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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
ihm, der selbst ein halber Künstler war, auf, dass vor seinen
Augen sich etwas wie ein Bild zusammengefunden hatte. Er
murmelte: Das ist ein Bild; im folgenden Augenblick entstand
der Wunsch, das Bild festgehalten zu sehn, und im dritten war
der Maler schon mit der Skizze des Recuerdo beschäftigt. Bei
einem Recuerdo musste alles treu festgehalten werden, wie es
der Zufall zusammengebracht hatte.

Daher die eigenartige Komposition, die als Erfindung un-
erklärlich wäre. Es ist wie ein gestelltes Tableau. Natürlicher,
malerischer würden sich die Personen im Halbkreis vor die
Leinwand auf der Staffelei gruppirt haben. Aber sie waren ja
nicht untereinander: in nächster Nähe befindet sich, wenn auch
uns unsichtbar, die allerhöchste Gegenwart. So sieht die In-
fantin bei Entgegennahme des bucaro nach der Mutter; Donna
Isabel sich verneigend, schielt ebendahin; Mari Barbola hängt
mit dem Auge einer braven Dogge am Auge ihrer Herrin;
der Vorreiter, den Eröffnungen der Ulloa horchend, behält den
König im Auge; der Hausmarschall dreht sich in der Thür um,
mit fragendem Blick. Kurz wir sehn die Anwesenden, wie man
von der Bühne aus das Parterre sieht, und zwar genau vom
Standpunkt des Königs aus; denn im Spiegel an der Wand er-
scheint er an der Seite der Königin. Er hatte diesem Spiegel ge-
genüber Platz genommen, um seine Stellung beurtheilen zu
können. Beiläufig bemerkt, ist von einem Bilde, wo er mit
Marianne auf einer Leinwand vereinigt ist, nichts bekannt.

In diess Augenblicksbild musste natürlich auch der Maler
aufgenommen werden. Er steht hinter seiner Staffelei, nur
wenig verdeckt durch die Knieende; sein Haupt überragt alle.
In der Rechten hält er den langen Pinsel, in der Linken Palette
und Malerstock. Köstlich ist die Hand (wie überhaupt die Hände
dieses Bilds): durch vier helle Pinselstriche ist der Bewegung
der Finger volle Bestimmtheit gegeben.

Auf der Brust trägt er das rothe Kreuz des Santiagoordens.
Die Legende erzählt, Philipp IV habe nach Vollendung des
Gemäldes dessen Schöpfer königlich zu überraschen beschlossen.
"Er vermisse noch etwas", bemerkte er, ergriff den Pinsel und
malte diess rothe Kreuz auf. Die Anekdote ist bezweifelt wor-
den, weil die der Ertheilung des habito vorangehenden Förmlich-
keiten erst zwei Jahre später datiren. Palomino lässt es nach
des Meisters Tode auf allerhöchsten Befehl daraufsetzen. Ein
Zusammenhang mit dem Bilde wäre doch möglich. Es war ja

Siebentes Buch.
ihm, der selbst ein halber Künstler war, auf, dass vor seinen
Augen sich etwas wie ein Bild zusammengefunden hatte. Er
murmelte: Das ist ein Bild; im folgenden Augenblick entstand
der Wunsch, das Bild festgehalten zu sehn, und im dritten war
der Maler schon mit der Skizze des Recuerdo beschäftigt. Bei
einem Recuerdo musste alles treu festgehalten werden, wie es
der Zufall zusammengebracht hatte.

Daher die eigenartige Komposition, die als Erfindung un-
erklärlich wäre. Es ist wie ein gestelltes Tableau. Natürlicher,
malerischer würden sich die Personen im Halbkreis vor die
Leinwand auf der Staffelei gruppirt haben. Aber sie waren ja
nicht untereinander: in nächster Nähe befindet sich, wenn auch
uns unsichtbar, die allerhöchste Gegenwart. So sieht die In-
fantin bei Entgegennahme des bucaro nach der Mutter; Doña
Isabel sich verneigend, schielt ebendahin; Mari Barbola hängt
mit dem Auge einer braven Dogge am Auge ihrer Herrin;
der Vorreiter, den Eröffnungen der Ulloa horchend, behält den
König im Auge; der Hausmarschall dreht sich in der Thür um,
mit fragendem Blick. Kurz wir sehn die Anwesenden, wie man
von der Bühne aus das Parterre sieht, und zwar genau vom
Standpunkt des Königs aus; denn im Spiegel an der Wand er-
scheint er an der Seite der Königin. Er hatte diesem Spiegel ge-
genüber Platz genommen, um seine Stellung beurtheilen zu
können. Beiläufig bemerkt, ist von einem Bilde, wo er mit
Marianne auf einer Leinwand vereinigt ist, nichts bekannt.

