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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Das Gemälde der Familie Philipp IV.
am Rand gelagerten, halbeingeschlafenen Bullenbeisser zu einer
Vordergruppe vereinigt. Sind sie doch selbst Hausthiere in
Menschengestalt. Zu dem gebürendermassen als repoussoir be-
handelten Wächter der Schwelle gesellen sich gleich den Erd-
geistern, Sneewittchens Hütern, zwei groteske Gestalten, ein
dünner Wicht, der es unpassend von dem Köter findet, in Ge-
genwart seines Königs einzuschlafen, und der weibliche Unhold
mit dem Leib gleich einer Tonne und breitgedrücktem brutalen
Gesicht: Mari Barbola und Nicolasico Pertusato, beides Ver-
vollständigungen der Galerie der Hofzwerge. Diese Gesellschaft
ist in einem längstvergangenen Geschmack 1)!

Weiter hinten, im Dämmerlicht der geschlossenen Läden,
flüstern zwei Hofbedienteste -- die Sennora de honor Da. Marcela
de Ulloa in Klostertracht, und ein Guardadamas, der neben
den Kutschen der Hofdamen ritt und die Audienzen leitete.
Endlich, zu hinterst in der offenen Thür steht Josef Nieto, Haus-
marschall der Königin, den Vorhang zurückschlagend 2).

Eine Zusammenstellung wie diese kann nur vom Zufall an
die Hand gegeben sein. Solche alltägliche Scenen, selbst wenn
sie malerisch dankbar sind, werden, weil sie immer gesehn wer-
den, gar nicht gesehn, der Künstler müsste denn ein Fremder
sein. Nur der Zufall, so oft ein glücklicher Erfinder (nach Leonardo),
konnte das Bild darin entdecken. Als einst beide Majestäten
ihrem Maler im Atelier (Obrador de los pintores de camara in der
kronprinzlichen Wohnung) eine Sitzung schenkten, wurde die
Infantin zur Milderung der königlichen Langeweile hereinbe-
fohlen. Das Licht, welches nach Verschluss der übrigen Läden
aus dem Fenster rechts für die aufzunehmenden arrangirt worden
war, ergoss sich auch auf das vor ihnen stehende Töchterchen.
Der Maler hat den Nieto ersucht, die hintere Thür zu öffnen,
um zu versuchen ob auch Licht von vorn passend wäre. Der
König sass also da, väterlichen Empfindungen im Kreis der
Seinigen sich überlassend, fern von Räthen und Akten. Da fiel

1) Wilkie citirt es als "the picture of the children in grotesque dresses."
2) In einem Gemälde des Museums von Amsterdam, "dem Hühnerhof", hat
Jan Steen ein holländisches Gegenstück geliefert. Auch ein hübsches Kind, seinem
Lämmchen Milch reichend, steht da in der Mitte, zwischen einem krummnasigen
Scheusal von Zwerg, der mit teuflischem Hohn Hahn und Täubchen in die Küche
schleppt, und einem freundlich grinsenden alten Eiermann, während durchs Thor
hinten eine Menge Geflügel, Adel und roture, wie die Gäste beim Läuten der
Speiseglocke hereinstürzen.

Das Gemälde der Familie Philipp IV.
am Rand gelagerten, halbeingeschlafenen Bullenbeisser zu einer
Vordergruppe vereinigt. Sind sie doch selbst Hausthiere in
Menschengestalt. Zu dem gebürendermassen als repoussoir be-
handelten Wächter der Schwelle gesellen sich gleich den Erd-
geistern, Sneewittchens Hütern, zwei groteske Gestalten, ein
dünner Wicht, der es unpassend von dem Köter findet, in Ge-
genwart seines Königs einzuschlafen, und der weibliche Unhold
mit dem Leib gleich einer Tonne und breitgedrücktem brutalen
Gesicht: Mari Barbola und Nicolasico Pertusato, beides Ver-
vollständigungen der Galerie der Hofzwerge. Diese Gesellschaft
ist in einem längstvergangenen Geschmack 1)!

Weiter hinten, im Dämmerlicht der geschlossenen Läden,
flüstern zwei Hofbedienteste — die Señora de honor Da. Marcela
de Ulloa in Klostertracht, und ein Guardadamas, der neben
den Kutschen der Hofdamen ritt und die Audienzen leitete.
Endlich, zu hinterst in der offenen Thür steht Josef Nieto, Haus-
marschall der Königin, den Vorhang zurückschlagend 2).

