck den Murillo vor dessen Werken hatte, dass er hier zu dem grössten Maler der Nation gekommen sei, vermocht hat, seine Vorurtheile gegen den Naturalismus zu brechen. Er war sehr fest in den Gewöhnungen seiner devot-charakterlosen Manier befangen. Aus Carducho's, Pacheco's Büchern erfährt man von dem Anstoss, den das neue Verfahren erregte. Nach- dem Murillo aber einmal durch Gründe und Thatsachen über- zeugt worden war, warf er sich ohne zurückzusehn in den neuen Weg. Er tritt nun zunächst als tenebroso auf, mit finstern Schatten, trübgelbem Lichtschein, Tinten aus der kalten Hälfte des Spec- trums, mit Typen von einer Hausbackigkeit, von einer Nüchtern- heit im Ausdruck, neben der Spagnoletto edel und schwungvoll erscheint. Es zeigte sich nun, dass doch eine gute Dosis spanischen Phlegma's und spanischen Positivismus in ihm gesteckt hatte. Seine Gassenbuben verspotten mit ihrer ungenirten Natürlichkeit alles, was es sonst ihres gleichen giebt, obwol sie an der Luft und Sonne Andalusiens geformt und gefärbt und in ihrer natür- lichen, man möchte sagen, animalischen Grazie unerreicht sind. Von diesen Melonen, Weintrauben, Krügen und Kesseln kann jeder Stilllebenmaler lernen; sein Pinsel scheint da in denselben Teig getaucht, aus dem die Natur die Dinge knetete.
Die Weisen des vorigen Jahrhunderts singen uns freilich ein ganz anderes Lied. Nach ihnen ist Murillo ein Beispiel, wie
1) S. Pedro und S. Thomas 1625, Mercid 1629, S. Bonaventura 1632, Cartuja in Xeres 1635, Mercenarios descalzos in Sevilla 1636, Guadalupe 1638.
Murillo in Madrid.
Wüsste man von dieser Reise nichts, man würde unbedenk- lich den zwanzig Jahre ältern Zurbaran für sein Vorbild erklä- ren, der wirklich auf dem eben beschriebenen Wege zu ähn- lichen Resultaten gekommen war. Eigene, uns unbekannte Ver- hältnisse müssen obgewaltet haben, welche die Berührung beider Männer verhinderten. Zurbaran hatte in den dreizehn Jahren von 1625—38 mit einer bei seinem peinlichen System erstaun- lichen Fruchtbarkeit Klöster und Kirchen Andalusiens und Estremadura’s mit seinen grossen Gemäldecyklen angefüllt1). Von da ab aber ist eine Lücke in seiner Chronologie. Man liest, er sei in seinen Geburtsort Fuente de Cantos zurückgekehrt. Aus dem Jahre 1644 kennen wir von ihm einen Retablo in der Kirche zu Zafra, wenige Meilen von seinem Geburtsort.
Wenn man eine Vermuthung aussprechen darf, so wäre es die, dass nichts geringeres als das grosse Ansehn des Hofmalers, der Eindruck den Murillo vor dessen Werken hatte, dass er hier zu dem grössten Maler der Nation gekommen sei, vermocht hat, seine Vorurtheile gegen den Naturalismus zu brechen. Er war sehr fest in den Gewöhnungen seiner devot-charakterlosen Manier befangen. Aus Carducho’s, Pacheco’s Büchern erfährt man von dem Anstoss, den das neue Verfahren erregte. Nach- dem Murillo aber einmal durch Gründe und Thatsachen über- zeugt worden war, warf er sich ohne zurückzusehn in den neuen Weg. Er tritt nun zunächst als tenebroso auf, mit finstern Schatten, trübgelbem Lichtschein, Tinten aus der kalten Hälfte des Spec- trums, mit Typen von einer Hausbackigkeit, von einer Nüchtern- heit im Ausdruck, neben der Spagnoletto edel und schwungvoll erscheint. Es zeigte sich nun, dass doch eine gute Dosis spanischen Phlegma’s und spanischen Positivismus in ihm gesteckt hatte. Seine Gassenbuben verspotten mit ihrer ungenirten Natürlichkeit alles, was es sonst ihres gleichen giebt, obwol sie an der Luft und Sonne Andalusiens geformt und gefärbt und in ihrer natür- lichen, man möchte sagen, animalischen Grazie unerreicht sind. Von diesen Melonen, Weintrauben, Krügen und Kesseln kann jeder Stilllebenmaler lernen; sein Pinsel scheint da in denselben Teig getaucht, aus dem die Natur die Dinge knetete.
