Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Buch.
schwere Thürvorhang behandelt, ein prächtiges Smyrna-Muster,
mäandrische schwarze Gebilde auf rothem, breite Einfassung
ebenso auf weissem Grund. Dieses Prachtstück nimmt gut die
Hälfte der Bildfläche ein, es ist offenbar auf Täuschung be-
rechnet. Wahrscheinlich diente das Bild als Portiera einer Hinter-
thür, und war bestimmt die Besucher zu foppen. Leider fehlen,
näher besehn, bestimmte Merkmale der grade in skizzenhafter
Ausführung so kenntlichen Handschrift unsres Malers.

Der Marchese del Borro.

Seit dem Jahre 1873 sieht man im Berliner Museum einen
angeblichen Velazquez, über den die Akten noch nicht geschlos-
sen sind. Das Bildniss stammt aus der Villa Passerini bei Cor-
tona und ist in Arezzo angekauft worden. Ueberlassen wir uns
dem Eindruck der dargestellten Persönlichkeit.

Unser Prätendent, eine Falstaffsfigur, misst, indem er auf
eine Fahne tritt, mit einem herausfordernden Blick, der Hoffart
und Bosheit zugleich, eine Versammlung von Zuschauern, viel-
leicht die Besiegten. Der Blick scheint zu sagen: So trete ich
Euch auf den Nacken! Dabei hebt er den Saum des Mantels
auf, während sich die Linke auf die Koppel des langen Degens
legt. Man könnte sich Sir John wol so vorstellen, wie er über
den todten Percy triumphirt. In der Geberde, in dem schnöden
Blinzeln, scheint noch etwas mehr als moralische Benebelung
zu liegen. Ja man möchte am Wohlbefinden seines Kopfs zwei-
feln, wenigstens erinnere ich mich, einen Incurablen gesehn zu
haben, der unbeweglich in der Mitte seiner Zelle aufgerichtet,
die Besucher mit einem ähnlichen Blick unaussprechlicher Ver-
achtung zermalmte. Sollte es einen General damals gegeben
haben, der den Anstand des Siegers so verstand, dass er eine
in redlicher Fehde gewonnene Fahne mit Füssen trat, und gar
so sich verewigen liess? Indess was man selbst nicht thun mag,
stellt man zuweilen einem Schranzen mittelst eines stummen
Winks anheim. Hätte man den Charakter aus der Leinwand zu
errathen, man würde ihn unbedenklich jenen Schalksnarren an-
schliessen, ja ihm, mit Don Geronimo Fonati zu reden, die Palme
der Infamia ertheilen. Und deshalb mag er auf alle Fälle hier
stehn, wo er sich selbst hingestellt hat1).

1) He might serve for a model for an antique comic mask. There is
nothing more humorous in Jan Steen, and in portraiture it is certainly unique.
H. Wallis im Athenaeum 1877. Dec. 8.

Siebentes Buch.
schwere Thürvorhang behandelt, ein prächtiges Smyrna-Muster,
mäandrische schwarze Gebilde auf rothem, breite Einfassung
ebenso auf weissem Grund. Dieses Prachtstück nimmt gut die
Hälfte der Bildfläche ein, es ist offenbar auf Täuschung be-
rechnet. Wahrscheinlich diente das Bild als Portiera einer Hinter-
thür, und war bestimmt die Besucher zu foppen. Leider fehlen,
näher besehn, bestimmte Merkmale der grade in skizzenhafter
Ausführung so kenntlichen Handschrift unsres Malers.

Der Marchese del Borro.

Seit dem Jahre 1873 sieht man im Berliner Museum einen
angeblichen Velazquez, über den die Akten noch nicht geschlos-
sen sind. Das Bildniss stammt aus der Villa Passerini bei Cor-
tona und ist in Arezzo angekauft worden. Ueberlassen wir uns
dem Eindruck der dargestellten Persönlichkeit.

