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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Christus an der Säule.
los, er stürzte zu Boden; aber durch den Fall zu sich kommend,
erhob er sich und suchte die Kleider. Ayala in seinem Pictor
Christianus eruditus
(Madrid 1731, p. 153) erwähnt diese Scene
nicht einmal. Man machte sie noch herzbrechender, indem man
Jesus, zu schwach um sich aufzurichten, am Boden mit Händen
und Knien sich nach dem Mantel hinschleppend darstellte.
Solche Bilder erfindet die Volksandacht, oder frommer Eifer er-
findet sie für dieselbe; langsam dringen sie, wenn überhaupt, in
die Hände wirklicher Künstler.

Zur künstlerisch-poetischen Gestaltung, zur Leitung, Mil-
derung des Eindrucks gehört dessen Aufnahme in das Bild
selbst. Zuweilen wird neben den einsamen Heiland der kniende
reuige Petrus gestellt; z. B. in dem Gemälde der alten Schule
von Cordoba, wo das Stifterpaar zu beiden Seiten der Säule kniet
(S. 39), und in der Tafel des Morales in S. Isidro. Oder es sind
Engel hinzugetreten. Dem von allen Verlassenen blieb nur der
Antheil dieser Wesen der unsichtbaren Welt, Genien des Mit-
leids gleichsam: der zeitlose Schmerz der Christenheit selbst in
der Sprache der Kunst. Zwei solche Engel stehen neben Christus
in dem Murillo zugeschriebenen Bilde der Francis Cook'schen
Sammlung zu Richmond. Der eine legt die Hand auf den Arm
des Genossen, der die Hände gefaltet, die Augen von Weinen
geröthet, verloren steht in das unglaubliche Schauspiel: Christus
mit dem letzten Rest von Kraft an der Erde sich fortarbeitend.
Diese Engelgruppe wäre in ihrer Einfachheit und Wahrheit wol
Murillo's würdig.

Auch Pacheco hatte sich mit dieser Scene des seine Klei-
der an sich nehmenden Schmerzensmanns beschäftigt; ein
Schreiben vom 13. Oktober 1609 an Fernando de Cordoba giebt
eine weitläufige Beschreibung seiner Auffassung und der leiten-
den Grundsätze (El Arte de la Pintura I, 248--55). Christus
soll, des tieferen Eindrucks wegen, das Gesicht nach dem Be-
trachter zu kehren; Schamgefühl, die Wirkung der Misshand-
lungen an einer zartgebauten, würdevollen Gestalt sollen ausge-
drückt werden; die blutigen Striemen auf die beschattete Seite,
den Rücken beschränkt werden; die Säule hoch sein, die am Bo-
den zerstreuten Marterwerkzeuge vierfach u. s. w. Die blosse
Beschreibung hatte den Luis del Alcazar zu einem lateinischen
Gedicht begeistert.

Am nächsten kommen der Idee des Velazquez zwei Ge-
mälde, das eine spanischen, das andre italienischen Ursprungs.

Christus an der Säule.
los, er stürzte zu Boden; aber durch den Fall zu sich kommend,
erhob er sich und suchte die Kleider. Ayala in seinem Pictor
Christianus eruditus
(Madrid 1731, p. 153) erwähnt diese Scene
nicht einmal. Man machte sie noch herzbrechender, indem man
Jesus, zu schwach um sich aufzurichten, am Boden mit Händen
und Knien sich nach dem Mantel hinschleppend darstellte.
Solche Bilder erfindet die Volksandacht, oder frommer Eifer er-
findet sie für dieselbe; langsam dringen sie, wenn überhaupt, in
die Hände wirklicher Künstler.

Zur künstlerisch-poetischen Gestaltung, zur Leitung, Mil-
derung des Eindrucks gehört dessen Aufnahme in das Bild
selbst. Zuweilen wird neben den einsamen Heiland der kniende
reuige Petrus gestellt; z. B. in dem Gemälde der alten Schule
von Cordoba, wo das Stifterpaar zu beiden Seiten der Säule kniet
(S. 39), und in der Tafel des Morales in S. Isidro. Oder es sind
Engel hinzugetreten. Dem von allen Verlassenen blieb nur der
Antheil dieser Wesen der unsichtbaren Welt, Genien des Mit-
leids gleichsam: der zeitlose Schmerz der Christenheit selbst in
der Sprache der Kunst. Zwei solche Engel stehen neben Christus
in dem Murillo zugeschriebenen Bilde der Francis Cook’schen
Sammlung zu Richmond. Der eine legt die Hand auf den Arm
des Genossen, der die Hände gefaltet, die Augen von Weinen
geröthet, verloren steht in das unglaubliche Schauspiel: Christus
mit dem letzten Rest von Kraft an der Erde sich fortarbeitend.
Diese Engelgruppe wäre in ihrer Einfachheit und Wahrheit wol
Murillo’s würdig.

