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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779.

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II. Beweis der nothwendigen Trennung Japans von der übrigen Welt.
daß er diese Fürsten leicht überreden würde, künftig ihre Gemahlinnen und Kinder seiner
Residenz anzuvertrauen, die er unterdeß wohl befestiget und mit vielen schönen Pallästen ge-
schmückt hatte. Er gebrauchte natürlich den Vorwand größerer Sicherheit für sie, auf die
man jetzt mehr wie ehmals Rücksicht nehmen müsse. Sie selbst solten sich wieder auf ihre
Güter begeben, und jährlich zu gewissen Zeiten ihre Familien am Hofe und zugleich den
Kaiser besuchen. Diese kluge Einrichtung brachte eine völlige Umänderung der bisherigen
Regierungsform hervor, und war für die Gewalt der kleinen Fürsten tödtlich. Er bekam
nämlich ihre Familien zu beständigen Geisseln ihrer Treue, die sie noch überdem selbst jähr-
lich durch die abgelegte Huldigung von neuen bekräftigen musten. Gewis ist dieses ein aus-
serordentliches Beyspiel, da so stolze und erhabene Fürsten durch einen aus dem untersten
Volk emporgeschwungenen Held gänzlich unterworfen sind.

Da diese der algemeinen Sicherheit des Staats und besonders der höchsten Regen-
ten nachtheilige Gewalt der kleinen Könige also gehörig beschränkt war, hielt man es gut,
auch die den Staaten so gefährliche ausgelassene Freyheit des Volks, dieses vielköpfige Un-
geheuer, zu bändigen. Die neu entstandne Majestät muste gegen die aufrührischen Gesin-
nungen der Unterthanen durch neue Gesetze bevestigt werden. Sie wurden dem Genius
dieses Himmelsstriches und Volkes gemäß eingerichtet, und wie ehemals des atheniensischen
Draco Gesetze, nicht mit Dinte, sondern mit Blute geschrieben. Diese Härte besteht aber
nicht darin, daß sie etwas verlangen, das über das Vermögen der Unterthanen gienge,
oder sich nicht auf die Wohlfahrt und jetzige Verfassung des Staats gründete, auch sind sie
nicht im Geiste des Dionysius so hoch gehangen, daß sie nicht gelesen werden könnten, um
Unschuldige ins Verderben zu bringen. Jhre Strenge liegt darinn, daß alle Vergehungen
gegen die Kaiserlichen Gesetze, mit keiner Geld- oder Leibesstrafe, sondern einzig und allein
mit dem Blut des Verbrechers ausgesöhnt werden können, ohne daß jemals irgend eine
Nachsicht oder Milderung möglich ist. Hievon sind bloß die Großen des Reichs ausgenom-
men, welche auf wüste Jnseln verwiesen werden, oder sich selbst entleiben müssen. Durch
solche Gesetze können nur die Einwohner dieses Landes gebändigt werden, wo man es für
äusserst nachtheilig und ungerecht hält, (und gewis nicht ohne Grund) nur die Armen zu stra-
fen, und den Reichen die Uebertretung der Gesetze nachzusehen. Jch habe auf meinen Rei-
sen die Kürze und Einfalt in den aufgehängten Gesetzafeln, (durch die aller Orten den Un-
terthanen ihre Pflichten vorgehalten werden) bewundert. Man findet in denselben nie eine
Ursache oder Veranlassung des neuen Gesetzes, nie einen Beweggrund oder Zweck des Gesez-
gebers angegeben, nie irgend eine Beschaffenheit der Strafe bestimmt. Man glaubt hier,
daß der erhabenen Größe des höchsten Regentens auch nur Kaiserliche Kürze in den Befehlen
würdig sey; daß es genug sey, wenn derjenige Ursache und Absicht des Gesetzes wisse, an
dessen Weisheit im Urtheilen man ohne Staatsverbrechen nicht zweifeln darf. Und da für

