Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

weibliche Reiz war ihr um ein Kleines geringer als Constancen zugetheilt worden. Sie sang, sie spielte, sie stickte und malte auch, aber gegen Constancen immer nur wie eine talentvolle Schülerin gegen den Meister. Alle diese Bemerkungen machten mir in den ersten Tagen viel Vergnügen. Sie hatte überdies etwas Niedergeschlagenes in ihrem Wesen, was ihr nicht vortheilhaft war.

Allmählich verlor sich dieser anscheinende Trübsinn, und es lebte ein Geist in dem reizenden Körper auf, den die Natur mit unwiderstehlichem Interesse ausgestattet hatte, und der gegen Constancens Gelassenheit wie ein helles Bild auf dunkelm Grunde abstach. Eine Fülle von witzigen Einfällen strömte über ihre Lippen -- in dem Augenblick, wo man die Pointe des ersten bewunderte, riß eine zweite die Aufmerksamkeit schon an sich. Sie unterdrückte oft ihren Witz, aber nie konnte sie die allerliebste satyrischfröhliche Physiognomie des Witzes unterdrücken, womit ihre Gedanken ihr blühendes Gesicht verschönerten. Ihre Handlungen, ihre Vergnügungen hatten dasselbe Gepräge. Ihr Gesang sprach die verschiedensten Gefühle mit gleicher Lebhaftigkeit aus -- ihre Gemälde hatten eine höchst pikante Originalität, und ihre Stickerei übertraf, nicht in der Ausführung, aber in der Anlage, weit die ihrer Schwester.

Meine natürliche Lustigkeit fand an der ihrigen Behagen; wir wurden allmählich vertrauter, und ich

weibliche Reiz war ihr um ein Kleines geringer als Constancen zugetheilt worden. Sie sang, sie spielte, sie stickte und malte auch, aber gegen Constancen immer nur wie eine talentvolle Schülerin gegen den Meister. Alle diese Bemerkungen machten mir in den ersten Tagen viel Vergnügen. Sie hatte überdies etwas Niedergeschlagenes in ihrem Wesen, was ihr nicht vortheilhaft war.

Allmählich verlor sich dieser anscheinende Trübsinn, und es lebte ein Geist in dem reizenden Körper auf, den die Natur mit unwiderstehlichem Interesse ausgestattet hatte, und der gegen Constancens Gelassenheit wie ein helles Bild auf dunkelm Grunde abstach. Eine Fülle von witzigen Einfällen strömte über ihre Lippen — in dem Augenblick, wo man die Pointe des ersten bewunderte, riß eine zweite die Aufmerksamkeit schon an sich. Sie unterdrückte oft ihren Witz, aber nie konnte sie die allerliebste satyrischfröhliche Physiognomie des Witzes unterdrücken, womit ihre Gedanken ihr blühendes Gesicht verschönerten. Ihre Handlungen, ihre Vergnügungen hatten dasselbe Gepräge. Ihr Gesang sprach die verschiedensten Gefühle mit gleicher Lebhaftigkeit aus — ihre Gemälde hatten eine höchst pikante Originalität, und ihre Stickerei übertraf, nicht in der Ausführung, aber in der Anlage, weit die ihrer Schwester.

Meine natürliche Lustigkeit fand an der ihrigen Behagen; wir wurden allmählich vertrauter, und ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="10">
        <p><pb facs="#f0040"/>
weibliche Reiz war ihr um ein                Kleines geringer als Constancen zugetheilt worden. Sie sang, sie spielte, sie stickte                und malte auch, aber gegen Constancen immer nur wie eine talentvolle Schülerin gegen                den Meister. Alle diese Bemerkungen machten mir in den ersten Tagen viel Vergnügen.                Sie hatte überdies etwas Niedergeschlagenes in ihrem Wesen, was ihr nicht                vortheilhaft war.</p><lb/>
        <p>Allmählich verlor sich dieser anscheinende Trübsinn, und es lebte ein Geist in dem                reizenden Körper auf, den die Natur mit unwiderstehlichem Interesse ausgestattet                hatte, und der gegen Constancens Gelassenheit wie ein helles Bild auf dunkelm Grunde                abstach. Eine Fülle von witzigen Einfällen strömte über ihre Lippen &#x2014; in dem                Augenblick, wo man die Pointe des ersten bewunderte, riß eine zweite die                Aufmerksamkeit schon an sich. Sie unterdrückte oft ihren Witz, aber nie konnte sie                die allerliebste satyrischfröhliche Physiognomie des Witzes unterdrücken, womit ihre                Gedanken ihr blühendes Gesicht verschönerten. Ihre Handlungen, ihre Vergnügungen                hatten dasselbe Gepräge. Ihr Gesang sprach die verschiedensten Gefühle mit gleicher                Lebhaftigkeit aus &#x2014; ihre Gemälde hatten eine höchst pikante Originalität, und ihre                Stickerei übertraf, nicht in der Ausführung, aber in der Anlage, weit die ihrer                Schwester.</p><lb/>
        <p>Meine natürliche Lustigkeit fand an der ihrigen Behagen; wir wurden allmählich                vertrauter, und ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0040] weibliche Reiz war ihr um ein Kleines geringer als Constancen zugetheilt worden. Sie sang, sie spielte, sie stickte und malte auch, aber gegen Constancen immer nur wie eine talentvolle Schülerin gegen den Meister. Alle diese Bemerkungen machten mir in den ersten Tagen viel Vergnügen. Sie hatte überdies etwas Niedergeschlagenes in ihrem Wesen, was ihr nicht vortheilhaft war. Allmählich verlor sich dieser anscheinende Trübsinn, und es lebte ein Geist in dem reizenden Körper auf, den die Natur mit unwiderstehlichem Interesse ausgestattet hatte, und der gegen Constancens Gelassenheit wie ein helles Bild auf dunkelm Grunde abstach. Eine Fülle von witzigen Einfällen strömte über ihre Lippen — in dem Augenblick, wo man die Pointe des ersten bewunderte, riß eine zweite die Aufmerksamkeit schon an sich. Sie unterdrückte oft ihren Witz, aber nie konnte sie die allerliebste satyrischfröhliche Physiognomie des Witzes unterdrücken, womit ihre Gedanken ihr blühendes Gesicht verschönerten. Ihre Handlungen, ihre Vergnügungen hatten dasselbe Gepräge. Ihr Gesang sprach die verschiedensten Gefühle mit gleicher Lebhaftigkeit aus — ihre Gemälde hatten eine höchst pikante Originalität, und ihre Stickerei übertraf, nicht in der Ausführung, aber in der Anlage, weit die ihrer Schwester. Meine natürliche Lustigkeit fand an der ihrigen Behagen; wir wurden allmählich vertrauter, und ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:26:46Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:26:46Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kaehler_schwestern_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kaehler_schwestern_1910/40
Zitationshilfe: Kähler, Ludwig August: Die drei Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–57. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaehler_schwestern_1910/40>, abgerufen am 23.11.2024.