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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Innocenz X.
wurde. Sie mögen zuweilen straucheln, aber sie gewinnen dafür
auch Züge, die nur in Feuer und Gefahr kommen 1).

Zur Beurtheilung der Aehnlichkeit besitzt man selten gutes
Material in ausgezeichneten plastischen Werken römischer Bild-
hauer, die in ihrer theils ruhig sichern, theils kühn realistischen
Ausführung die Gewähr der Zuverlässigkeit enthalten. Die schon
genannte Bronzestatue Algardi's im Conservatorenpalast, galt im
vorigen Jahrhundert für die beste Pabststatue 2). Ferner die
Marmorbüste und der vergoldete Bronzekopf Bernini's mit
Porphyrbüste in der Galerie Doria, die Bronze im South Ken-
sington Museum; die Marmorstatue auf seinem Denkmal in
S. Agnese, der kolossale Terracottakopf im Museum zu Bologna.
Die Büste im Hospital von S. Trinita de' Pellegrini, welche in
demselben Jahre 1650 gearbeitet worden war, ist in den Revo-
lutionszeiten eingeschmolzen worden.

Hier nun drängt sich eine merkwürdige Beobachtung auf.
Wer zuerst durch Velazquez die Person des alten Pabstes kennen
gelernt hat, wird finden, dass diese Büsten keineswegs zu der
Vorstellung passen, die er sich von des Mannes Erscheinung
gebildet hatte. Von der Plastik des Kopfs wie von Temperament
und Ausdruck, und zwar in den Grundzügen wie in manchen
Einzelheiten.

In dem Gemälde glauben wir einen Kopf von derbem
Knochenbau und ziemlich völliger Fleischdecke zu erken-
nen; der Unterkiefer scheint etwas vorgeschoben und gibt dem
Untergesicht einen Zug von Trotz und Härte, der mit dem
forschenden Blick und dem stark gerötheten, wie erhitzten
Gesichtston ein keineswegs anmuthendes Ganze macht. Der Ein-
druck eines ungezügelten Temperaments überwiegt die intellek-
tuellen Eigenschaften. Man könnte sich diesen Kopf recht wol
denken unter einem breiten Federhut, mit Lederkoller und
Schwertgehänge, als Wachtmeister aus dem deutschen Kriege.
Auch der neueste Biopraph in seiner Musterung der Bildnisse
glaubt in dem Gemälde "etwas Rohes, Materielles, Triviales"

1) "Nimm alle Fehler eines Homer, Demosthenes, Plato zusammen: sie wer-
den durch eine einzige erhabene Stelle vergütet -- die Werke und Worte der
Begeisterung enthalten eine Panacee aller Verwegenheiten der Rede -- in der
Grösse muss etwas von Nachlässigkeit sein -- die grossen Genies sind am wenig-
sten korrekt". Longin, Vom Erhabenen.
2) Fil. Titi, Descrizione delle pitture, sculture etc. in Roma. Rom 1763. p. 197.

Innocenz X.
wurde. Sie mögen zuweilen straucheln, aber sie gewinnen dafür
auch Züge, die nur in Feuer und Gefahr kommen 1).

Zur Beurtheilung der Aehnlichkeit besitzt man selten gutes
Material in ausgezeichneten plastischen Werken römischer Bild-
hauer, die in ihrer theils ruhig sichern, theils kühn realistischen
Ausführung die Gewähr der Zuverlässigkeit enthalten. Die schon
genannte Bronzestatue Algardi’s im Conservatorenpalast, galt im
vorigen Jahrhundert für die beste Pabststatue 2). Ferner die
Marmorbüste und der vergoldete Bronzekopf Bernini’s mit
Porphyrbüste in der Galerie Doria, die Bronze im South Ken-
sington Museum; die Marmorstatue auf seinem Denkmal in
S. Agnese, der kolossale Terracottakopf im Museum zu Bologna.
Die Büste im Hospital von S. Trinità de’ Pellegrini, welche in
demselben Jahre 1650 gearbeitet worden war, ist in den Revo-
lutionszeiten eingeschmolzen worden.

Hier nun drängt sich eine merkwürdige Beobachtung auf.
Wer zuerst durch Velazquez die Person des alten Pabstes kennen
gelernt hat, wird finden, dass diese Büsten keineswegs zu der
Vorstellung passen, die er sich von des Mannes Erscheinung
gebildet hatte. Von der Plastik des Kopfs wie von Temperament
und Ausdruck, und zwar in den Grundzügen wie in manchen
Einzelheiten.

