IV. Von der Moxa, dem vortreflichsten Brenmittel, das bei den Sinesern und Japanern sehr häufig gebraucht wird.
§. 1.
Asien, in seiner weitesten Ausdehnung bis an die äußerste Gränze der Erde und zu unsern Antipoden, hat drei Helikons, der Araber, Brachmaner und Sineser, von denen alle Wissenschaften und Künste der Völker des weiten Orients ausge- gangen sind. Alle diese Völker sind durch Klima, Sprache, Sitten und Religion unge- mein von einander unterschieden, und haben auch, nachdem ihre Kentnisse aus einer ver- schiednen Quelle abgeflossen, ganz verschiedene medicinische (denn von den übrigen kan ich hier nicht reden) Grundsätze, Lehren und Heilarten. Jndes sind sie, wenn man nach den Ursachen der Krankheiten frägt, alle einstimmig, die Blähungen und Dünste als die Hauptursachen anzugeben, so daß sie mit unserm großen Coischem Lehrer (Lib. de flat.) alle mögliche Schmerzen und Leiden den Winden zuschreiben. Und diese, glauben sie, könten nicht glüklicher als durch Brenmittel geheilt werden. Jn der Anwendung pflegt alsdenn die Frage zu seyn, ob man Feuer oder glühendes Eisen gebrauchen müsse? Denn beide vereinigte Kräfte vom Vulkan und Mars zu gebrauchen, halten sie für eine Bar- barei, die überflüssig und unnüz und also eines nach Grundsätzen handelnden Arztes un- würdig seyn würde, der bei dem Brennen keine andre Absicht haben dürfe, als entweder die eingeschlossene Materie des Schmerzes zu befreien, oder die schon befreiete aus dem Kör- per ganz heraus in die freie Luft zu bringen. Sie ziehen daher ein sich langsam einschlei- chendes, sanft brennendes Feuer, das mittelst des öfnenden Satzes die Ursache der Krank- heit langsam und sicher aus dem Körper lokt, demjenigen vor, welches mit einem stark an- greifenden und nagenden Vitriol die Haut und das Fleisch auf eine grausame Art angreift. Die alten arabischen, ägyptischen und griechischen Aerzte, von denen unsre europäischen die Heilkunst erlernt haben, bauten auf eben diese Gründe, und zogen dem glühenden Eisen
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IV. Von der Moxa, dem vortreflichſten Brenmittel, das bei den Sineſern und Japanern ſehr haͤufig gebraucht wird.
§. 1.
Aſien, in ſeiner weiteſten Ausdehnung bis an die aͤußerſte Graͤnze der Erde und zu unſern Antipoden, hat drei Helikons, der Araber, Brachmaner und Sineſer, von denen alle Wiſſenſchaften und Kuͤnſte der Voͤlker des weiten Orients ausge- gangen ſind. Alle dieſe Voͤlker ſind durch Klima, Sprache, Sitten und Religion unge- mein von einander unterſchieden, und haben auch, nachdem ihre Kentniſſe aus einer ver- ſchiednen Quelle abgefloſſen, ganz verſchiedene mediciniſche (denn von den uͤbrigen kan ich hier nicht reden) Grundſaͤtze, Lehren und Heilarten. Jndes ſind ſie, wenn man nach den Urſachen der Krankheiten fraͤgt, alle einſtimmig, die Blaͤhungen und Duͤnſte als die Haupturſachen anzugeben, ſo daß ſie mit unſerm großen Coiſchem Lehrer (Lib. de flat.) alle moͤgliche Schmerzen und Leiden den Winden zuſchreiben. Und dieſe, glauben ſie, koͤnten nicht gluͤklicher als durch Brenmittel geheilt werden. Jn der Anwendung pflegt alsdenn die Frage zu ſeyn, ob man Feuer oder gluͤhendes Eiſen gebrauchen muͤſſe? Denn beide vereinigte Kraͤfte vom Vulkan und Mars zu gebrauchen, halten ſie fuͤr eine Bar- barei, die uͤberfluͤſſig und unnuͤz und alſo eines nach Grundſaͤtzen handelnden Arztes un- wuͤrdig ſeyn wuͤrde, der bei dem Brennen keine andre Abſicht haben duͤrfe, als entweder die eingeſchloſſene Materie des Schmerzes zu befreien, oder die ſchon befreiete aus dem Koͤr- per ganz heraus in die freie Luft zu bringen. Sie ziehen daher ein ſich langſam einſchlei- chendes, ſanft brennendes Feuer, das mittelſt des oͤfnenden Satzes die Urſache der Krank- heit langſam und ſicher aus dem Koͤrper lokt, demjenigen vor, welches mit einem ſtark an- greifenden und nagenden Vitriol die Haut und das Fleiſch auf eine grauſame Art angreift. Die alten arabiſchen, aͤgyptiſchen und griechiſchen Aerzte, von denen unſre europaͤiſchen die Heilkunſt erlernt haben, bauten auf eben dieſe Gruͤnde, und zogen dem gluͤhenden Eiſen
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IV.
