Die Ursachen dieses Eindrucks sind nicht bloss die allge- meinen Eigenschaften des spanischen Malers, welche hier auf die Meisten mit dem Reiz der Neuheit wirken. Das Bildniss war, mit den sonstigen Arbeiten des Velazquez verglichen, Stegreifmalerei. Die Personen, welche ihm zu sitzen pflegten waren Angehörige seines Hofs, denen er alle Tage begegnete. Hier aber war eine Ausnahme: der Maler konnte den Pabst höchstens kurz bei der Audienz oder von Ferne gesehn haben; das Studium der Züge musste in der knappen Zeit gemacht werden, wo ihm vergönnt war, vor Seiner Heiligkeit an der Staffelei zu stehn. Wie viel günstiger waren hier andere Maler berühmter Pabstbildnisse gestellt.
Daraus haben sich Schwankungen ergeben, Disharmonien, technische Solöcismen; man sieht dem Bilde das Ringen mit den optischen Schwierigkeiten an. Zuweilen ist über die Lasuren impastirt. Das Spitzentuch schwebt auf dem ganz gleichfarbigen weissen Chorhemd. Pentimenti zeigen sich in den Händen. Die Rechte mit dem Siegelring, welche über der Thronlehne herab- hängt, war erst mehr gekrümmt, man sieht noch die Reste der alten Finger; diese sind nur zum Theil mit weiss zugedeckt, zum Theil geben sie den Halbton für die neuen, die mit einer lichten Fleischfarbe aufgesetzt sind. Diese Hand wirkt so ausser- ordentlich plastisch durch den blendendweissen Grund, vielleicht auch durch die schwankenden Kontouren, welche das Auge stereoskopisch deutet. Die Linke mit dem Brief 1) ist ausge- führter, doch auch sie scheint nachträglich korrigirt, sie ist etwas allgemein in den Formen.
Dieser Eile verdankt das Bildniss doch zum Theil seine mächtige Wirkung; es hat den Reiz der Unmittelbarkeit. Es ist die Zusammendrängung aller Kräfte der Beobachtung und Darstellung in wenige Stunden. Wie die Marmorwerke jener Bildhauer, die ohne Modell den Stein angreifen, anders aussehen, als die wo kein Schritt ohne die Führung des Zirkels gewagt
1) Die Aufschrift lautet: Alla Santta di Nro Sigre: Innocencio Xo. Per Diego de Silva Velazquez de la Ca mera di S. Mta Cattca. Darunter sind einige Worte getilgt. -- Grösse: 1,40 x 1,20.
Sechstes Buch.
Die Ursachen dieses Eindrucks sind nicht bloss die allge- meinen Eigenschaften des spanischen Malers, welche hier auf die Meisten mit dem Reiz der Neuheit wirken. Das Bildniss war, mit den sonstigen Arbeiten des Velazquez verglichen, Stegreifmalerei. Die Personen, welche ihm zu sitzen pflegten waren Angehörige seines Hofs, denen er alle Tage begegnete. Hier aber war eine Ausnahme: der Maler konnte den Pabst höchstens kurz bei der Audienz oder von Ferne gesehn haben; das Studium der Züge musste in der knappen Zeit gemacht werden, wo ihm vergönnt war, vor Seiner Heiligkeit an der Staffelei zu stehn. Wie viel günstiger waren hier andere Maler berühmter Pabstbildnisse gestellt.
