Achtes Kapitel. Reise von Kokura bis Osacka, angetreten den 17ten Februar 1691.
Nachdem wir uns an der Herberge in die anderthalb Stunden aufgehalten, und mit Japanischen Speisen uns wohl erfrischt hatten, verließen wir Kokura wieder, und wurden von vorhin genanten zween Hofedelleuten, die vor unserm Train hergien- gen, bis zu dem Meerufer an zwei Cabaya oder kleine Frachtbarken, die uns nach Simo- nosecki übersetzen solten, begleitet. So wol die große Brücke als der weite Plaz vor der Herberge war mit mehr als tausend Zuschauern vom gemeinen Pöbel besezt, welche sich zu beiden Seiten unsers Zugs kniend und in aller Stille niederließen, und deren keiner (viel- leicht aus Furcht oder Ehrerbietung gegen unsern Führer) aufzustehen oder einiges Geräusch zu machen das Herz hatte. Eben mit der Stadt Kokura bekamen wir zugleich die Jnsel Kiusjn hinter uns, welche auch wol von dem gemeinen Manne Nisji no Kuni, d. i. Neun Land, weil sie aus neun Provinzen oder Fürstenthümern bestehet, auch Saikokf, d. i. Westland, genent wird. Eine halbe Stunde vor Sonnen Untergang bestiegen wir die beiden kleinen Schiffe, und sezten damit drei Meilen über See nach Simonosecki, wo- selbst unsere große Barke vor fünf Tagen angekommen war, um damit die fernere Reise bis Osacka über See zu verfolgen. Das eine Schifchen, worauf ich mich befand, hatte die rechte Fahrt vermisset, und sich öfters festgesezt, daher es tiefer in die Nacht in fünf Stunden, und also zwei Stunden später als das andere, an Ort und Stelle gelangte. Wir nahmen alsbald auf erwähnter großer Barke unser Nachtlager, wo ein jeder seinen an- gewiesenen Plaz bereitet fand. Auf der kleinen Fahrt von Kokura bis Simonosecki, welche durch die Meerenge zwischen einer Jnsel Kikusima oder Finosima genant, und der Pro- vinz Busen gehet, wurden uns einige Oerter gezeigt, die wegen alda vorzeiten vorgefalle- ner Begebenheiten merkwürdig gehalten werden, als: zur rechten Hand, auf Kokuraschem Gebiete und an dem Busenschen Ufer, ein grünes mit Bäumen beseztes ebenes weites Feld, Tanasima, d. i. Perleninsel genant, und alda ein bewohnter Plaz, wo der Dairi oder geistliche Erbkaiser vor Alters seine Residenz gehabt, daher er noch bis jezt den Namen
Dairi
Achtes Kapitel. Reiſe von Kokura bis Oſacka, angetreten den 17ten Februar 1691.
Nachdem wir uns an der Herberge in die anderthalb Stunden aufgehalten, und mit Japaniſchen Speiſen uns wohl erfriſcht hatten, verließen wir Kokura wieder, und wurden von vorhin genanten zween Hofedelleuten, die vor unſerm Train hergien- gen, bis zu dem Meerufer an zwei Cabaya oder kleine Frachtbarken, die uns nach Simo- noſecki uͤberſetzen ſolten, begleitet. So wol die große Bruͤcke als der weite Plaz vor der Herberge war mit mehr als tauſend Zuſchauern vom gemeinen Poͤbel beſezt, welche ſich zu beiden Seiten unſers Zugs kniend und in aller Stille niederließen, und deren keiner (viel- leicht aus Furcht oder Ehrerbietung gegen unſern Fuͤhrer) aufzuſtehen oder einiges Geraͤuſch zu machen das Herz hatte. Eben mit der Stadt Kokura bekamen wir zugleich die Jnſel Kiuſjn hinter uns, welche auch wol von dem gemeinen Manne Niſji no Kuni, d. i. Neun Land, weil ſie aus neun Provinzen oder Fuͤrſtenthuͤmern beſtehet, auch Saikokf, d. i. Weſtland, genent wird. Eine halbe Stunde vor Sonnen Untergang beſtiegen wir die beiden kleinen Schiffe, und ſezten damit drei Meilen uͤber See nach Simonoſecki, wo- ſelbſt unſere große Barke vor fuͤnf