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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Francisco Pacheco.
kules, Ganymed, Asträa, Perseus, Phaeton und Ikarus. Also
glückliches oder verfehltes Trachten nach Oben. In einem Mittel-
rund stehen die Zwölfgötter, paarweise, in der Wurmperspektive,
wo die nackten Leiber in der Zusammenschiebung wie gedrech-
selte Balustren aussehen. Der nüchterne, ängstlich fromme Herr
wollte es dem kecksten, leichtfertigsten, mit zeichnerischen
Schwierigkeiten (wie mit dem Anstand) scherzenden Julio gleich-
thun: es scheint ihm aber selbst bei seinem Ikarusflug angst
geworden zu sein:


Temo a mis alas, mi subir recelo (II, 24).

Doch der hochverehrte Pablo in Cordoba pries die Schöpfung
und erhielt den Dank dafür in einem Sonett.

Geläutert sieht man diese erste Manier in der grossen Ver-
kündigung, die er gerade über das Meisterwerk des Roelas im
Retablo der Jesuitenkirche zu setzen hatte. Das Bild verräth
unsägliche Studien, besonders auch in der Farbenstimmung, um
die sich die Manieristen bisher kaum bekümmert zu haben
schienen. Es ist in vollem Licht und mit hellen klaren Tinten
gemalt; Orange und Blau sind Hauptcontraste; in den Engelge-
wändern sieht man Triaden (blau, gelb, rosa). Aber wie konnte
ein vecino de Sevilla (wie er sich auf dem Titel seines Buches
nennt) eine Drahtpuppe wie diesen Gabriel in die Welt schicken!
Und solche Küstermienen!

Pacheco war schon nahezu ein Vierziger, als er sich wenig-
stens zu einer Reise an den Hof entschloss (1611). Hier in
Madrid nun und im Escorial sah er seine verehrten Italiener
zum erstenmale im Original. Er schloss Freundschaft mit dem
hispanisirten Italiener Vincenz Carducho (nuestro intimo amigo
I, 128). Er besuchte in Toledo den Greco, der damals schon
ganz absurd geworden war; seine frühesten noch venezianischen
Meisterwerke, seine jetzigen Fieberphantasien und seine Parado-
xien versetzten ihn in nicht geringe Aufregung.

Diese Reise hatte für ihn mehr als eine Folge. Der zähe
Principienmann war doch zu sehr Künstler, um sich solchen
Eindrücken zu verschliessen. Seine Palette, sein Pinsel schienen
seitdem vertauscht, die Erfindung wird natürlicher, die steinerne
Manier belebt sich, die scharfe, glatte, helle, magere Behandlung
weicht einer breiteren, pastosen, derbkörnigen; einfallendes Licht
giebt Relief, ein markiger Pinsel zeichnet Schattenstreifen und
Glanzlichter. Schon in den vier kleinen Bildnissen der Predella
unter dem noch harten, ziegelfarbigen Tod des heil. Albert von

Francisco Pacheco.
kules, Ganymed, Asträa, Perseus, Phaeton und Ikarus. Also
glückliches oder verfehltes Trachten nach Oben. In einem Mittel-
rund stehen die Zwölfgötter, paarweise, in der Wurmperspektive,
wo die nackten Leiber in der Zusammenschiebung wie gedrech-
selte Balustren aussehen. Der nüchterne, ängstlich fromme Herr
wollte es dem kecksten, leichtfertigsten, mit zeichnerischen
Schwierigkeiten (wie mit dem Anstand) scherzenden Julio gleich-
thun: es scheint ihm aber selbst bei seinem Ikarusflug angst
geworden zu sein:


Temo á mis alas, mi subir recelo (II, 24).

Doch der hochverehrte Pablo in Cordoba pries die Schöpfung
und erhielt den Dank dafür in einem Sonett.

Geläutert sieht man diese erste Manier in der grossen Ver-
kündigung, die er gerade über das Meisterwerk des Roelas im
Retablo der Jesuitenkirche zu setzen hatte. Das Bild verräth
unsägliche Studien, besonders auch in der Farbenstimmung, um
die sich die Manieristen bisher kaum bekümmert zu haben
schienen. Es ist in vollem Licht und mit hellen klaren Tinten
gemalt; Orange und Blau sind Hauptcontraste; in den Engelge-
wändern sieht man Triaden (blau, gelb, rosa). Aber wie konnte
ein vecino de Sevilla (wie er sich auf dem Titel seines Buches
nennt) eine Drahtpuppe wie diesen Gabriel in die Welt schicken!
Und solche Küstermienen!