Unser Prätendent, eine Falstaffsfigur, misst, indem er auf
eine Fahne tritt, mit einem herausfordernden Blick, der Hoffart
und Bosheit zugleich, eine Versammlung von Zuschauern, viel-
leicht die Besiegten. Der Blick scheint zu sagen: So trete ich
Euch auf den Nacken! Dabei hebt er den Saum des Mantels
auf, während sich die Linke auf die Koppel des langen Degens
legt. Man könnte sich Sir John wol so vorstellen, wie er über
den todten Percy triumphirt. In der Geberde, in dem schnöden
Blinzeln, scheint noch etwas mehr als moralische Benebelung
zu liegen. Ja man möchte am Wohlbefinden seines Kopfs zwei-
feln, wenigstens erinnere ich mich, einen Incurablen gesehn zu
haben, der unbeweglich in der Mitte seiner Zelle aufgerichtet,
die Besucher mit einem ähnlichen Blick unaussprechlicher Ver-
achtung zermalmte. Sollte es einen General damals gegeben
haben, der den Anstand des Siegers so verstand, dass er eine
in redlicher Fehde gewonnene Fahne mit Füssen trat, und gar
so sich verewigen liess? Indess was man selbst nicht thun mag,
stellt man zuweilen einem Schranzen mittelst eines stummen
Winks anheim. Hätte man den Charakter aus der Leinwand zu
errathen, man würde ihn unbedenklich jenen Schalksnarren an-
schliessen, ja ihm, mit Don Geronimo Fonati zu reden, die Palme
der Infamia ertheilen. Und deshalb mag er auf alle Fälle hier
stehn, wo er sich selbst hingestellt hat1).