Daraus haben sich Schwankungen ergeben, Disharmonien, technische Solöcismen; man sieht dem Bilde das Ringen mit den optischen Schwierigkeiten an. Zuweilen ist über die Lasuren impastirt. Das Spitzentuch schwebt auf dem ganz gleichfarbigen weissen Chorhemd. Pentimenti zeigen sich in den Händen. Die Rechte mit dem Siegelring, welche über der Thronlehne herab- hängt, war erst mehr gekrümmt, man sieht noch die Reste der alten Finger; diese sind nur zum Theil mit weiss zugedeckt, zum Theil geben sie den Halbton für die neuen, die mit einer lichten Fleischfarbe aufgesetzt sind. Diese Hand wirkt so ausser- ordentlich plastisch durch den blendendweissen Grund, vielleicht auch durch die schwankenden Kontouren, welche das Auge stereoskopisch deutet. Die Linke mit dem Brief 1) ist ausge- führter, doch auch sie scheint nachträglich korrigirt, sie ist etwas allgemein in den Formen.
Dieser Eile verdankt das Bildniss doch zum Theil seine mächtige Wirkung; es hat den Reiz der Unmittelbarkeit. Es ist die Zusammendrängung aller Kräfte der Beobachtung und Darstellung in wenige Stunden. Wie die Marmorwerke jener Bildhauer, die ohne Modell den Stein angreifen, anders aussehen, als die wo kein Schritt ohne die Führung des Zirkels gewagt
1) Die Aufschrift lautet: Alla Santtà di Nro Sigre: Innocencio Xo. Per Diego de Silva Velazquez de la Ca mera di S. Mtà Cattca. Darunter sind einige Worte getilgt. — Grösse: 1,40 × 1,20.
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[184/0204]
Sechstes Buch.
Die Ursachen dieses Eindrucks sind nicht bloss die allge-
meinen Eigenschaften des spanischen Malers, welche hier auf
die Meisten mit dem Reiz der Neuheit wirken. Das Bildniss
war, mit den sonstigen Arbeiten des Velazquez verglichen,
Stegreifmalerei. Die Personen, welche ihm zu sitzen pflegten
waren Angehörige seines Hofs, denen er alle Tage begegnete.
Hier aber war eine Ausnahme: der Maler konnte den Pabst
höchstens kurz bei der Audienz oder von Ferne gesehn haben;
das Studium der Züge musste in der knappen Zeit gemacht
werden, wo ihm vergönnt war, vor Seiner Heiligkeit an der
Staffelei zu stehn. Wie viel günstiger waren hier andere Maler
berühmter Pabstbildnisse gestellt.
Daraus haben sich Schwankungen ergeben, Disharmonien,
technische Solöcismen; man sieht dem Bilde das Ringen mit den
optischen Schwierigkeiten an. Zuweilen ist über die Lasuren
impastirt. Das Spitzentuch schwebt auf dem ganz gleichfarbigen
weissen Chorhemd. Pentimenti zeigen sich in den Händen. Die
Rechte mit dem Siegelring, welche über der Thronlehne herab-
hängt, war erst mehr gekrümmt, man sieht noch die Reste der
alten Finger; diese sind nur zum Theil mit weiss zugedeckt,
zum Theil geben sie den Halbton für die neuen, die mit einer
lichten Fleischfarbe aufgesetzt sind. Diese Hand wirkt so ausser-
ordentlich plastisch durch den blendendweissen Grund, vielleicht
auch durch die schwankenden Kontouren, welche das Auge
stereoskopisch deutet. Die Linke mit dem Brief 1) ist ausge-
führter, doch auch sie scheint nachträglich korrigirt, sie ist etwas
allgemein in den Formen.
Dieser Eile verdankt das Bildniss doch zum Theil seine
mächtige Wirkung; es hat den Reiz der Unmittelbarkeit. Es
ist die Zusammendrängung aller Kräfte der Beobachtung und
Darstellung in wenige Stunden. Wie die Marmorwerke jener
Bildhauer, die ohne Modell den Stein angreifen, anders aussehen,
als die wo kein Schritt ohne die Führung des Zirkels gewagt
1) Die Aufschrift lautet:
Alla Santtà di Nro Sigre:
Innocencio Xo.
Per
Diego de Silva
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Darunter sind einige Worte getilgt. — Grösse: 1,40 × 1,20.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/204>, abgerufen am 21.11.2024.
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