Die Weisen des vorigen Jahrhunderts singen uns freilich ein ganz anderes Lied. Nach ihnen ist Murillo ein Beispiel, wie
1) S. Pedro und S. Thomas 1625, Mercid 1629, S. Bonaventura 1632, Cartuja in Xerés 1635, Mercenarios descalzos in Sevilla 1636, Guadalupe 1638.
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Murillo in Madrid.
Wüsste man von dieser Reise nichts, man würde unbedenk-
lich den zwanzig Jahre ältern Zurbaran für sein Vorbild erklä-
ren, der wirklich auf dem eben beschriebenen Wege zu ähn-
lichen Resultaten gekommen war. Eigene, uns unbekannte Ver-
hältnisse müssen obgewaltet haben, welche die Berührung beider
Männer verhinderten. Zurbaran hatte in den dreizehn Jahren
von 1625—38 mit einer bei seinem peinlichen System erstaun-
lichen Fruchtbarkeit Klöster und Kirchen Andalusiens und
Estremadura’s mit seinen grossen Gemäldecyklen angefüllt 1).
Von da ab aber ist eine Lücke in seiner Chronologie. Man liest,
er sei in seinen Geburtsort Fuente de Cantos zurückgekehrt.
Aus dem Jahre 1644 kennen wir von ihm einen Retablo in der
Kirche zu Zafra, wenige Meilen von seinem Geburtsort.
Wenn man eine Vermuthung aussprechen darf, so wäre es
die, dass nichts geringeres als das grosse Ansehn des Hofmalers,
der Eindruck den Murillo vor dessen Werken hatte, dass er hier
zu dem grössten Maler der Nation gekommen sei, vermocht hat,
seine Vorurtheile gegen den Naturalismus zu brechen. Er war
sehr fest in den Gewöhnungen seiner devot-charakterlosen
Manier befangen. Aus Carducho’s, Pacheco’s Büchern erfährt
man von dem Anstoss, den das neue Verfahren erregte. Nach-
dem Murillo aber einmal durch Gründe und Thatsachen über-
zeugt worden war, warf er sich ohne zurückzusehn in den neuen
Weg. Er tritt nun zunächst als tenebroso auf, mit finstern Schatten,
trübgelbem Lichtschein, Tinten aus der kalten Hälfte des Spec-
trums, mit Typen von einer Hausbackigkeit, von einer Nüchtern-
heit im Ausdruck, neben der Spagnoletto edel und schwungvoll
erscheint. Es zeigte sich nun, dass doch eine gute Dosis spanischen
Phlegma’s und spanischen Positivismus in ihm gesteckt hatte.
Seine Gassenbuben verspotten mit ihrer ungenirten Natürlichkeit
alles, was es sonst ihres gleichen giebt, obwol sie an der Luft
und Sonne Andalusiens geformt und gefärbt und in ihrer natür-
lichen, man möchte sagen, animalischen Grazie unerreicht sind.
Von diesen Melonen, Weintrauben, Krügen und Kesseln kann jeder
Stilllebenmaler lernen; sein Pinsel scheint da in denselben Teig
getaucht, aus dem die Natur die Dinge knetete.
Die Weisen des vorigen Jahrhunderts singen uns freilich
ein ganz anderes Lied. Nach ihnen ist Murillo ein Beispiel, wie
1) S. Pedro und S. Thomas 1625, Mercid 1629, S. Bonaventura 1632, Cartuja
in Xerés 1635, Mercenarios descalzos in Sevilla 1636, Guadalupe 1638.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/439>, abgerufen am 22.11.2024.
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