1) He might serve for a model for an antique comic mask. There is
nothing more humorous in Jan Steen, and in portraiture it is certainly unique.
H. Wallis im Athenæum 1877. Dec. 8.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0374" n="350"/><fw place="top" type="header">Siebentes Buch.</fw><lb/>
schwere Thürvorhang behandelt, ein prächtiges Smyrna-Muster,<lb/>
mäandrische schwarze Gebilde auf rothem, breite Einfassung<lb/>
ebenso auf weissem Grund. Dieses Prachtstück nimmt gut die<lb/>
Hälfte der Bildfläche ein, es ist offenbar auf Täuschung be-<lb/>
rechnet. Wahrscheinlich diente das Bild als <hi rendition="#i">Portiera</hi> einer Hinter-<lb/>
thür, und war bestimmt die Besucher zu foppen. Leider fehlen,<lb/>
näher besehn, bestimmte Merkmale der grade in skizzenhafter<lb/>
Ausführung so kenntlichen Handschrift unsres Malers.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Der Marchese del Borro.</hi> </head><lb/>
            <p>Seit dem Jahre 1873 sieht man im Berliner Museum einen<lb/>
angeblichen Velazquez, über den die Akten noch nicht geschlos-<lb/>
sen sind. Das Bildniss stammt aus der Villa Passerini bei Cor-<lb/>
tona und ist in Arezzo angekauft worden. Ueberlassen wir uns<lb/>
dem Eindruck der dargestellten Persönlichkeit.</p><lb/>
            <p>Unser Prätendent, eine Falstaffsfigur, misst, indem er auf<lb/>
eine Fahne tritt, mit einem herausfordernden Blick, der Hoffart<lb/>
und Bosheit zugleich, eine Versammlung von Zuschauern, viel-<lb/>
leicht die Besiegten. Der Blick scheint zu sagen: So trete ich<lb/>
Euch auf den Nacken! Dabei hebt er den Saum des Mantels<lb/>
auf, während sich die Linke auf die Koppel des langen Degens<lb/>
legt. Man könnte sich Sir John wol so vorstellen, wie er über<lb/>
den todten Percy triumphirt. In der Geberde, in dem schnöden<lb/>
Blinzeln, scheint noch etwas mehr als moralische Benebelung<lb/>
zu liegen. Ja man möchte am Wohlbefinden seines Kopfs zwei-<lb/>
feln, wenigstens erinnere ich mich, einen Incurablen gesehn zu<lb/>
haben, der unbeweglich in der Mitte seiner Zelle aufgerichtet,<lb/>
die Besucher mit einem ähnlichen Blick unaussprechlicher Ver-<lb/>
achtung zermalmte. Sollte es einen General damals gegeben<lb/>
haben, der den Anstand des Siegers so verstand, dass er eine<lb/>
in redlicher Fehde gewonnene Fahne mit Füssen trat, und gar<lb/>
so sich verewigen liess? Indess was man selbst nicht thun mag,<lb/>
stellt man zuweilen einem Schranzen mittelst eines stummen<lb/>
Winks anheim. Hätte man den Charakter aus der Leinwand zu<lb/>
errathen, man würde ihn unbedenklich jenen Schalksnarren an-<lb/>
schliessen, ja ihm, mit Don Geronimo Fonati zu reden, die Palme<lb/>
der Infamia ertheilen. Und deshalb mag er auf alle Fälle hier<lb/>
stehn, wo er sich selbst hingestellt hat<note place="foot" n="1)">He might serve for a model for an antique comic mask. There is<lb/>
nothing more humorous in Jan Steen, and in portraiture it is certainly unique.<lb/>
H. Wallis im Athenæum 1877. Dec. 8.</note>.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[350/0374] Siebentes Buch. schwere Thürvorhang behandelt, ein prächtiges Smyrna-Muster, mäandrische schwarze Gebilde auf rothem, breite Einfassung ebenso auf weissem Grund. Dieses Prachtstück nimmt gut die Hälfte der Bildfläche ein, es ist offenbar auf Täuschung be- rechnet. Wahrscheinlich diente das Bild als Portiera einer Hinter- thür, und war bestimmt die Besucher zu foppen. Leider fehlen, näher besehn, bestimmte Merkmale der grade in skizzenhafter Ausführung so kenntlichen Handschrift unsres Malers. Der Marchese del Borro. Seit dem Jahre 1873 sieht man im Berliner Museum einen angeblichen Velazquez, über den die Akten noch nicht geschlos- sen sind. Das Bildniss stammt aus der Villa Passerini bei Cor- tona und ist in Arezzo angekauft worden. Ueberlassen wir uns dem Eindruck der dargestellten Persönlichkeit. Unser Prätendent, eine Falstaffsfigur, misst, indem er auf eine Fahne tritt, mit einem herausfordernden Blick, der Hoffart und Bosheit zugleich, eine Versammlung von Zuschauern, viel- leicht die Besiegten. Der Blick scheint zu sagen: So trete ich Euch auf den Nacken! Dabei hebt er den Saum des Mantels auf, während sich die Linke auf die Koppel des langen Degens legt. Man könnte sich Sir John wol so vorstellen, wie er über den todten Percy triumphirt. In der Geberde, in dem schnöden Blinzeln, scheint noch etwas mehr als moralische Benebelung zu liegen. Ja man möchte am Wohlbefinden seines Kopfs zwei- feln, wenigstens erinnere ich mich, einen Incurablen gesehn zu haben, der unbeweglich in der Mitte seiner Zelle aufgerichtet, die Besucher mit einem ähnlichen Blick unaussprechlicher Ver- achtung zermalmte. Sollte es einen General damals gegeben haben, der den Anstand des Siegers so verstand, dass er eine in redlicher Fehde gewonnene Fahne mit Füssen trat, und gar so sich verewigen liess? Indess was man selbst nicht thun mag, stellt man zuweilen einem Schranzen mittelst eines stummen Winks anheim. Hätte man den Charakter aus der Leinwand zu errathen, man würde ihn unbedenklich jenen Schalksnarren an- schliessen, ja ihm, mit Don Geronimo Fonati zu reden, die Palme der Infamia ertheilen. Und deshalb mag er auf alle Fälle hier stehn, wo er sich selbst hingestellt hat 1). 1) He might serve for a model for an antique comic mask. There is nothing more humorous in Jan Steen, and in portraiture it is certainly unique. H. Wallis im Athenæum 1877. Dec. 8.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/374
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/374>, abgerufen am 28.11.2024.