In die beiden ersten Jahrzehnte des siebzehnten Jahrhun- derts fiel die Hauptthätigkeit dieses noch nicht verdientermassen gewürdigten, in Sevilla (nach Palomino) von flandrischen Eltern geborenen Malers. Cean Bermudez hatte von ihm den Eindruck, dass er, "besser als alle Andalusier die Regeln der Zeichnung und Komposition verstanden habe", zutreffender würde man von ihm sagen können: er war der erste wirkliche Maler, den das sechszehnte Jahrhundert dort hervorgebracht hat. Seine Anfänge und Wandlungen sind dunkel: es giebt Gemälde von ihm, die noch nach dem individualitätslosen, frostigen System der Manieristen gemacht sind. Aber seine bekannten Hauptwerke schienen selbst den verwöhnten Künstlern des vorigen Jahrhun- derts von "venezianischer Farbe, grosser Kraft und Anmuth". Die beiden Elemente, deren Verschmelzung den Character der Sevillaner Malerei der nächsten Generation ergab: Naturalismus und Mystik, hat er zuerst zusammengebracht. Aber erst spät scheint er diesen Stil gefunden zu haben, man sagt natürlich, in Italien. Aber in seinen Formen, seiner Empfindungs- und Mal- weise ist eine eigene Legirung spanischen und flandrischen We- sens; vielleicht ist er wegen dieses fremden Beigeschmackes nicht recht zur Geltung gekommen.
Er hat alle die Lieblingsstoffe spanischer Devotion mit eigner Erfindung und grossem Erfolg bearbeitet, und fast jedes Stück zeigt ihn von einer neuen Seite. Er hat stämmige, zuwei- len derbe Figuren und breite wohlgenährte Gesichter, die bald andalusisch bald aber auch germanisch anklingen. Seine Ge- schichten sind voll Leben, eine unverwüstliche Heiterkeit durch- dringt sie, in feierlichen Akten der heiligen Geschichte und Glo- rien, wie in vertraulichen Scenen der heiligen Familie, und selbst in Märtyrerbildern. Seine Engelchöre, blühende, blonde, rosen- bekränzte Landmädchen mit runden weissen Schultern und vollen Armen sind trunken von Licht, Musik und Festfreude. Vor die- ser ganz Rubens'schen Heiterkeit unseres Klerikers fällt die oft schauerliche Ascetik der Frühern, wie der nüchterne bange Ernst seiner Nachfolger, wie des Zurbaran, merkwürdig ab, obwol sie Laien waren.
Erstes Buch.
Juan de las Roelas
(geb. um 1558 † 1625).
In die beiden ersten Jahrzehnte des siebzehnten Jahrhun- derts fiel die Hauptthätigkeit dieses noch nicht verdientermassen gewürdigten, in Sevilla (nach Palomino) von flandrischen Eltern geborenen Malers. Cean Bermudez hatte von ihm den Eindruck, dass er, „besser als alle Andalusier die Regeln der Zeichnung und Komposition verstanden habe“, zutreffender würde man von ihm sagen können: er war der erste wirkliche Maler, den das sechszehnte Jahrhundert dort hervorgebracht hat. Seine Anfänge und Wandlungen sind dunkel: es giebt Gemälde von ihm, die noch nach dem individualitätslosen, frostigen System der Manieristen gemacht sind. Aber seine bekannten Hauptwerke schienen selbst den verwöhnten Künstlern des vorigen Jahrhun- derts von „venezianischer Farbe, grosser Kraft und Anmuth“. Die beiden Elemente, deren Verschmelzung den Character der Sevillaner Malerei der nächsten Generation ergab: Naturalismus und Mystik, hat er zuerst zusammengebracht. Aber erst spät scheint er diesen Stil gefunden zu haben, man sagt natürlich, in Italien. Aber in seinen Formen, seiner Empfindungs- und Mal- weise ist eine eigene Legirung spanischen und flandrischen We- sens; vielleicht ist er wegen dieses fremden Beigeschmackes nicht recht zur Geltung gekommen.
