Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Absch. Gründe zur Möglichkeit der Erfahr.
heiten dermassen unter Regeln stehe, daß niemals etwas
geschieht, vor welchem nicht etwas vorhergehe, darauf
es iederzeit folge: dieses, als ein Gesetz der Natur, w[or-]
auf beruht es, frage ich? und wie ist selbst diese Associa-
tion möglich? Der Grund der Möglichkeit der Association
des Mannigfaltigen, so fern es im Obiecte liegt, heißt die
Affinität des Mannigfaltigen. Ich frage also, wie macht
ihr euch die durchgängige Affinität der Erscheinungen, (da-
durch sie unter beständigen Gesetzen stehen, und darunter
gehören müssen.) begreiflich?

Nach meinen Grundsätzen ist sie sehr wol begreiflich.
Alle mögliche Erscheinungen gehören, als Vorstellungen, zu
dem ganzen möglichen Selbstbewustseyn. Von diesem
aber, als einer transscendentalen Vorstellung, ist die nu-
merische Identität unzertrenlich, und a priori gewiß, weil
nichts in das Erkentniß kommen kan, ohne vermittelst die-
ser ursprünglichen Apperception. Da nun diese Identität
nothwendig in der Synthesis alles Mannigfaltigen der Er-
scheinungen, so fern sie empirische Erkentniß werden soll,
hinein kommen muß, so sind die Erscheinungen Bedingun-
gen a priori unterworfen, welchen ihre Synthesis (der
Apprehension) durchgängig gemäs seyn muß. Nun heißt
aber die Vorstellung einer allgemeinen Bedingung, nach
welcher ein gewisses Mannigfaltige, (mithin auf einerley
Art) gesezt werden kan, eine Regel, und wenn es so
gesezt werden muß, ein Gesetz. Also stehen alle Erschei-
nungen in einer durchgängigen Verknüpfung nach noth-

wen-
H

II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr.
heiten dermaſſen unter Regeln ſtehe, daß niemals etwas
geſchieht, vor welchem nicht etwas vorhergehe, darauf
es iederzeit folge: dieſes, als ein Geſetz der Natur, w[or-]
auf beruht es, frage ich? und wie iſt ſelbſt dieſe Aſſocia-
tion moͤglich? Der Grund der Moͤglichkeit der Aſſociation
des Mannigfaltigen, ſo fern es im Obiecte liegt, heißt die
Affinitaͤt des Mannigfaltigen. Ich frage alſo, wie macht
ihr euch die durchgaͤngige Affinitaͤt der Erſcheinungen, (da-
durch ſie unter beſtaͤndigen Geſetzen ſtehen, und darunter
gehoͤren muͤſſen.) begreiflich?

Nach meinen Grundſaͤtzen iſt ſie ſehr wol begreiflich.
Alle moͤgliche Erſcheinungen gehoͤren, als Vorſtellungen, zu
dem ganzen moͤglichen Selbſtbewuſtſeyn. Von dieſem
aber, als einer transſcendentalen Vorſtellung, iſt die nu-
meriſche Identitaͤt unzertrenlich, und a priori gewiß, weil
nichts in das Erkentniß kommen kan, ohne vermittelſt die-
ſer urſpruͤnglichen Apperception. Da nun dieſe Identitaͤt
nothwendig in der Syntheſis alles Mannigfaltigen der Er-
ſcheinungen, ſo fern ſie empiriſche Erkentniß werden ſoll,
hinein kommen muß, ſo ſind die Erſcheinungen Bedingun-
gen a priori unterworfen, welchen ihre Syntheſis (der
Apprehenſion) durchgaͤngig gemaͤs ſeyn muß. Nun heißt
aber die Vorſtellung einer allgemeinen Bedingung, nach
welcher ein gewiſſes Mannigfaltige, (mithin auf einerley
Art) geſezt werden kan, eine Regel, und wenn es ſo
geſezt werden muß, ein Geſetz. Alſo ſtehen alle Erſchei-
nungen in einer durchgaͤngigen Verknuͤpfung nach noth-

