Nun aber scheint es doch ein General zu sein; denn in der Bildnissammlung der Uffizien (jetzt im Durchgang zum Pitti, Nr. 252) existirt ein ähnlicher Kopf jenes toskanischen Marchese Alexander del Borro, Luogotenente des Prinzen Matthias, des strengen und grausamen Heerführers Ferdinand II im Krieg mit Pabst Urban VIII, dessen Wappen, die goldnen Bienen, auf die getretene weiss-rothe Fahne gestickt sind. Das Bildniss müsste also bald nach jenem Einfall in den Kirchenstaat (1643) gemalt sein, wo Borro gegen überlegene Truppen die Städte Citta della pieve und Castiglion del lago wegnahm. Man liest z. B., dass das Wappen der Barberini in Pieve abgerissen wurde, doch liess man den leeren päbstlichen Schild stehn, als Protest des Grossherzogs, dass er die Stadt nicht zu behalten gedenke. Was wir sonst von ihm wissen, widerspricht auch dem Bildniss nicht. Seine spätere Bewerbung um venezianische Dienste (1652) gab dem Gesandten Basadonna in Madrid Veranlassung zu einem Gut- achten; da schildert er ihn als einen "sehr grossen Soldaten und Kapitän, obwol sein wunderliches und abspringendes Wesen, und eine überspannte Peinlichkeit in der Behandlung der Dinge den Toskaner nicht verläugne"1).
Sehr eigen ist die Beleuchtung, sie verräth vielleicht die Entstehung des Bildes. Das Licht fällt von unten, links, als trete der Mann vor die Lampen einer Bühne, oder auf die oberste Stufe einer Treppe, um eine Ovation entgegenzunehmen. Es streift über das Vollmondsgesicht, auf der Halbkugel von Wan- ge und Hals, der aufgestülpten Nase heiteren Glanz entzün- dend. Hatte sich Ferdinand II mit seinem dicken Condottiere einen Spass machen wollen? Eine ähnliche Beleuchtung findet man auch sonst bei Decorationsfiguren an Triumphbögen, z. B. von Rubens im Belvedere. Auch die Säule würde dazu stimmen. Das Werk sieht aus wie eine Improvisation beim Siegesfest, dessen Rausch uns aus ihm gleichsam entgegendampft; daher die stupende Lebendigkeit die es als Bildniss zu einem Unicum macht. Die verblüffende Offenheit, mit der diese cynische Per- sönlichkeit auf die Leinwand gebracht ist, wird gewürzt durch den Kontrast mit der bei Bildnissen in solcher Grösse und Gala erwarteten Würde.
Diess wunderliche Werk nun gehört zu denen die man in
1) Non si puo negare, che nella stravaganza, e volubilita dell' humore, et alcune volte nel soverchio asotigliar delle cose, non si riconosca per di natione toscano. Depesche aus Madrid vom 10. Januar 1652.
Der Marchese del Borro.
Nun aber scheint es doch ein General zu sein; denn in der Bildnissammlung der Uffizien (jetzt im Durchgang zum Pitti, Nr. 252) existirt ein ähnlicher Kopf jenes toskanischen Marchese Alexander del Borro, Luogotenente des Prinzen Matthias, des strengen und grausamen Heerführers Ferdinand II im Krieg mit Pabst Urban VIII, dessen Wappen, die goldnen Bienen, auf die getretene weiss-rothe Fahne gestickt sind. Das Bildniss müsste also bald nach jenem Einfall in den Kirchenstaat (1643) gemalt sein, wo Borro gegen überlegene Truppen die Städte Città della pieve und Castiglion del lago wegnahm. Man liest z. B., dass das Wappen der Barberini in Pieve abgerissen wurde, doch liess man den leeren päbstlichen Schild stehn, als Protest des Grossherzogs, dass er die Stadt nicht zu behalten gedenke. Was wir sonst von ihm wissen, widerspricht auch dem Bildniss nicht. Seine spätere Bewerbung um venezianische Dienste (1652) gab dem Gesandten Basadonna in Madrid Veranlassung zu einem Gut- achten; da schildert er ihn als einen „sehr grossen Soldaten und Kapitän, obwol sein wunderliches und abspringendes Wesen, und eine überspannte Peinlichkeit in der Behandlung der Dinge den Toskaner nicht verläugne“1).