In dem Gemälde glauben wir einen Kopf von derbem
Knochenbau und ziemlich völliger Fleischdecke zu erken-
nen; der Unterkiefer scheint etwas vorgeschoben und gibt dem
Untergesicht einen Zug von Trotz und Härte, der mit dem
forschenden Blick und dem stark gerötheten, wie erhitzten
Gesichtston ein keineswegs anmuthendes Ganze macht. Der Ein-
druck eines ungezügelten Temperaments überwiegt die intellek-
tuellen Eigenschaften. Man könnte sich diesen Kopf recht wol
denken unter einem breiten Federhut, mit Lederkoller und
Schwertgehänge, als Wachtmeister aus dem deutschen Kriege.
Auch der neueste Biopraph in seiner Musterung der Bildnisse
glaubt in dem Gemälde „etwas Rohes, Materielles, Triviales“

1) „Nimm alle Fehler eines Homer, Demosthenes, Plato zusammen: sie wer-
den durch eine einzige erhabene Stelle vergütet — die Werke und Worte der
Begeisterung enthalten eine Panacee aller Verwegenheiten der Rede — in der
Grösse muss etwas von Nachlässigkeit sein — die grossen Genies sind am wenig-
sten korrekt“. Longin, Vom Erhabenen.
2) Fil. Titi, Descrizione delle pitture, sculture etc. in Roma. Rom 1763. p. 197.
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[185/0205] Innocenz X. wurde. Sie mögen zuweilen straucheln, aber sie gewinnen dafür auch Züge, die nur in Feuer und Gefahr kommen 1). Zur Beurtheilung der Aehnlichkeit besitzt man selten gutes Material in ausgezeichneten plastischen Werken römischer Bild- hauer, die in ihrer theils ruhig sichern, theils kühn realistischen Ausführung die Gewähr der Zuverlässigkeit enthalten. Die schon genannte Bronzestatue Algardi’s im Conservatorenpalast, galt im vorigen Jahrhundert für die beste Pabststatue 2). Ferner die Marmorbüste und der vergoldete Bronzekopf Bernini’s mit Porphyrbüste in der Galerie Doria, die Bronze im South Ken- sington Museum; die Marmorstatue auf seinem Denkmal in S. Agnese, der kolossale Terracottakopf im Museum zu Bologna. Die Büste im Hospital von S. Trinità de’ Pellegrini, welche in demselben Jahre 1650 gearbeitet worden war, ist in den Revo- lutionszeiten eingeschmolzen worden. Hier nun drängt sich eine merkwürdige Beobachtung auf. Wer zuerst durch Velazquez die Person des alten Pabstes kennen gelernt hat, wird finden, dass diese Büsten keineswegs zu der Vorstellung passen, die er sich von des Mannes Erscheinung gebildet hatte. Von der Plastik des Kopfs wie von Temperament und Ausdruck, und zwar in den Grundzügen wie in manchen Einzelheiten. In dem Gemälde glauben wir einen Kopf von derbem Knochenbau und ziemlich völliger Fleischdecke zu erken- nen; der Unterkiefer scheint etwas vorgeschoben und gibt dem Untergesicht einen Zug von Trotz und Härte, der mit dem forschenden Blick und dem stark gerötheten, wie erhitzten Gesichtston ein keineswegs anmuthendes Ganze macht. Der Ein- druck eines ungezügelten Temperaments überwiegt die intellek- tuellen Eigenschaften. Man könnte sich diesen Kopf recht wol denken unter einem breiten Federhut, mit Lederkoller und Schwertgehänge, als Wachtmeister aus dem deutschen Kriege. Auch der neueste Biopraph in seiner Musterung der Bildnisse glaubt in dem Gemälde „etwas Rohes, Materielles, Triviales“ 1) „Nimm alle Fehler eines Homer, Demosthenes, Plato zusammen: sie wer- den durch eine einzige erhabene Stelle vergütet — die Werke und Worte der Begeisterung enthalten eine Panacee aller Verwegenheiten der Rede — in der Grösse muss etwas von Nachlässigkeit sein — die grossen Genies sind am wenig- sten korrekt“. Longin, Vom Erhabenen. 2) Fil. Titi, Descrizione delle pitture, sculture etc. in Roma. Rom 1763. p. 197.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/205>, abgerufen am 21.11.2024.