wen-
H
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0143" n="113"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Ab&#x017F;ch. Gru&#x0364;nde zur Mo&#x0364;glichkeit der Erfahr.</fw><lb/>
heiten derma&#x017F;&#x017F;en unter Regeln &#x017F;tehe, daß niemals etwas<lb/>
ge&#x017F;chieht, vor welchem nicht etwas vorhergehe, darauf<lb/>
es iederzeit folge: die&#x017F;es, als ein Ge&#x017F;etz der Natur, w<supplied>or-</supplied><lb/>
auf beruht es, frage ich? und wie i&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;e A&#x017F;&#x017F;ocia-<lb/>
tion mo&#x0364;glich? Der Grund der Mo&#x0364;glichkeit der A&#x017F;&#x017F;ociation<lb/>
des Mannigfaltigen, &#x017F;o fern es im Obiecte liegt, heißt die<lb/>
Affinita&#x0364;t des Mannigfaltigen. Ich frage al&#x017F;o, wie macht<lb/>
ihr euch die durchga&#x0364;ngige Affinita&#x0364;t der Er&#x017F;cheinungen, (da-<lb/>
durch &#x017F;ie unter be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Ge&#x017F;etzen &#x017F;tehen, und darunter<lb/>
geho&#x0364;ren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.) begreiflich?</p><lb/>
                    <p>Nach meinen Grund&#x017F;a&#x0364;tzen i&#x017F;t &#x017F;ie &#x017F;ehr wol begreiflich.<lb/>
Alle mo&#x0364;gliche Er&#x017F;cheinungen geho&#x0364;ren, als Vor&#x017F;tellungen, zu<lb/>
dem ganzen mo&#x0364;glichen Selb&#x017F;tbewu&#x017F;t&#x017F;eyn. Von die&#x017F;em<lb/>
aber, als einer trans&#x017F;cendentalen Vor&#x017F;tellung, i&#x017F;t die nu-<lb/>
meri&#x017F;che Identita&#x0364;t unzertrenlich, und <hi rendition="#aq">a priori</hi> gewiß, weil<lb/>
nichts in das Erkentniß kommen kan, ohne vermittel&#x017F;t die-<lb/>
&#x017F;er ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Apperception. Da nun die&#x017F;e Identita&#x0364;t<lb/>
nothwendig in der Synthe&#x017F;is alles Mannigfaltigen der Er-<lb/>
&#x017F;cheinungen, &#x017F;o fern &#x017F;ie empiri&#x017F;che Erkentniß werden &#x017F;oll,<lb/>
hinein kommen muß, &#x017F;o &#x017F;ind die Er&#x017F;cheinungen Bedingun-<lb/>
gen <hi rendition="#aq">a priori</hi> unterworfen, welchen ihre Synthe&#x017F;is (der<lb/>
Apprehen&#x017F;ion) durchga&#x0364;ngig gema&#x0364;s &#x017F;eyn muß. Nun heißt<lb/>
aber die Vor&#x017F;tellung einer allgemeinen Bedingung, nach<lb/>
welcher ein gewi&#x017F;&#x017F;es Mannigfaltige, (mithin auf einerley<lb/>
Art) ge&#x017F;ezt werden kan, eine Regel, und wenn es &#x017F;o<lb/>
ge&#x017F;ezt werden muß, ein Ge&#x017F;etz. Al&#x017F;o &#x017F;tehen alle Er&#x017F;chei-<lb/>
nungen in einer durchga&#x0364;ngigen Verknu&#x0364;pfung nach noth-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H</fw><fw place="bottom" type="catch">wen-</fw><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0143] II. Abſch. Gruͤnde zur Moͤglichkeit der Erfahr. heiten dermaſſen unter Regeln ſtehe, daß niemals etwas geſchieht, vor welchem nicht etwas vorhergehe, darauf es iederzeit folge: dieſes, als ein Geſetz der Natur, wor- auf beruht es, frage ich? und wie iſt ſelbſt dieſe Aſſocia- tion moͤglich? Der Grund der Moͤglichkeit der Aſſociation des Mannigfaltigen, ſo fern es im Obiecte liegt, heißt die Affinitaͤt des Mannigfaltigen. Ich frage alſo, wie macht ihr euch die durchgaͤngige Affinitaͤt der Erſcheinungen, (da- durch ſie unter beſtaͤndigen Geſetzen ſtehen, und darunter gehoͤren muͤſſen.) begreiflich? Nach meinen Grundſaͤtzen iſt ſie ſehr wol begreiflich. Alle moͤgliche Erſcheinungen gehoͤren, als Vorſtellungen, zu dem ganzen moͤglichen Selbſtbewuſtſeyn. Von dieſem aber, als einer transſcendentalen Vorſtellung, iſt die nu- meriſche Identitaͤt unzertrenlich, und a priori gewiß, weil nichts in das Erkentniß kommen kan, ohne vermittelſt die- ſer urſpruͤnglichen Apperception. Da nun dieſe Identitaͤt nothwendig in der Syntheſis alles Mannigfaltigen der Er- ſcheinungen, ſo fern ſie empiriſche Erkentniß werden ſoll, hinein kommen muß, ſo ſind die Erſcheinungen Bedingun- gen a priori unterworfen, welchen ihre Syntheſis (der Apprehenſion) durchgaͤngig gemaͤs ſeyn muß. Nun heißt aber die Vorſtellung einer allgemeinen Bedingung, nach welcher ein gewiſſes Mannigfaltige, (mithin auf einerley Art) geſezt werden kan, eine Regel, und wenn es ſo geſezt werden muß, ein Geſetz. Alſo ſtehen alle Erſchei- nungen in einer durchgaͤngigen Verknuͤpfung nach noth- wen- H

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/143
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/143>, abgerufen am 21.11.2024.