Auch Pacheco hatte sich mit dieser Scene des seine Klei-
der an sich nehmenden Schmerzensmanns beschäftigt; ein
Schreiben vom 13. Oktober 1609 an Fernando de Cordoba giebt
eine weitläufige Beschreibung seiner Auffassung und der leiten-
den Grundsätze (El Arte de la Pintura I, 248—55). Christus
soll, des tieferen Eindrucks wegen, das Gesicht nach dem Be-
trachter zu kehren; Schamgefühl, die Wirkung der Misshand-
lungen an einer zartgebauten, würdevollen Gestalt sollen ausge-
drückt werden; die blutigen Striemen auf die beschattete Seite,
den Rücken beschränkt werden; die Säule hoch sein, die am Bo-
den zerstreuten Marterwerkzeuge vierfach u. s. w. Die blosse
Beschreibung hatte den Luis del Alcazar zu einem lateinischen
Gedicht begeistert.

Am nächsten kommen der Idee des Velazquez zwei Ge-
mälde, das eine spanischen, das andre italienischen Ursprungs.

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[423/0451] Christus an der Säule. los, er stürzte zu Boden; aber durch den Fall zu sich kommend, erhob er sich und suchte die Kleider. Ayala in seinem Pictor Christianus eruditus (Madrid 1731, p. 153) erwähnt diese Scene nicht einmal. Man machte sie noch herzbrechender, indem man Jesus, zu schwach um sich aufzurichten, am Boden mit Händen und Knien sich nach dem Mantel hinschleppend darstellte. Solche Bilder erfindet die Volksandacht, oder frommer Eifer er- findet sie für dieselbe; langsam dringen sie, wenn überhaupt, in die Hände wirklicher Künstler. Zur künstlerisch-poetischen Gestaltung, zur Leitung, Mil- derung des Eindrucks gehört dessen Aufnahme in das Bild selbst. Zuweilen wird neben den einsamen Heiland der kniende reuige Petrus gestellt; z. B. in dem Gemälde der alten Schule von Cordoba, wo das Stifterpaar zu beiden Seiten der Säule kniet (S. 39), und in der Tafel des Morales in S. Isidro. Oder es sind Engel hinzugetreten. Dem von allen Verlassenen blieb nur der Antheil dieser Wesen der unsichtbaren Welt, Genien des Mit- leids gleichsam: der zeitlose Schmerz der Christenheit selbst in der Sprache der Kunst. Zwei solche Engel stehen neben Christus in dem Murillo zugeschriebenen Bilde der Francis Cook’schen Sammlung zu Richmond. Der eine legt die Hand auf den Arm des Genossen, der die Hände gefaltet, die Augen von Weinen geröthet, verloren steht in das unglaubliche Schauspiel: Christus mit dem letzten Rest von Kraft an der Erde sich fortarbeitend. Diese Engelgruppe wäre in ihrer Einfachheit und Wahrheit wol Murillo’s würdig. Auch Pacheco hatte sich mit dieser Scene des seine Klei- der an sich nehmenden Schmerzensmanns beschäftigt; ein Schreiben vom 13. Oktober 1609 an Fernando de Cordoba giebt eine weitläufige Beschreibung seiner Auffassung und der leiten- den Grundsätze (El Arte de la Pintura I, 248—55). Christus soll, des tieferen Eindrucks wegen, das Gesicht nach dem Be- trachter zu kehren; Schamgefühl, die Wirkung der Misshand- lungen an einer zartgebauten, würdevollen Gestalt sollen ausge- drückt werden; die blutigen Striemen auf die beschattete Seite, den Rücken beschränkt werden; die Säule hoch sein, die am Bo- den zerstreuten Marterwerkzeuge vierfach u. s. w. Die blosse Beschreibung hatte den Luis del Alcazar zu einem lateinischen Gedicht begeistert. Am nächsten kommen der Idee des Velazquez zwei Ge- mälde, das eine spanischen, das andre italienischen Ursprungs.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/451>, abgerufen am 22.11.2024.