Fünftes Kapitel. Von dem Gewimmel der Menschen, die den Weg täglich bereisen und darauf ihre Nahrung suchen.
Die Heerstraßen des Landes sind täglich mit einer unglaublichen Menge Menschen und zu einigen Jahrszeiten so stark als die Gassen in einer Europäischen volkreichen Stadt angefült; von dem beschriebenen Too kaidoo, der unstreitig der vor- nehmste der sieben Hauptwege ist, kan ich das aus der Erfahrung bezeugen, weil ich ihn viermal passirt bin. Dieses verursachen, theils die starke Anzahl der Einwohner des Reichs, theils die vielen Reisen, die sie, wider die Gewohnheit andrer Nationen, anstel- len. Jch wil hier die merkwürdigsten Partheien der Reisenden anführen.
Zuerst nehme ich die großen und kleinen Landesfürsten, der hohen und niedern Gouverneurs der Kaiserlichen Städte und Landschaften, nebst ihrem Gefolge, welche den Weg in Zeit von einem Jahre hin und her und also zweimal machen, indem sie am Hofe zu bestimter Zeit erscheinen, und wieder von da abreisen müssen. Sie verrichten solches jedesmal in Begleitung ihres ganzen Hofstaats mit einem so zahlreichen und kostbaren Auf- zuge, als es ihr Stand und Vermögen nur immer erlauben, daher der Zug der größesten Landesfürsten den Weg auf etliche Tagereisen erfüllet; wie es uns denn begegnet ist, daß ihr Vortrab, der aus den geringern Bedienten, Bagageführern und Trosknechten bestehet, allemal zween Tage lang, jedoch in zertheilten Haufen, bei uns auf unserer schleunigeren Fortreise vorbeigezogen, ehe wir den Landesfürsten selbst mit seinem Hofschwarm in einer re- gelmäßigen Ordnung gesehen haben, welche erst am dritten Tage zu geschehn pflegte. Ei- nen Zug der mächtigsten Daimio oder Landesfürsten schätzet man mehr oder weniger auf 20000, den eines Sjo mio auf die Hälfte und den eines Kaiserlichen Stadt- oder Landgouverneurs, nach den verschiedenen Einkünften und Würden, auf ein oder etliche 100 Köpfe. Wenn zween oder mehrere solcher volkreichen Aufzüge auf einmal zugleich geschehen solten, so würde
einer
Fuͤnftes Kapitel. Von dem Gewimmel der Menſchen, die den Weg taͤglich bereiſen und darauf ihre Nahrung ſuchen.
Die Heerſtraßen des Landes ſind taͤglich mit einer unglaublichen Menge Menſchen und zu einigen Jahrszeiten ſo ſtark als die Gaſſen in einer Europaͤiſchen volkreichen Stadt angefuͤlt; von dem beſchriebenen Too kaidoo, der unſtreitig der vor- nehmſte der ſieben Hauptwege iſt, kan ich das aus der Erfahrung bezeugen, weil ich ihn viermal paſſirt bin. Dieſes verurſachen, theils die ſtarke Anzahl der Einwohner des Reichs, theils die vielen Reiſen, die ſie, wider die Gewohnheit andrer Nationen, anſtel- len. Jch wil hier die merkwuͤrdigſten Partheien der Reiſenden anfuͤhren.
