Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
te, wodurch alles wiederum in den veralteten wurm-
stichigen Dogmatism und daraus in die Geringschä-
tzung verfiel, daraus man die Wissenschaft hatte zie-
hen wollen. Jezt, nachdem alle Wege (wie man sich
überredet) vergeblich versucht sind, herrscht Ueber-
druß und gänzlicher Indifferentism, die Mutter des
Chaos und der Nacht, in Wissenschaften, aber doch
zugleich der Ursprung, wenigstens das Vorspiel einer
nahen Umschaffung und Aufklärung derselben, wenn
sie durch übel angebrachten Fleiß dunkel, verwirrt und
unbrauchbar geworden.

Es ist n[em]lich umsonst, Gleichgültigkeit in
Ansehung solcher Nachforschungen erkünsteln zu wollen,
deren Gegenstand der menschlichen Natur nicht gleich-
gültig
seyn kan. Auch fallen iene vorgebliche In-
differentisten
, so sehr sie sich auch durch die Verän-
derung der Schulsprache in einem populären Ton un-
kentlich zu machen gedenken, wofern sie nur überall
etwas denken, in metaphysische Behauptungen unver-
meidlich zurück, gegen die sie doch so viel Verachtung
vorgaben. Indessen ist diese Gleichgültigkeit, die sich
mitten in dem Flor aller Wissenschaften eräugnet und
gerade dieienige trift, auf deren Kentnisse, wenn der-
gleichen zu haben wären, man unter allen am wenig-

sten

Vorrede.
te, wodurch alles wiederum in den veralteten wurm-
ſtichigen Dogmatism und daraus in die Geringſchaͤ-
tzung verfiel, daraus man die Wiſſenſchaft hatte zie-
hen wollen. Jezt, nachdem alle Wege (wie man ſich
uͤberredet) vergeblich verſucht ſind, herrſcht Ueber-
druß und gaͤnzlicher Indifferentism, die Mutter des
Chaos und der Nacht, in Wiſſenſchaften, aber doch
zugleich der Urſprung, wenigſtens das Vorſpiel einer
nahen Umſchaffung und Aufklaͤrung derſelben, wenn
ſie durch uͤbel angebrachten Fleiß dunkel, verwirrt und
unbrauchbar geworden.

Es iſt n[em]lich umſonſt, Gleichguͤltigkeit in
Anſehung ſolcher Nachforſchungen erkuͤnſteln zu wollen,
deren Gegenſtand der menſchlichen Natur nicht gleich-
guͤltig
ſeyn kan. Auch fallen iene vorgebliche In-
differentiſten
, ſo ſehr ſie ſich auch durch die Veraͤn-
derung der Schulſprache in einem populaͤren Ton un-
kentlich zu machen gedenken, wofern ſie nur uͤberall
etwas denken, in metaphyſiſche Behauptungen unver-
meidlich zuruͤck, gegen die ſie doch ſo viel Verachtung
vorgaben. Indeſſen iſt dieſe Gleichguͤltigkeit, die ſich
mitten in dem Flor aller Wiſſenſchaften eraͤugnet und
gerade dieienige trift, auf deren Kentniſſe, wenn der-
gleichen zu haben waͤren, man unter allen am wenig-

ſten
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0016"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</hi></fw><lb/>
te, wodurch alles wiederum in den veralteten wurm-<lb/>
&#x017F;tichigen <hi rendition="#fr">Dogmatism</hi> und daraus in die Gering&#x017F;cha&#x0364;-<lb/>
tzung verfiel, daraus man die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft hatte zie-<lb/>
hen wollen. Jezt, nachdem alle Wege (wie man &#x017F;ich<lb/>
u&#x0364;berredet) vergeblich ver&#x017F;ucht &#x017F;ind, herr&#x017F;cht Ueber-<lb/>
druß und ga&#x0364;nzlicher <hi rendition="#fr">Indifferentism</hi>, die Mutter des<lb/>
Chaos und der Nacht, in Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, aber doch<lb/>
zugleich der Ur&#x017F;prung, wenig&#x017F;tens das Vor&#x017F;piel einer<lb/>
nahen Um&#x017F;chaffung und Aufkla&#x0364;rung der&#x017F;elben, wenn<lb/>
&#x017F;ie durch u&#x0364;bel angebrachten Fleiß dunkel, verwirrt und<lb/>
unbrauchbar geworden.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t n<supplied>em</supplied>lich um&#x017F;on&#x017F;t, <hi rendition="#fr">Gleichgu&#x0364;ltigkeit</hi> in<lb/>
An&#x017F;ehung &#x017F;olcher Nachfor&#x017F;chungen erku&#x0364;n&#x017F;teln zu wollen,<lb/>
deren Gegen&#x017F;tand der men&#x017F;chlichen Natur <hi rendition="#fr">nicht gleich-<lb/>
gu&#x0364;ltig</hi> &#x017F;eyn kan. Auch fallen iene vorgebliche <hi rendition="#fr">In-<lb/>
differenti&#x017F;ten</hi>, &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ie &#x017F;ich auch durch die Vera&#x0364;n-<lb/>
derung der Schul&#x017F;prache in einem popula&#x0364;ren Ton un-<lb/>
kentlich zu machen gedenken, wofern &#x017F;ie nur u&#x0364;berall<lb/>
etwas denken, in metaphy&#x017F;i&#x017F;che Behauptungen unver-<lb/>
meidlich zuru&#x0364;ck, gegen die &#x017F;ie doch &#x017F;o viel Verachtung<lb/>
vorgaben. Inde&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t die&#x017F;e Gleichgu&#x0364;ltigkeit, die &#x017F;ich<lb/>
mitten in dem Flor aller Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften era&#x0364;ugnet und<lb/>
gerade dieienige trift, auf deren Kentni&#x017F;&#x017F;e, wenn der-<lb/>
gleichen zu haben wa&#x0364;ren, man unter allen am wenig-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ten</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0016] Vorrede. te, wodurch alles wiederum in den veralteten wurm- ſtichigen Dogmatism und daraus in die Geringſchaͤ- tzung verfiel, daraus man die Wiſſenſchaft hatte zie- hen wollen. Jezt, nachdem alle Wege (wie man ſich uͤberredet) vergeblich verſucht ſind, herrſcht Ueber- druß und gaͤnzlicher Indifferentism, die Mutter des Chaos und der Nacht, in Wiſſenſchaften, aber doch zugleich der Urſprung, wenigſtens das Vorſpiel einer nahen Umſchaffung und Aufklaͤrung derſelben, wenn ſie durch uͤbel angebrachten Fleiß dunkel, verwirrt und unbrauchbar geworden. Es iſt nemlich umſonſt, Gleichguͤltigkeit in Anſehung ſolcher Nachforſchungen erkuͤnſteln zu wollen, deren Gegenſtand der menſchlichen Natur nicht gleich- guͤltig ſeyn kan. Auch fallen iene vorgebliche In- differentiſten, ſo ſehr ſie ſich auch durch die Veraͤn- derung der Schulſprache in einem populaͤren Ton un- kentlich zu machen gedenken, wofern ſie nur uͤberall etwas denken, in metaphyſiſche Behauptungen unver- meidlich zuruͤck, gegen die ſie doch ſo viel Verachtung vorgaben. Indeſſen iſt dieſe Gleichguͤltigkeit, die ſich mitten in dem Flor aller Wiſſenſchaften eraͤugnet und gerade dieienige trift, auf deren Kentniſſe, wenn der- gleichen zu haben waͤren, man unter allen am wenig- ſten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/16
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/16>, abgerufen am 21.11.2024.