In diess Augenblicksbild musste natürlich auch der Maler
aufgenommen werden. Er steht hinter seiner Staffelei, nur
wenig verdeckt durch die Knieende; sein Haupt überragt alle.
In der Rechten hält er den langen Pinsel, in der Linken Palette
und Malerstock. Köstlich ist die Hand (wie überhaupt die Hände
dieses Bilds): durch vier helle Pinselstriche ist der Bewegung
der Finger volle Bestimmtheit gegeben.

Auf der Brust trägt er das rothe Kreuz des Santiagoordens.
Die Legende erzählt, Philipp IV habe nach Vollendung des
Gemäldes dessen Schöpfer königlich zu überraschen beschlossen.
„Er vermisse noch etwas“, bemerkte er, ergriff den Pinsel und
malte diess rothe Kreuz auf. Die Anekdote ist bezweifelt wor-
den, weil die der Ertheilung des hábito vorangehenden Förmlich-
keiten erst zwei Jahre später datiren. Palomino lässt es nach
des Meisters Tode auf allerhöchsten Befehl daraufsetzen. Ein
Zusammenhang mit dem Bilde wäre doch möglich. Es war ja

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[314/0336] Siebentes Buch. ihm, der selbst ein halber Künstler war, auf, dass vor seinen Augen sich etwas wie ein Bild zusammengefunden hatte. Er murmelte: Das ist ein Bild; im folgenden Augenblick entstand der Wunsch, das Bild festgehalten zu sehn, und im dritten war der Maler schon mit der Skizze des Recuerdo beschäftigt. Bei einem Recuerdo musste alles treu festgehalten werden, wie es der Zufall zusammengebracht hatte. Daher die eigenartige Komposition, die als Erfindung un- erklärlich wäre. Es ist wie ein gestelltes Tableau. Natürlicher, malerischer würden sich die Personen im Halbkreis vor die Leinwand auf der Staffelei gruppirt haben. Aber sie waren ja nicht untereinander: in nächster Nähe befindet sich, wenn auch uns unsichtbar, die allerhöchste Gegenwart. So sieht die In- fantin bei Entgegennahme des bucaro nach der Mutter; Doña Isabel sich verneigend, schielt ebendahin; Mari Barbola hängt mit dem Auge einer braven Dogge am Auge ihrer Herrin; der Vorreiter, den Eröffnungen der Ulloa horchend, behält den König im Auge; der Hausmarschall dreht sich in der Thür um, mit fragendem Blick. Kurz wir sehn die Anwesenden, wie man von der Bühne aus das Parterre sieht, und zwar genau vom Standpunkt des Königs aus; denn im Spiegel an der Wand er- scheint er an der Seite der Königin. Er hatte diesem Spiegel ge- genüber Platz genommen, um seine Stellung beurtheilen zu können. Beiläufig bemerkt, ist von einem Bilde, wo er mit Marianne auf einer Leinwand vereinigt ist, nichts bekannt. In diess Augenblicksbild musste natürlich auch der Maler aufgenommen werden. Er steht hinter seiner Staffelei, nur wenig verdeckt durch die Knieende; sein Haupt überragt alle. In der Rechten hält er den langen Pinsel, in der Linken Palette und Malerstock. Köstlich ist die Hand (wie überhaupt die Hände dieses Bilds): durch vier helle Pinselstriche ist der Bewegung der Finger volle Bestimmtheit gegeben. Auf der Brust trägt er das rothe Kreuz des Santiagoordens. Die Legende erzählt, Philipp IV habe nach Vollendung des Gemäldes dessen Schöpfer königlich zu überraschen beschlossen. „Er vermisse noch etwas“, bemerkte er, ergriff den Pinsel und malte diess rothe Kreuz auf. Die Anekdote ist bezweifelt wor- den, weil die der Ertheilung des hábito vorangehenden Förmlich- keiten erst zwei Jahre später datiren. Palomino lässt es nach des Meisters Tode auf allerhöchsten Befehl daraufsetzen. Ein Zusammenhang mit dem Bilde wäre doch möglich. Es war ja

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/336>, abgerufen am 22.11.2024.