alle

II. Beweis der nothwendigen Trennung Japans von der uͤbrigen Welt.
daß er dieſe Fuͤrſten leicht uͤberreden wuͤrde, kuͤnftig ihre Gemahlinnen und Kinder ſeiner
Reſidenz anzuvertrauen, die er unterdeß wohl befeſtiget und mit vielen ſchoͤnen Pallaͤſten ge-
ſchmuͤckt hatte. Er gebrauchte natuͤrlich den Vorwand groͤßerer Sicherheit fuͤr ſie, auf die
man jetzt mehr wie ehmals Ruͤckſicht nehmen muͤſſe. Sie ſelbſt ſolten ſich wieder auf ihre
Guͤter begeben, und jaͤhrlich zu gewiſſen Zeiten ihre Familien am Hofe und zugleich den
Kaiſer beſuchen. Dieſe kluge Einrichtung brachte eine voͤllige Umaͤnderung der bisherigen
Regierungsform hervor, und war fuͤr die Gewalt der kleinen Fuͤrſten toͤdtlich. Er bekam
naͤmlich ihre Familien zu beſtaͤndigen Geiſſeln ihrer Treue, die ſie noch uͤberdem ſelbſt jaͤhr-
lich durch die abgelegte Huldigung von neuen bekraͤftigen muſten. Gewis iſt dieſes ein auſ-
ſerordentliches Beyſpiel, da ſo ſtolze und erhabene Fuͤrſten durch einen aus dem unterſten
Volk emporgeſchwungenen Held gaͤnzlich unterworfen ſind.