Tagen angekommen war, um damit die fernere Reiſe bis Oſacka uͤber See zu verfolgen. Das eine Schifchen, worauf ich mich befand, hatte die rechte Fahrt vermiſſet, und ſich oͤfters feſtgeſezt, daher es tiefer in die Nacht in fuͤnf Stunden, und alſo zwei Stunden ſpaͤter als das andere, an Ort und Stelle gelangte. Wir nahmen alsbald auf erwaͤhnter großer Barke unſer Nachtlager, wo ein jeder ſeinen an- gewieſenen Plaz bereitet fand. Auf der kleinen Fahrt von Kokura bis Simonoſecki, welche durch die Meerenge zwiſchen einer Jnſel Kikuſima oder Finoſima genant, und der Pro- vinz Buſen gehet, wurden uns einige Oerter gezeigt, die wegen alda vorzeiten vorgefalle- ner Begebenheiten merkwuͤrdig gehalten werden, als: zur rechten Hand, auf Kokuraſchem Gebiete und an dem Buſenſchen Ufer, ein gruͤnes mit Baͤumen beſeztes ebenes weites Feld, Tanaſima, d. i. Perleninſel genant, und alda ein bewohnter Plaz, wo der Dairi oder geiſtliche Erbkaiſer vor Alters ſeine Reſidenz gehabt, daher er noch bis jezt den Namen
Dairi
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Achtes Kapitel.
Reiſe von Kokura bis Oſacka, angetreten
den 17ten Februar 1691.
Nachdem wir uns an der Herberge in die anderthalb Stunden aufgehalten, und mit
Japaniſchen Speiſen uns wohl erfriſcht hatten, verließen wir Kokura wieder, und
wurden von vorhin genanten zween Hofedelleuten, die vor unſerm Train hergien-
gen, bis zu dem Meerufer an zwei Cabaya oder kleine Frachtbarken, die uns nach Simo-
noſecki uͤberſetzen ſolten, begleitet. So wol die große Bruͤcke als der weite Plaz vor der
Herberge war mit mehr als tauſend Zuſchauern vom gemeinen Poͤbel beſezt, welche ſich zu
beiden Seiten unſers Zugs kniend und in aller Stille niederließen, und deren keiner (viel-
leicht aus Furcht oder Ehrerbietung gegen unſern Fuͤhrer) aufzuſtehen oder einiges Geraͤuſch
zu machen das Herz hatte. Eben mit der Stadt Kokura bekamen wir zugleich die Jnſel
Kiuſjn hinter uns, welche auch wol von dem gemeinen Manne Niſji no Kuni, d. i.
Neun Land, weil ſie aus neun Provinzen oder Fuͤrſtenthuͤmern beſtehet, auch Saikokf,
d. i. Weſtland, genent wird. Eine halbe Stunde vor Sonnen Untergang beſtiegen wir
die beiden kleinen Schiffe, und ſezten damit drei Meilen uͤber See nach Simonoſecki, wo-
ſelbſt unſere große Barke vor fuͤnf Tagen angekommen war, um damit die fernere Reiſe
bis Oſacka uͤber See zu verfolgen. Das eine Schifchen, worauf ich mich befand, hatte
die rechte Fahrt vermiſſet, und ſich oͤfters feſtgeſezt, daher es tiefer in die Nacht in fuͤnf
Stunden, und alſo zwei Stunden ſpaͤter als das andere, an Ort und Stelle gelangte.
Wir nahmen alsbald auf erwaͤhnter großer Barke unſer Nachtlager, wo ein jeder ſeinen an-
gewieſenen Plaz bereitet fand. Auf der kleinen Fahrt von Kokura bis Simonoſecki, welche
durch die Meerenge zwiſchen einer Jnſel Kikuſima oder Finoſima genant, und der Pro-
vinz Buſen gehet, wurden uns einige Oerter gezeigt, die wegen alda vorzeiten vorgefalle-
ner Begebenheiten merkwuͤrdig gehalten werden, als: zur rechten Hand, auf Kokuraſchem
Gebiete und an dem Buſenſchen Ufer, ein gruͤnes mit Baͤumen beſeztes ebenes weites Feld,
Tanaſima, d. i. Perleninſel genant, und alda ein bewohnter Plaz, wo der Dairi oder
geiſtliche Erbkaiſer vor Alters ſeine Reſidenz gehabt, daher er noch bis jezt den Namen
Dairi
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/232>, abgerufen am 21.11.2024.
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