Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.er ihm meine Unbesonnenheiten erzählte -- was er unbedenklich thun konnte, weil ich selbst kein Geheimniß daraus machte -- ich, daß er mir sie ausführen half. Die Aussicht auf die Reise fing mich an zu ergötzen, und wenn ich einmal zur Strafe für meinen Leichtsinn, wie ein Wilddieb an den Hirsch, an eine Frau gefesselt werden sollte, so war es doch angenehmer, sie in Frankreich unter drei Schwestern zu suchen, als wenn sie mir hier aus dem Magazin der Kaufmannstöchter fix und fertig, und gut conditionirt, ohne weiteres Vorspiel zugestellt worden wäre. Ich aß zu Mittag mit besserem Appetit, als meine Eltern und meine Schwester, und nahm ihre Glückwünsche, Thränen und gute Lehren beim Abschiede mit gleicher Gelassenheit auf. Schiffer Classen wartete mit Schmerzen. Er nahm sich nicht die Zeit mich zu bewillkommnen -- kaum war ich ins Schiff getreten, so gab er das Signal; und unter dem durchdringenden Geschrei der Matrosen hoben sich die Masten, die Wimpel flatterten, die Segel dehnten sich, vom Winde gebläht, und allmählich verschwand Hamburg und die Küste des geliebten Vaterlandes aus unsern Augen. 3. Es war meine erste Seereise nicht; ich hatte einigemal in Handelsgeschäften England besucht. Folglich fühlte ich keine Beschwerden, als die der Langenweile, welche ein so plötzlicher Wechsel der unterhal- er ihm meine Unbesonnenheiten erzählte — was er unbedenklich thun konnte, weil ich selbst kein Geheimniß daraus machte — ich, daß er mir sie ausführen half. Die Aussicht auf die Reise fing mich an zu ergötzen, und wenn ich einmal zur Strafe für meinen Leichtsinn, wie ein Wilddieb an den Hirsch, an eine Frau gefesselt werden sollte, so war es doch angenehmer, sie in Frankreich unter drei Schwestern zu suchen, als wenn sie mir hier aus dem Magazin der Kaufmannstöchter fix und fertig, und gut conditionirt, ohne weiteres Vorspiel zugestellt worden wäre. Ich aß zu Mittag mit besserem Appetit, als meine Eltern und meine Schwester, und nahm ihre Glückwünsche, Thränen und gute Lehren beim Abschiede mit gleicher Gelassenheit auf. Schiffer Classen wartete mit Schmerzen. Er nahm sich nicht die Zeit mich zu bewillkommnen — kaum war ich ins Schiff getreten, so gab er das Signal; und unter dem durchdringenden Geschrei der Matrosen hoben sich die Masten, die Wimpel flatterten, die Segel dehnten sich, vom Winde gebläht, und allmählich verschwand Hamburg und die Küste des geliebten Vaterlandes aus unsern Augen. 3. Es war meine erste Seereise nicht; ich hatte einigemal in Handelsgeschäften England besucht. Folglich fühlte ich keine Beschwerden, als die der Langenweile, welche ein so plötzlicher Wechsel der unterhal- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0010"/> er ihm meine Unbesonnenheiten erzählte — was er unbedenklich thun konnte, weil ich selbst kein Geheimniß daraus machte — ich, daß er mir sie ausführen half. Die Aussicht auf die Reise fing mich an zu ergötzen, und wenn ich einmal zur Strafe für meinen Leichtsinn, wie ein Wilddieb an den Hirsch, an eine Frau gefesselt werden sollte, so war es doch angenehmer, sie in Frankreich unter drei Schwestern zu suchen, als wenn sie mir hier aus dem Magazin der Kaufmannstöchter fix und fertig, und gut conditionirt, ohne weiteres Vorspiel zugestellt worden wäre.</p><lb/> <p>Ich aß zu Mittag mit besserem Appetit, als meine Eltern und meine Schwester, und nahm ihre Glückwünsche, Thränen und gute Lehren beim Abschiede mit gleicher Gelassenheit auf. Schiffer Classen wartete mit Schmerzen. Er nahm sich nicht die Zeit mich zu bewillkommnen — kaum war ich ins Schiff getreten, so gab er das Signal; und unter dem durchdringenden Geschrei der Matrosen hoben sich die Masten, die Wimpel flatterten, die Segel dehnten sich, vom Winde gebläht, und allmählich verschwand Hamburg und die Küste des geliebten Vaterlandes aus unsern Augen.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="3"> <head>3.</head> <p>Es war meine erste Seereise nicht; ich hatte einigemal in Handelsgeschäften England besucht. Folglich fühlte ich keine Beschwerden, als die der Langenweile, welche ein so plötzlicher Wechsel der unterhal-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
er ihm meine Unbesonnenheiten erzählte — was er unbedenklich thun konnte, weil ich selbst kein Geheimniß daraus machte — ich, daß er mir sie ausführen half. Die Aussicht auf die Reise fing mich an zu ergötzen, und wenn ich einmal zur Strafe für meinen Leichtsinn, wie ein Wilddieb an den Hirsch, an eine Frau gefesselt werden sollte, so war es doch angenehmer, sie in Frankreich unter drei Schwestern zu suchen, als wenn sie mir hier aus dem Magazin der Kaufmannstöchter fix und fertig, und gut conditionirt, ohne weiteres Vorspiel zugestellt worden wäre.
Ich aß zu Mittag mit besserem Appetit, als meine Eltern und meine Schwester, und nahm ihre Glückwünsche, Thränen und gute Lehren beim Abschiede mit gleicher Gelassenheit auf. Schiffer Classen wartete mit Schmerzen. Er nahm sich nicht die Zeit mich zu bewillkommnen — kaum war ich ins Schiff getreten, so gab er das Signal; und unter dem durchdringenden Geschrei der Matrosen hoben sich die Masten, die Wimpel flatterten, die Segel dehnten sich, vom Winde gebläht, und allmählich verschwand Hamburg und die Küste des geliebten Vaterlandes aus unsern Augen.
3. Es war meine erste Seereise nicht; ich hatte einigemal in Handelsgeschäften England besucht. Folglich fühlte ich keine Beschwerden, als die der Langenweile, welche ein so plötzlicher Wechsel der unterhal-
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Zitationshilfe: | Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaehler_schwestern_1910/10>, abgerufen am 16.07.2024. |