Pacheco war schon nahezu ein Vierziger, als er sich wenig-
stens zu einer Reise an den Hof entschloss (1611). Hier in
Madrid nun und im Escorial sah er seine verehrten Italiener
zum erstenmale im Original. Er schloss Freundschaft mit dem
hispanisirten Italiener Vincenz Carducho (nuestro íntimo amigo
I, 128). Er besuchte in Toledo den Greco, der damals schon
ganz absurd geworden war; seine frühesten noch venezianischen
Meisterwerke, seine jetzigen Fieberphantasien und seine Parado-
xien versetzten ihn in nicht geringe Aufregung.

Diese Reise hatte für ihn mehr als eine Folge. Der zähe
Principienmann war doch zu sehr Künstler, um sich solchen
Eindrücken zu verschliessen. Seine Palette, sein Pinsel schienen
seitdem vertauscht, die Erfindung wird natürlicher, die steinerne
Manier belebt sich, die scharfe, glatte, helle, magere Behandlung
weicht einer breiteren, pastosen, derbkörnigen; einfallendes Licht
giebt Relief, ein markiger Pinsel zeichnet Schattenstreifen und
Glanzlichter. Schon in den vier kleinen Bildnissen der Predella
unter dem noch harten, ziegelfarbigen Tod des heil. Albert von

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[67/0087] Francisco Pacheco. kules, Ganymed, Asträa, Perseus, Phaeton und Ikarus. Also glückliches oder verfehltes Trachten nach Oben. In einem Mittel- rund stehen die Zwölfgötter, paarweise, in der Wurmperspektive, wo die nackten Leiber in der Zusammenschiebung wie gedrech- selte Balustren aussehen. Der nüchterne, ängstlich fromme Herr wollte es dem kecksten, leichtfertigsten, mit zeichnerischen Schwierigkeiten (wie mit dem Anstand) scherzenden Julio gleich- thun: es scheint ihm aber selbst bei seinem Ikarusflug angst geworden zu sein: Temo á mis alas, mi subir recelo (II, 24). Doch der hochverehrte Pablo in Cordoba pries die Schöpfung und erhielt den Dank dafür in einem Sonett. Geläutert sieht man diese erste Manier in der grossen Ver- kündigung, die er gerade über das Meisterwerk des Roelas im Retablo der Jesuitenkirche zu setzen hatte. Das Bild verräth unsägliche Studien, besonders auch in der Farbenstimmung, um die sich die Manieristen bisher kaum bekümmert zu haben schienen. Es ist in vollem Licht und mit hellen klaren Tinten gemalt; Orange und Blau sind Hauptcontraste; in den Engelge- wändern sieht man Triaden (blau, gelb, rosa). Aber wie konnte ein vecino de Sevilla (wie er sich auf dem Titel seines Buches nennt) eine Drahtpuppe wie diesen Gabriel in die Welt schicken! Und solche Küstermienen! Pacheco war schon nahezu ein Vierziger, als er sich wenig- stens zu einer Reise an den Hof entschloss (1611). Hier in Madrid nun und im Escorial sah er seine verehrten Italiener zum erstenmale im Original. Er schloss Freundschaft mit dem hispanisirten Italiener Vincenz Carducho (nuestro íntimo amigo I, 128). Er besuchte in Toledo den Greco, der damals schon ganz absurd geworden war; seine frühesten noch venezianischen Meisterwerke, seine jetzigen Fieberphantasien und seine Parado- xien versetzten ihn in nicht geringe Aufregung. Diese Reise hatte für ihn mehr als eine Folge. Der zähe Principienmann war doch zu sehr Künstler, um sich solchen Eindrücken zu verschliessen. Seine Palette, sein Pinsel schienen seitdem vertauscht, die Erfindung wird natürlicher, die steinerne Manier belebt sich, die scharfe, glatte, helle, magere Behandlung weicht einer breiteren, pastosen, derbkörnigen; einfallendes Licht giebt Relief, ein markiger Pinsel zeichnet Schattenstreifen und Glanzlichter. Schon in den vier kleinen Bildnissen der Predella unter dem noch harten, ziegelfarbigen Tod des heil. Albert von

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/87>, abgerufen am 26.11.2024.