Er hat alle die Lieblingsstoffe spanischer Devotion mit eigner Erfindung und grossem Erfolg bearbeitet, und fast jedes Stück zeigt ihn von einer neuen Seite. Er hat stämmige, zuwei- len derbe Figuren und breite wohlgenährte Gesichter, die bald andalusisch bald aber auch germanisch anklingen. Seine Ge- schichten sind voll Leben, eine unverwüstliche Heiterkeit durch- dringt sie, in feierlichen Akten der heiligen Geschichte und Glo- rien, wie in vertraulichen Scenen der heiligen Familie, und selbst in Märtyrerbildern. Seine Engelchöre, blühende, blonde, rosen- bekränzte Landmädchen mit runden weissen Schultern und vollen Armen sind trunken von Licht, Musik und Festfreude. Vor die- ser ganz Rubens’schen Heiterkeit unseres Klerikers fällt die oft schauerliche Ascetik der Frühern, wie der nüchterne bange Ernst seiner Nachfolger, wie des Zurbaran, merkwürdig ab, obwol sie Laien waren.
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Erstes Buch.
Juan de las Roelas
(geb. um 1558 † 1625).
In die beiden ersten Jahrzehnte des siebzehnten Jahrhun-
derts fiel die Hauptthätigkeit dieses noch nicht verdientermassen
gewürdigten, in Sevilla (nach Palomino) von flandrischen Eltern
geborenen Malers. Cean Bermudez hatte von ihm den Eindruck,
dass er, „besser als alle Andalusier die Regeln der Zeichnung
und Komposition verstanden habe“, zutreffender würde man von
ihm sagen können: er war der erste wirkliche Maler, den das
sechszehnte Jahrhundert dort hervorgebracht hat. Seine Anfänge
und Wandlungen sind dunkel: es giebt Gemälde von ihm,
die noch nach dem individualitätslosen, frostigen System der
Manieristen gemacht sind. Aber seine bekannten Hauptwerke
schienen selbst den verwöhnten Künstlern des vorigen Jahrhun-
derts von „venezianischer Farbe, grosser Kraft und Anmuth“.
Die beiden Elemente, deren Verschmelzung den Character der
Sevillaner Malerei der nächsten Generation ergab: Naturalismus
und Mystik, hat er zuerst zusammengebracht. Aber erst spät
scheint er diesen Stil gefunden zu haben, man sagt natürlich, in
Italien. Aber in seinen Formen, seiner Empfindungs- und Mal-
weise ist eine eigene Legirung spanischen und flandrischen We-
sens; vielleicht ist er wegen dieses fremden Beigeschmackes
nicht recht zur Geltung gekommen.
Er hat alle die Lieblingsstoffe spanischer Devotion mit
eigner Erfindung und grossem Erfolg bearbeitet, und fast jedes
Stück zeigt ihn von einer neuen Seite. Er hat stämmige, zuwei-
len derbe Figuren und breite wohlgenährte Gesichter, die bald
andalusisch bald aber auch germanisch anklingen. Seine Ge-
schichten sind voll Leben, eine unverwüstliche Heiterkeit durch-
dringt sie, in feierlichen Akten der heiligen Geschichte und Glo-
rien, wie in vertraulichen Scenen der heiligen Familie, und selbst
in Märtyrerbildern. Seine Engelchöre, blühende, blonde, rosen-
bekränzte Landmädchen mit runden weissen Schultern und vollen
Armen sind trunken von Licht, Musik und Festfreude. Vor die-
ser ganz Rubens’schen Heiterkeit unseres Klerikers fällt die oft
schauerliche Ascetik der Frühern, wie der nüchterne bange Ernst
seiner Nachfolger, wie des Zurbaran, merkwürdig ab, obwol sie
Laien waren.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/72>, abgerufen am 24.11.2024.
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