Sehr eigen ist die Beleuchtung, sie verräth vielleicht die Entstehung des Bildes. Das Licht fällt von unten, links, als trete der Mann vor die Lampen einer Bühne, oder auf die oberste Stufe einer Treppe, um eine Ovation entgegenzunehmen. Es streift über das Vollmondsgesicht, auf der Halbkugel von Wan- ge und Hals, der aufgestülpten Nase heiteren Glanz entzün- dend. Hatte sich Ferdinand II mit seinem dicken Condottiere einen Spass machen wollen? Eine ähnliche Beleuchtung findet man auch sonst bei Decorationsfiguren an Triumphbögen, z. B. von Rubens im Belvedere. Auch die Säule würde dazu stimmen. Das Werk sieht aus wie eine Improvisation beim Siegesfest, dessen Rausch uns aus ihm gleichsam entgegendampft; daher die stupende Lebendigkeit die es als Bildniss zu einem Unicum macht. Die verblüffende Offenheit, mit der diese cynische Per- sönlichkeit auf die Leinwand gebracht ist, wird gewürzt durch den Kontrast mit der bei Bildnissen in solcher Grösse und Gala erwarteten Würde.
Diess wunderliche Werk nun gehört zu denen die man in
1) Non si può negare, che nella stravaganza, e volubilità dell’ humore, et alcune volte nel soverchio asotigliar delle cose, non si riconosca per di natione toscano. Depesche aus Madrid vom 10. Januar 1652.
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Der Marchese del Borro.
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Nr. 252) existirt ein ähnlicher Kopf jenes toskanischen Marchese
Alexander del Borro, Luogotenente des Prinzen Matthias, des
strengen und grausamen Heerführers Ferdinand II im Krieg mit
Pabst Urban VIII, dessen Wappen, die goldnen Bienen, auf die
getretene weiss-rothe Fahne gestickt sind. Das Bildniss müsste
also bald nach jenem Einfall in den Kirchenstaat (1643) gemalt
sein, wo Borro gegen überlegene Truppen die Städte Città della
pieve und Castiglion del lago wegnahm. Man liest z. B., dass das
Wappen der Barberini in Pieve abgerissen wurde, doch liess man
den leeren päbstlichen Schild stehn, als Protest des Grossherzogs,
dass er die Stadt nicht zu behalten gedenke. Was wir sonst
von ihm wissen, widerspricht auch dem Bildniss nicht. Seine
spätere Bewerbung um venezianische Dienste (1652) gab dem
Gesandten Basadonna in Madrid Veranlassung zu einem Gut-
achten; da schildert er ihn als einen „sehr grossen Soldaten und
Kapitän, obwol sein wunderliches und abspringendes Wesen,
und eine überspannte Peinlichkeit in der Behandlung der Dinge
den Toskaner nicht verläugne“ 1).
Sehr eigen ist die Beleuchtung, sie verräth vielleicht die
Entstehung des Bildes. Das Licht fällt von unten, links, als
trete der Mann vor die Lampen einer Bühne, oder auf die oberste
Stufe einer Treppe, um eine Ovation entgegenzunehmen. Es
streift über das Vollmondsgesicht, auf der Halbkugel von Wan-
ge und Hals, der aufgestülpten Nase heiteren Glanz entzün-
dend. Hatte sich Ferdinand II mit seinem dicken Condottiere
einen Spass machen wollen? Eine ähnliche Beleuchtung findet
man auch sonst bei Decorationsfiguren an Triumphbögen, z. B.
von Rubens im Belvedere. Auch die Säule würde dazu stimmen.
Das Werk sieht aus wie eine Improvisation beim Siegesfest,
dessen Rausch uns aus ihm gleichsam entgegendampft; daher
die stupende Lebendigkeit die es als Bildniss zu einem Unicum
macht. Die verblüffende Offenheit, mit der diese cynische Per-
sönlichkeit auf die Leinwand gebracht ist, wird gewürzt durch
den Kontrast mit der bei Bildnissen in solcher Grösse und Gala
erwarteten Würde.
Diess wunderliche Werk nun gehört zu denen die man in
1) Non si può negare, che nella stravaganza, e volubilità dell’ humore, et
alcune volte nel soverchio asotigliar delle cose, non si riconosca per di natione
toscano. Depesche aus Madrid vom 10. Januar 1652.
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/375>, abgerufen am 28.11.2024.
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