Eine Zusammenstellung wie diese kann nur vom Zufall an
die Hand gegeben sein. Solche alltägliche Scenen, selbst wenn
sie malerisch dankbar sind, werden, weil sie immer gesehn wer-
den, gar nicht gesehn, der Künstler müsste denn ein Fremder
sein. Nur der Zufall, so oft ein glücklicher Erfinder (nach Leonardo),
konnte das Bild darin entdecken. Als einst beide Majestäten
ihrem Maler im Atelier (Obrador de los pintores de cámara in der
kronprinzlichen Wohnung) eine Sitzung schenkten, wurde die
Infantin zur Milderung der königlichen Langeweile hereinbe-
fohlen. Das Licht, welches nach Verschluss der übrigen Läden
aus dem Fenster rechts für die aufzunehmenden arrangirt worden
war, ergoss sich auch auf das vor ihnen stehende Töchterchen.
Der Maler hat den Nieto ersucht, die hintere Thür zu öffnen,
um zu versuchen ob auch Licht von vorn passend wäre. Der
König sass also da, väterlichen Empfindungen im Kreis der
Seinigen sich überlassend, fern von Räthen und Akten. Da fiel

1) Wilkie citirt es als „the picture of the children in grotesque dresses.“
2) In einem Gemälde des Museums von Amsterdam, „dem Hühnerhof“, hat
Jan Steen ein holländisches Gegenstück geliefert. Auch ein hübsches Kind, seinem
Lämmchen Milch reichend, steht da in der Mitte, zwischen einem krummnasigen
Scheusal von Zwerg, der mit teuflischem Hohn Hahn und Täubchen in die Küche
schleppt, und einem freundlich grinsenden alten Eiermann, während durchs Thor
hinten eine Menge Geflügel, Adel und roture, wie die Gäste beim Läuten der
Speiseglocke hereinstürzen.
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[313/0335] Das Gemälde der Familie Philipp IV. am Rand gelagerten, halbeingeschlafenen Bullenbeisser zu einer Vordergruppe vereinigt. Sind sie doch selbst Hausthiere in Menschengestalt. Zu dem gebürendermassen als repoussoir be- handelten Wächter der Schwelle gesellen sich gleich den Erd- geistern, Sneewittchens Hütern, zwei groteske Gestalten, ein dünner Wicht, der es unpassend von dem Köter findet, in Ge- genwart seines Königs einzuschlafen, und der weibliche Unhold mit dem Leib gleich einer Tonne und breitgedrücktem brutalen Gesicht: Mari Barbola und Nicolasico Pertusato, beides Ver- vollständigungen der Galerie der Hofzwerge. Diese Gesellschaft ist in einem längstvergangenen Geschmack 1)! Weiter hinten, im Dämmerlicht der geschlossenen Läden, flüstern zwei Hofbedienteste — die Señora de honor Da. Marcela de Ulloa in Klostertracht, und ein Guardadamas, der neben den Kutschen der Hofdamen ritt und die Audienzen leitete. Endlich, zu hinterst in der offenen Thür steht Josef Nieto, Haus- marschall der Königin, den Vorhang zurückschlagend 2). Eine Zusammenstellung wie diese kann nur vom Zufall an die Hand gegeben sein. Solche alltägliche Scenen, selbst wenn sie malerisch dankbar sind, werden, weil sie immer gesehn wer- den, gar nicht gesehn, der Künstler müsste denn ein Fremder sein. Nur der Zufall, so oft ein glücklicher Erfinder (nach Leonardo), konnte das Bild darin entdecken. Als einst beide Majestäten ihrem Maler im Atelier (Obrador de los pintores de cámara in der kronprinzlichen Wohnung) eine Sitzung schenkten, wurde die Infantin zur Milderung der königlichen Langeweile hereinbe- fohlen. Das Licht, welches nach Verschluss der übrigen Läden aus dem Fenster rechts für die aufzunehmenden arrangirt worden war, ergoss sich auch auf das vor ihnen stehende Töchterchen. Der Maler hat den Nieto ersucht, die hintere Thür zu öffnen, um zu versuchen ob auch Licht von vorn passend wäre. Der König sass also da, väterlichen Empfindungen im Kreis der Seinigen sich überlassend, fern von Räthen und Akten. Da fiel 1) Wilkie citirt es als „the picture of the children in grotesque dresses.“ 2) In einem Gemälde des Museums von Amsterdam, „dem Hühnerhof“, hat Jan Steen ein holländisches Gegenstück geliefert. Auch ein hübsches Kind, seinem Lämmchen Milch reichend, steht da in der Mitte, zwischen einem krummnasigen Scheusal von Zwerg, der mit teuflischem Hohn Hahn und Täubchen in die Küche schleppt, und einem freundlich grinsenden alten Eiermann, während durchs Thor hinten eine Menge Geflügel, Adel und roture, wie die Gäste beim Läuten der Speiseglocke hereinstürzen.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/335>, abgerufen am 22.11.2024.