Da dieſe der algemeinen Sicherheit des Staats und beſonders der hoͤchſten Regen-
ten nachtheilige Gewalt der kleinen Koͤnige alſo gehoͤrig beſchraͤnkt war, hielt man es gut,
auch die den Staaten ſo gefaͤhrliche ausgelaſſene Freyheit des Volks, dieſes vielkoͤpfige Un-
geheuer, zu baͤndigen. Die neu entſtandne Majeſtaͤt muſte gegen die aufruͤhriſchen Geſin-
nungen der Unterthanen durch neue Geſetze beveſtigt werden. Sie wurden dem Genius
dieſes Himmelsſtriches und Volkes gemaͤß eingerichtet, und wie ehemals des athenienſiſchen
Draco Geſetze, nicht mit Dinte, ſondern mit Blute geſchrieben. Dieſe Haͤrte beſteht aber
nicht darin, daß ſie etwas verlangen, das uͤber das Vermoͤgen der Unterthanen gienge,
oder ſich nicht auf die Wohlfahrt und jetzige Verfaſſung des Staats gruͤndete, auch ſind ſie
nicht im Geiſte des Dionyſius ſo hoch gehangen, daß ſie nicht geleſen werden koͤnnten, um
Unſchuldige ins Verderben zu bringen. Jhre Strenge liegt darinn, daß alle Vergehungen
gegen die Kaiſerlichen Geſetze, mit keiner Geld- oder Leibesſtrafe, ſondern einzig und allein
mit dem Blut des Verbrechers ausgeſoͤhnt werden koͤnnen, ohne daß jemals irgend eine
Nachſicht oder Milderung moͤglich iſt. Hievon ſind bloß die Großen des Reichs ausgenom-
men, welche auf wuͤſte Jnſeln verwieſen werden, oder ſich ſelbſt entleiben muͤſſen. Durch
ſolche Geſetze koͤnnen nur die Einwohner dieſes Landes gebaͤndigt werden, wo man es fuͤr
aͤuſſerſt nachtheilig und ungerecht haͤlt, (und gewis nicht ohne Grund) nur die Armen zu ſtra-
fen, und den Reichen die Uebertretung der Geſetze nachzuſehen. Jch habe auf meinen Rei-
ſen die Kuͤrze und Einfalt in den aufgehaͤngten Geſetzafeln, (durch die aller Orten den Un-
terthanen ihre Pflichten vorgehalten werden) bewundert. Man findet in denſelben nie eine
Urſache oder Veranlaſſung des neuen Geſetzes, nie einen Beweggrund oder Zweck des Geſez-
gebers angegeben, nie irgend eine Beſchaffenheit der Strafe beſtimmt. Man glaubt hier,
daß der erhabenen Groͤße des hoͤchſten Regentens auch nur Kaiſerliche Kuͤrze in den Befehlen
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[408/0464] II. Beweis der nothwendigen Trennung Japans von der uͤbrigen Welt. daß er dieſe Fuͤrſten leicht uͤberreden wuͤrde, kuͤnftig ihre Gemahlinnen und Kinder ſeiner Reſidenz anzuvertrauen, die er unterdeß wohl befeſtiget und mit vielen ſchoͤnen Pallaͤſten ge- ſchmuͤckt hatte. Er gebrauchte natuͤrlich den Vorwand groͤßerer Sicherheit fuͤr ſie, auf die man jetzt mehr wie ehmals Ruͤckſicht nehmen muͤſſe. Sie ſelbſt ſolten ſich wieder auf ihre Guͤter begeben, und jaͤhrlich zu gewiſſen Zeiten ihre Familien am Hofe und zugleich den Kaiſer beſuchen. Dieſe kluge Einrichtung brachte eine voͤllige Umaͤnderung der bisherigen Regierungsform hervor, und war fuͤr die Gewalt der kleinen Fuͤrſten toͤdtlich. Er bekam naͤmlich ihre Familien zu beſtaͤndigen Geiſſeln ihrer Treue, die ſie noch uͤberdem ſelbſt jaͤhr- lich durch die abgelegte Huldigung von neuen bekraͤftigen muſten. Gewis iſt dieſes ein auſ- ſerordentliches Beyſpiel, da ſo ſtolze und erhabene Fuͤrſten durch einen aus dem unterſten Volk emporgeſchwungenen Held gaͤnzlich unterworfen ſind. Da dieſe der algemeinen Sicherheit des Staats und beſonders der hoͤchſten Regen- ten nachtheilige Gewalt der kleinen Koͤnige alſo gehoͤrig beſchraͤnkt war, hielt man es gut, auch die den Staaten ſo gefaͤhrliche ausgelaſſene Freyheit des Volks, dieſes vielkoͤpfige Un- geheuer, zu baͤndigen. Die neu entſtandne Majeſtaͤt muſte gegen die aufruͤhriſchen Geſin- nungen der Unterthanen durch neue Geſetze beveſtigt werden. Sie wurden dem Genius dieſes Himmelsſtriches und Volkes gemaͤß eingerichtet, und wie ehemals des athenienſiſchen Draco Geſetze, nicht mit Dinte, ſondern mit Blute geſchrieben. Dieſe Haͤrte beſteht aber nicht darin, daß ſie etwas verlangen, das uͤber das Vermoͤgen der Unterthanen gienge, oder ſich nicht auf die Wohlfahrt und jetzige Verfaſſung des Staats gruͤndete, auch ſind ſie nicht im Geiſte des Dionyſius ſo hoch gehangen, daß ſie nicht geleſen werden koͤnnten, um Unſchuldige ins Verderben zu bringen. Jhre Strenge liegt darinn, daß alle Vergehungen gegen die Kaiſerlichen Geſetze, mit keiner Geld- oder Leibesſtrafe, ſondern einzig und allein mit dem Blut des Verbrechers ausgeſoͤhnt werden koͤnnen, ohne daß jemals irgend eine Nachſicht oder Milderung moͤglich iſt. Hievon ſind bloß die Großen des Reichs ausgenom- men, welche auf wuͤſte Jnſeln verwieſen werden, oder ſich ſelbſt entleiben muͤſſen. Durch ſolche Geſetze koͤnnen nur die Einwohner dieſes Landes gebaͤndigt werden, wo man es fuͤr aͤuſſerſt nachtheilig und ungerecht haͤlt, (und gewis nicht ohne Grund) nur die Armen zu ſtra- fen, und den Reichen die Uebertretung der Geſetze nachzuſehen. Jch habe auf meinen Rei- ſen die Kuͤrze und Einfalt in den aufgehaͤngten Geſetzafeln, (durch die aller Orten den Un- terthanen ihre Pflichten vorgehalten werden) bewundert. Man findet in denſelben nie eine Urſache oder Veranlaſſung des neuen Geſetzes, nie einen Beweggrund oder Zweck des Geſez- gebers angegeben, nie irgend eine Beſchaffenheit der Strafe beſtimmt. Man glaubt hier, daß der erhabenen Groͤße des hoͤchſten Regentens auch nur Kaiſerliche Kuͤrze in den Befehlen wuͤrdig ſey; daß es genug ſey, wenn derjenige Urſache und Abſicht des Geſetzes wiſſe, an deſſen Weisheit im Urtheilen man ohne Staatsverbrechen nicht zweifeln darf. Und da fuͤr alle

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/464>, abgerufen am 24.11.2024.