Zuerſt nehme ich die großen und kleinen Landesfuͤrſten, der hohen und niedern Gouverneurs der Kaiſerlichen Staͤdte und Landſchaften, nebſt ihrem Gefolge, welche den Weg in Zeit von einem Jahre hin und her und alſo zweimal machen, indem ſie am Hofe zu beſtimter Zeit erſcheinen, und wieder von da abreiſen muͤſſen. Sie verrichten ſolches jedesmal in Begleitung ihres ganzen Hofſtaats mit einem ſo zahlreichen und koſtbaren Auf- zuge, als es ihr Stand und Vermoͤgen nur immer erlauben, daher der Zug der groͤßeſten Landesfuͤrſten den Weg auf etliche Tagereiſen erfuͤllet; wie es uns denn begegnet iſt, daß ihr Vortrab, der aus den geringern Bedienten, Bagagefuͤhrern und Trosknechten beſtehet, allemal zween Tage lang, jedoch in zertheilten Haufen, bei uns auf unſerer ſchleunigeren Fortreiſe vorbeigezogen, ehe wir den Landesfuͤrſten ſelbſt mit ſeinem Hofſchwarm in einer re- gelmaͤßigen Ordnung geſehen haben, welche erſt am dritten Tage zu geſchehn pflegte. Ei- nen Zug der maͤchtigſten Daimio oder Landesfuͤrſten ſchaͤtzet man mehr oder weniger auf 20000, den eines Sjo mio auf die Haͤlfte und den eines Kaiſerlichen Stadt- oder Landgouverneurs, nach den verſchiedenen Einkuͤnften und Wuͤrden, auf ein oder etliche 100 Koͤpfe. Wenn zween oder mehrere ſolcher volkreichen Aufzuͤge auf einmal zugleich geſchehen ſolten, ſo wuͤrde
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Fuͤnftes Kapitel.
Von dem Gewimmel der Menſchen, die den Weg
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Die Heerſtraßen des Landes ſind taͤglich mit einer unglaublichen Menge Menſchen und
zu einigen Jahrszeiten ſo ſtark als die Gaſſen in einer Europaͤiſchen volkreichen
Stadt angefuͤlt; von dem beſchriebenen Too kaidoo, der unſtreitig der vor-
nehmſte der ſieben Hauptwege iſt, kan ich das aus der Erfahrung bezeugen, weil ich ihn
viermal paſſirt bin. Dieſes verurſachen, theils die ſtarke Anzahl der Einwohner des
Reichs, theils die vielen Reiſen, die ſie, wider die Gewohnheit andrer Nationen, anſtel-
len. Jch wil hier die merkwuͤrdigſten Partheien der Reiſenden anfuͤhren.
Zuerſt nehme ich die großen und kleinen Landesfuͤrſten, der hohen und niedern
Gouverneurs der Kaiſerlichen Staͤdte und Landſchaften, nebſt ihrem Gefolge, welche den
Weg in Zeit von einem Jahre hin und her und alſo zweimal machen, indem ſie am Hofe
zu beſtimter Zeit erſcheinen, und wieder von da abreiſen muͤſſen. Sie verrichten ſolches
jedesmal in Begleitung ihres ganzen Hofſtaats mit einem ſo zahlreichen und koſtbaren Auf-
zuge, als es ihr Stand und Vermoͤgen nur immer erlauben, daher der Zug der groͤßeſten
Landesfuͤrſten den Weg auf etliche Tagereiſen erfuͤllet; wie es uns denn begegnet iſt, daß
ihr Vortrab, der aus den geringern Bedienten, Bagagefuͤhrern und Trosknechten beſtehet,
allemal zween Tage lang, jedoch in zertheilten Haufen, bei uns auf unſerer ſchleunigeren
Fortreiſe vorbeigezogen, ehe wir den Landesfuͤrſten ſelbſt mit ſeinem Hofſchwarm in einer re-
gelmaͤßigen Ordnung geſehen haben, welche erſt am dritten Tage zu geſchehn pflegte. Ei-
nen Zug der maͤchtigſten Daimio oder Landesfuͤrſten ſchaͤtzet man mehr oder weniger auf 20000,
den eines Sjo mio auf die Haͤlfte und den eines Kaiſerlichen Stadt- oder Landgouverneurs,
nach den verſchiedenen Einkuͤnften und Wuͤrden, auf ein oder etliche 100 Koͤpfe. Wenn
zween oder mehrere ſolcher volkreichen Aufzuͤge auf einmal zugleich geſchehen ſolten, ſo wuͤrde
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/196>, abgerufen am 21.11.2024.
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