Seit seiner Uebersiedelung nach der Hauptstadt hatte Ve- lazquez die kirchliche Malerei aufgegeben, wahrscheinlich aus Mangel an Aufforderungen und Zeit, wie an Beruf. Besondere Veranlassungen mögen es gewesen sein, die ihn nach einer Pause von etwa drei Lustren wieder zu religiösen Gegenständen zurückführten. Aber wenn er in jener klösterlich-geistlichen Um- gebung und unter grossen Vorbildern gleichgültige, wenig origi- nelle, zum Theil wunderliche Sachen zu Tage gefördert hatte: jetzt bringt er uns aus diesem wenig geistlichen und geistig leeren Luftkreis des Hofs Werke, die nicht bloss durch Neuheit der Auffassung, sondern auch durch allgemein bezeugte Mäch- tigkeit der Wirkung überraschen. Es sind zwei, ein von jeher bekanntes und ein erst neuerdings zum Vorschein gekommenes Gemälde. Das erstere, das Krucifix galt bis vor Kurzem für eine Ausnahme: "Hätte er dies Krucifix nicht gemalt, sagt Graf de Ris, man würde glauben er thue seinem Genius Gewalt an, wenn er religiöse Gegenstände malte." W. Bürger fand darin etwas Shakespearisches; er nennt es terrible. "Nie ist diese grosse Agonie mächtiger dargestellt worden", lautet Stirling's oft ange- führter Ausspruch, obwol es keine Agonie, sondern der Tod ist. Cumberland meint, diese eine Figur hätte hingereicht, ihn un- sterblich zu machen. Endlich hat man, wol ohne sich viel dabei zu denken, von "Erhebung in die obersten Höhen der Stilmalerei" gesprochen.
Velazquez schloss sich der damals beliebten, auch bei den grossen Italienern und Niederländern vorkommenden Darstel- lung des Gekreuzigten in vollkommener Einsamkeit an. Diese war dem Mittelalter fremd; wol das frühste Beispiel von Meister- hand war das kleine Crucifix Dürer's in der Dresdener Galerie.
Das Krucifix von San Placido.
Christusbilder.
Das Krucifix von San Placido.
Seit seiner Uebersiedelung nach der Hauptstadt hatte Ve- lazquez die kirchliche Malerei aufgegeben, wahrscheinlich aus Mangel an Aufforderungen und Zeit, wie an Beruf. Besondere Veranlassungen mögen es gewesen sein, die ihn nach einer Pause von etwa drei Lustren wieder zu religiösen Gegenständen zurückführten. Aber wenn er in jener klösterlich-geistlichen Um- gebung und unter grossen Vorbildern gleichgültige, wenig origi- nelle, zum Theil wunderliche Sachen zu Tage gefördert hatte: jetzt bringt er uns aus diesem wenig geistlichen und geistig leeren Luftkreis des Hofs Werke, die nicht bloss durch Neuheit der Auffassung, sondern auch durch allgemein bezeugte Mäch- tigkeit der Wirkung überraschen. Es sind zwei, ein von jeher bekanntes und ein erst neuerdings zum Vorschein gekommenes Gemälde. Das erstere, das Krucifix galt bis vor Kurzem für eine Ausnahme: „Hätte er dies Krucifix nicht gemalt, sagt Graf de Ris, man würde glauben er thue seinem Genius Gewalt an, wenn er religiöse Gegenstände malte.“ W. Bürger fand darin etwas Shakespearisches; er nennt es terrible. „Nie ist diese grosse Agonie mächtiger dargestellt worden“, lautet Stirling’s oft ange- führter Ausspruch, obwol es keine Agonie, sondern der Tod ist. Cumberland meint, diese eine Figur hätte hingereicht, ihn un- sterblich zu machen. Endlich hat man, wol ohne sich viel dabei zu denken, von „Erhebung in die obersten Höhen der Stilmalerei“ gesprochen.
Velazquez schloss sich der damals beliebten, auch bei den grossen Italienern und Niederländern vorkommenden Darstel- lung des Gekreuzigten in vollkommener Einsamkeit an. Diese war dem Mittelalter fremd; wol das frühste Beispiel von Meister- hand war das kleine Crucifix Dürer’s in der Dresdener Galerie.
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Das Krucifix von San Placido.
Christusbilder.
Das Krucifix von San Placido.
Seit seiner Uebersiedelung nach der Hauptstadt hatte Ve-
lazquez die kirchliche Malerei aufgegeben, wahrscheinlich aus
Mangel an Aufforderungen und Zeit, wie an Beruf. Besondere
Veranlassungen mögen es gewesen sein, die ihn nach einer
Pause von etwa drei Lustren wieder zu religiösen Gegenständen
zurückführten. Aber wenn er in jener klösterlich-geistlichen Um-
gebung und unter grossen Vorbildern gleichgültige, wenig origi-
nelle, zum Theil wunderliche Sachen zu Tage gefördert hatte:
jetzt bringt er uns aus diesem wenig geistlichen und geistig
leeren Luftkreis des Hofs Werke, die nicht bloss durch Neuheit
der Auffassung, sondern auch durch allgemein bezeugte Mäch-
tigkeit der Wirkung überraschen. Es sind zwei, ein von jeher
bekanntes und ein erst neuerdings zum Vorschein gekommenes
Gemälde. Das erstere, das Krucifix galt bis vor Kurzem für eine
Ausnahme: „Hätte er dies Krucifix nicht gemalt, sagt Graf de Ris,
man würde glauben er thue seinem Genius Gewalt an, wenn er
religiöse Gegenstände malte.“ W. Bürger fand darin etwas
Shakespearisches; er nennt es terrible. „Nie ist diese grosse
Agonie mächtiger dargestellt worden“, lautet Stirling’s oft ange-
führter Ausspruch, obwol es keine Agonie, sondern der Tod ist.
Cumberland meint, diese eine Figur hätte hingereicht, ihn un-
sterblich zu machen. Endlich hat man, wol ohne sich viel dabei
zu denken, von „Erhebung in die obersten Höhen der Stilmalerei“
gesprochen.
Velazquez schloss sich der damals beliebten, auch bei den
grossen Italienern und Niederländern vorkommenden Darstel-
lung des Gekreuzigten in vollkommener Einsamkeit an. Diese
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/443>, abgerufen am 22.11.2024.
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