Von der Moxa, dem vortreflichſten Brenmittel,
das bei den Sineſern und Japanern ſehr haͤufig gebraucht wird.
§. 1.
Aſien, in ſeiner weiteſten Ausdehnung bis an die aͤußerſte Graͤnze der Erde und zu
unſern Antipoden, hat drei Helikons, der Araber, Brachmaner und Sineſer,
von denen alle Wiſſenſchaften und Kuͤnſte der Voͤlker des weiten Orients ausge-
gangen ſind. Alle dieſe Voͤlker ſind durch Klima, Sprache, Sitten und Religion unge-
mein von einander unterſchieden, und haben auch, nachdem ihre Kentniſſe aus einer ver-
ſchiednen Quelle abgefloſſen, ganz verſchiedene mediciniſche (denn von den uͤbrigen kan
ich hier nicht reden) Grundſaͤtze, Lehren und Heilarten. Jndes ſind ſie, wenn man nach
den Urſachen der Krankheiten fraͤgt, alle einſtimmig, die Blaͤhungen und Duͤnſte als die
Haupturſachen anzugeben, ſo daß ſie mit unſerm großen Coiſchem Lehrer (Lib. de flat.)
alle moͤgliche Schmerzen und Leiden den Winden zuſchreiben. Und dieſe, glauben ſie,
koͤnten nicht gluͤklicher als durch Brenmittel geheilt werden. Jn der Anwendung pflegt
alsdenn die Frage zu ſeyn, ob man Feuer oder gluͤhendes Eiſen gebrauchen muͤſſe? Denn
beide vereinigte Kraͤfte vom Vulkan und Mars zu gebrauchen, halten ſie fuͤr eine Bar-
barei, die uͤberfluͤſſig und unnuͤz und alſo eines nach Grundſaͤtzen handelnden Arztes un-
wuͤrdig ſeyn wuͤrde, der bei dem Brennen keine andre Abſicht haben duͤrfe, als entweder
die eingeſchloſſene Materie des Schmerzes zu befreien, oder die ſchon befreiete aus dem Koͤr-
per ganz heraus in die freie Luft zu bringen. Sie ziehen daher ein ſich langſam einſchlei-
chendes, ſanft brennendes Feuer, das mittelſt des oͤfnenden Satzes die Urſache der Krank-
heit langſam und ſicher aus dem Koͤrper lokt, demjenigen vor, welches mit einem ſtark an-
greifenden und nagenden Vitriol die Haut und das Fleiſch auf eine grauſame Art angreift.
Die alten arabiſchen, aͤgyptiſchen und griechiſchen Aerzte, von denen unſre europaͤiſchen
die Heilkunſt erlernt haben, bauten auf eben dieſe Gruͤnde, und zogen dem gluͤhenden Eiſen
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/487>, abgerufen am 24.11.2024.
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