Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.Viertes Buch. Zwischen jenen Zeilen voll warmer Bewunderung kann [Abbildung]
benden Antlitz dringt;Das Krucifix von San Placido. in bangem nächtlichem Schweigen wie unter dem Fluch der vollbrach- ten Missethat ausgebrei- tete Gefilde in der Tiefe; Sturm in der Mitte. Wie es van Dyck und seinem in diesem Bild schauer- lichen spanischen Nach- ahmer Mateo Corezo vor- schwebte; ein Werk wie Murillo's heil. Franz vor dem Gekreuzigten. Nun aber steht ein In dem regelmässigen noch jugendlichen Körper bemerkt 1) C'est correct, serre, solide, comme un marbre. W. Burger. Serre de dessin
comme un Holbein. Imbert. Viertes Buch. Zwischen jenen Zeilen voll warmer Bewunderung kann [Abbildung]
benden Antlitz dringt;Das Krucifix von San Placido. in bangem nächtlichem Schweigen wie unter dem Fluch der vollbrach- ten Missethat ausgebrei- tete Gefilde in der Tiefe; Sturm in der Mitte. Wie es van Dyck und seinem in diesem Bild schauer- lichen spanischen Nach- ahmer Mateo Corezo vor- schwebte; ein Werk wie Murillo’s heil. Franz vor dem Gekreuzigten. Nun aber steht ein In dem regelmässigen noch jugendlichen Körper bemerkt 1) C’est correct, serré, solide, comme un marbre. W. Burger. Serré de dessin
comme un Holbein. Imbert. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0444" n="416"/> <fw place="top" type="header">Viertes Buch.</fw><lb/> <p>Zwischen jenen Zeilen voll warmer Bewunderung kann<lb/> man doch lesen, dass das Werk die Schreiber zu gleicher<lb/> Zeit wenigstens befremdet hat. Unter einem Crucifix im<lb/> Shakespeare’schen Geist denkt man sich etwas anderes. Ein<lb/> Nachtstück, mit verfinstertem, von schweren Wolken bedeck-<lb/> tem Himmel, aus dem ein trüber Strahl mit Mühe zu dem ster-<lb/><figure><p>Das Krucifix von San Placido.</p></figure><lb/> benden Antlitz dringt;<lb/> in bangem nächtlichem<lb/> Schweigen wie unter<lb/> dem Fluch der vollbrach-<lb/> ten Missethat ausgebrei-<lb/> tete Gefilde in der Tiefe;<lb/> Sturm in der Mitte. Wie<lb/> es van Dyck und seinem<lb/> in diesem Bild schauer-<lb/> lichen spanischen Nach-<lb/> ahmer Mateo Corezo vor-<lb/> schwebte; ein Werk wie<lb/> Murillo’s heil. Franz vor<lb/> dem Gekreuzigten.</p><lb/> <p>Nun aber steht ein<lb/> Werk vor uns, in welchem<lb/> dies alles weggestrichen<lb/> ist. Die Gestalt am Holz<lb/> steht in der Leere einer<lb/> fast schwarzen Fläche:<lb/> mit der Verfinsterung ist<lb/> Ernst gemacht: „wie eine Elfenbeinschnitzerei auf schwarzsammt-<lb/> nem Leichentuch“.</p><lb/> <p>In dem regelmässigen noch jugendlichen Körper bemerkt<lb/> man auch keinen Versuch, die Folgen der martervollen Lage und<lb/> des Todeskampfs auszudrücken: des Hängens, der Streckung und<lb/> Zerrung der Glieder und Muskeln, der letzten krampfhaften Bewe-<lb/> gungen des Lebens, wie bei anderen Malern üblich. Die Beine ruhen<lb/> auf dem Stützbrett, die Arme sind nur angeheftet, nicht belastet.<lb/> Vom Tod ist nichts da als die marmorne Erstarrung <note place="foot" n="1)">C’est correct, serré, solide, comme un marbre. W. Burger. Serré de dessin<lb/> comme un Holbein. Imbert.</note> und selbst<lb/> diese denken wir uns eigentlich hinzu, denn der Künstler malte<lb/> offenbar mit einem lebenden Modell vor Augen, an das er sich<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [416/0444]
Viertes Buch.
Zwischen jenen Zeilen voll warmer Bewunderung kann
man doch lesen, dass das Werk die Schreiber zu gleicher
Zeit wenigstens befremdet hat. Unter einem Crucifix im
Shakespeare’schen Geist denkt man sich etwas anderes. Ein
Nachtstück, mit verfinstertem, von schweren Wolken bedeck-
tem Himmel, aus dem ein trüber Strahl mit Mühe zu dem ster-
[Abbildung Das Krucifix von San Placido.]
benden Antlitz dringt;
in bangem nächtlichem
Schweigen wie unter
dem Fluch der vollbrach-
ten Missethat ausgebrei-
tete Gefilde in der Tiefe;
Sturm in der Mitte. Wie
es van Dyck und seinem
in diesem Bild schauer-
lichen spanischen Nach-
ahmer Mateo Corezo vor-
schwebte; ein Werk wie
Murillo’s heil. Franz vor
dem Gekreuzigten.
Nun aber steht ein
Werk vor uns, in welchem
dies alles weggestrichen
ist. Die Gestalt am Holz
steht in der Leere einer
fast schwarzen Fläche:
mit der Verfinsterung ist
Ernst gemacht: „wie eine Elfenbeinschnitzerei auf schwarzsammt-
nem Leichentuch“.
In dem regelmässigen noch jugendlichen Körper bemerkt
man auch keinen Versuch, die Folgen der martervollen Lage und
des Todeskampfs auszudrücken: des Hängens, der Streckung und
Zerrung der Glieder und Muskeln, der letzten krampfhaften Bewe-
gungen des Lebens, wie bei anderen Malern üblich. Die Beine ruhen
auf dem Stützbrett, die Arme sind nur angeheftet, nicht belastet.
Vom Tod ist nichts da als die marmorne Erstarrung 1) und selbst
diese denken wir uns eigentlich hinzu, denn der Künstler malte
offenbar mit einem lebenden Modell vor Augen, an das er sich
1) C’est correct, serré, solide, comme un marbre. W. Burger. Serré de dessin
comme un Holbein. Imbert.
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