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Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sie mir selbst ins Geleise. Sie blieb sich gleich -- sie war in jeder Minute entzückend, aber in keiner mehr als in der andern, und ich gewöhnte mich an ihren Anblick, wie an den eines vortrefflichen Gemäldes.

Mit meiner Ruhe kam mein lustiger Jünglingsmuth wieder, und ich scherzte mit ihr über die Ansprüche, welche ihres Vaters Einwilligung mir auf sie vergönnte. Meine Augen haben geprüft, sagte ich, und Gott, der mein Herz kennt, weiß am besten, wie versengt es dabei weggekommen ist. Aber ich bin der Sohn eines Kaufmanns, und selbst dazu bestimmt. Wir Kaufleute prüfen jede Waare mit allen Sinnen so genau, als wir dürfen, ohne sie zu verderben. Sie dürfen sich nicht weigern, schöne Constance, mir den Versuch zu erlauben, ob diese Lippen sich so gut küssen, als sie sich ansehen.

Sie war zu sehr Französin, um einen solchen Scherz abzulehnen. Ich küßte sie -- aber diese trügerischen Lippen fingen die meinigen, wie die Leimruthe den sorglos hüpfenden Zeisig -- ich konnte mich nicht davon losreißen -- und als es geschah durch ihr Zurückdrängen, war meine frohe Laune weg, und mir fehlte, ich wußte selbst nicht was.

Ich hatte bisher kein Mädchen geliebt, ja keines berührt, die Unbekannte ausgenommen. In den unschuldigen Knabenjahren hatte leidenschaftliche Liebe zur Musik, und in der wilden Jünglingszeit bis jetzt

sie mir selbst ins Geleise. Sie blieb sich gleich — sie war in jeder Minute entzückend, aber in keiner mehr als in der andern, und ich gewöhnte mich an ihren Anblick, wie an den eines vortrefflichen Gemäldes.

Mit meiner Ruhe kam mein lustiger Jünglingsmuth wieder, und ich scherzte mit ihr über die Ansprüche, welche ihres Vaters Einwilligung mir auf sie vergönnte. Meine Augen haben geprüft, sagte ich, und Gott, der mein Herz kennt, weiß am besten, wie versengt es dabei weggekommen ist. Aber ich bin der Sohn eines Kaufmanns, und selbst dazu bestimmt. Wir Kaufleute prüfen jede Waare mit allen Sinnen so genau, als wir dürfen, ohne sie zu verderben. Sie dürfen sich nicht weigern, schöne Constance, mir den Versuch zu erlauben, ob diese Lippen sich so gut küssen, als sie sich ansehen.

Sie war zu sehr Französin, um einen solchen Scherz abzulehnen. Ich küßte sie — aber diese trügerischen Lippen fingen die meinigen, wie die Leimruthe den sorglos hüpfenden Zeisig — ich konnte mich nicht davon losreißen — und als es geschah durch ihr Zurückdrängen, war meine frohe Laune weg, und mir fehlte, ich wußte selbst nicht was.

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[0037] sie mir selbst ins Geleise. Sie blieb sich gleich — sie war in jeder Minute entzückend, aber in keiner mehr als in der andern, und ich gewöhnte mich an ihren Anblick, wie an den eines vortrefflichen Gemäldes. Mit meiner Ruhe kam mein lustiger Jünglingsmuth wieder, und ich scherzte mit ihr über die Ansprüche, welche ihres Vaters Einwilligung mir auf sie vergönnte. Meine Augen haben geprüft, sagte ich, und Gott, der mein Herz kennt, weiß am besten, wie versengt es dabei weggekommen ist. Aber ich bin der Sohn eines Kaufmanns, und selbst dazu bestimmt. Wir Kaufleute prüfen jede Waare mit allen Sinnen so genau, als wir dürfen, ohne sie zu verderben. Sie dürfen sich nicht weigern, schöne Constance, mir den Versuch zu erlauben, ob diese Lippen sich so gut küssen, als sie sich ansehen. Sie war zu sehr Französin, um einen solchen Scherz abzulehnen. Ich küßte sie — aber diese trügerischen Lippen fingen die meinigen, wie die Leimruthe den sorglos hüpfenden Zeisig — ich konnte mich nicht davon losreißen — und als es geschah durch ihr Zurückdrängen, war meine frohe Laune weg, und mir fehlte, ich wußte selbst nicht was. Ich hatte bisher kein Mädchen geliebt, ja keines berührt, die Unbekannte ausgenommen. In den unschuldigen Knabenjahren hatte leidenschaftliche Liebe zur Musik, und in der wilden Jünglingszeit bis jetzt

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:26:46Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:26:46Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaehler_schwestern_1910/37>, abgerufen am 27.04.2024.