Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Sie auf -- Sie verlieren jede Minute, wo Sie sie nicht sehen -- Potz Velten! rief ich, sprang auf und ließ mich ankleiden. Wenn ein Kenner vom Hamburger Fischmarkt, wie du, in Ekstase geräth, wo sollen meine fünf Sinne bleiben? Mr. Gerson machte mir den Morgenbesuch. Sie werden vergeben, Mr. Waltmann, sagte er, wenn ich mich den Tag über nicht um Sie bekümmere, als bei Tische. Meine Tochter wird Ihnen Gesellschaft leisten, so oft Sie sie wünschen und suchen. Ich bat ihn, sich nicht zu geniren. Er ging, und ich ließ mich bei Constancen melden, sobald meine Toilette fertig war. Ach mein armes Herz! -- Es pochte gewaltig, als ich in diesen Lichtkreis trat, um mir, gleich so vielen Andern, die Flügel zu verbrennen. Mich armen Sünder überfiel vor dieser hohen, blendenden Gestalt eine Ehrfurcht, die ich noch nie, außer in Paris beim Anblick meiner Unbekannten, gefühlt hatte. Sie stand da, wie ein überirdisches Wesen, und auf ihrem strahlenden Gesichte dünkte mir ein mitleidiges Lächeln über den Verwegenen, der sich bange erzitternd ihr darzustellen wagte, zu schweben. Das Erstaunen, ohne welches Niemand Ihre Reize sehen kann, ist Ihnen, Mademoiselle, nicht neu; aber neu ist mir ein Anblick, der jedes Malers Ideal befriedigen würde. Sie auf — Sie verlieren jede Minute, wo Sie sie nicht sehen — Potz Velten! rief ich, sprang auf und ließ mich ankleiden. Wenn ein Kenner vom Hamburger Fischmarkt, wie du, in Ekstase geräth, wo sollen meine fünf Sinne bleiben? Mr. Gerson machte mir den Morgenbesuch. Sie werden vergeben, Mr. Waltmann, sagte er, wenn ich mich den Tag über nicht um Sie bekümmere, als bei Tische. Meine Tochter wird Ihnen Gesellschaft leisten, so oft Sie sie wünschen und suchen. Ich bat ihn, sich nicht zu geniren. Er ging, und ich ließ mich bei Constancen melden, sobald meine Toilette fertig war. Ach mein armes Herz! — Es pochte gewaltig, als ich in diesen Lichtkreis trat, um mir, gleich so vielen Andern, die Flügel zu verbrennen. Mich armen Sünder überfiel vor dieser hohen, blendenden Gestalt eine Ehrfurcht, die ich noch nie, außer in Paris beim Anblick meiner Unbekannten, gefühlt hatte. Sie stand da, wie ein überirdisches Wesen, und auf ihrem strahlenden Gesichte dünkte mir ein mitleidiges Lächeln über den Verwegenen, der sich bange erzitternd ihr darzustellen wagte, zu schweben. Das Erstaunen, ohne welches Niemand Ihre Reize sehen kann, ist Ihnen, Mademoiselle, nicht neu; aber neu ist mir ein Anblick, der jedes Malers Ideal befriedigen würde. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="9"> <p><pb facs="#f0035"/> Sie auf — Sie verlieren jede Minute, wo Sie sie nicht sehen —</p><lb/> <p>Potz Velten! rief ich, sprang auf und ließ mich ankleiden. Wenn ein Kenner vom Hamburger Fischmarkt, wie du, in Ekstase geräth, wo sollen meine fünf Sinne bleiben?</p><lb/> <p>Mr. Gerson machte mir den Morgenbesuch. Sie werden vergeben, Mr. Waltmann, sagte er, wenn ich mich den Tag über nicht um Sie bekümmere, als bei Tische. Meine Tochter wird Ihnen Gesellschaft leisten, so oft Sie sie wünschen und suchen.</p><lb/> <p>Ich bat ihn, sich nicht zu geniren. Er ging, und ich ließ mich bei Constancen melden, sobald meine Toilette fertig war.</p><lb/> <p>Ach mein armes Herz! — Es pochte gewaltig, als ich in diesen Lichtkreis trat, um mir, gleich so vielen Andern, die Flügel zu verbrennen. Mich armen Sünder überfiel vor dieser hohen, blendenden Gestalt eine Ehrfurcht, die ich noch nie, außer in Paris beim Anblick meiner Unbekannten, gefühlt hatte. Sie stand da, wie ein überirdisches Wesen, und auf ihrem strahlenden Gesichte dünkte mir ein mitleidiges Lächeln über den Verwegenen, der sich bange erzitternd ihr darzustellen wagte, zu schweben.</p><lb/> <p>Das Erstaunen, ohne welches Niemand Ihre Reize sehen kann, ist Ihnen, Mademoiselle, nicht neu; aber neu ist mir ein Anblick, der jedes Malers Ideal befriedigen würde.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
Sie auf — Sie verlieren jede Minute, wo Sie sie nicht sehen —
Potz Velten! rief ich, sprang auf und ließ mich ankleiden. Wenn ein Kenner vom Hamburger Fischmarkt, wie du, in Ekstase geräth, wo sollen meine fünf Sinne bleiben?
Mr. Gerson machte mir den Morgenbesuch. Sie werden vergeben, Mr. Waltmann, sagte er, wenn ich mich den Tag über nicht um Sie bekümmere, als bei Tische. Meine Tochter wird Ihnen Gesellschaft leisten, so oft Sie sie wünschen und suchen.
Ich bat ihn, sich nicht zu geniren. Er ging, und ich ließ mich bei Constancen melden, sobald meine Toilette fertig war.
Ach mein armes Herz! — Es pochte gewaltig, als ich in diesen Lichtkreis trat, um mir, gleich so vielen Andern, die Flügel zu verbrennen. Mich armen Sünder überfiel vor dieser hohen, blendenden Gestalt eine Ehrfurcht, die ich noch nie, außer in Paris beim Anblick meiner Unbekannten, gefühlt hatte. Sie stand da, wie ein überirdisches Wesen, und auf ihrem strahlenden Gesichte dünkte mir ein mitleidiges Lächeln über den Verwegenen, der sich bange erzitternd ihr darzustellen wagte, zu schweben.
Das Erstaunen, ohne welches Niemand Ihre Reize sehen kann, ist Ihnen, Mademoiselle, nicht neu; aber neu ist mir ein Anblick, der jedes Malers Ideal befriedigen würde.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T12:26:46Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T12:26:46Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |