Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Absch. Systemat. Vorstellung aller etc.
mungen, als überhaupt, zu unserer gesamten möglichen Er-
fahrung gehören, und also ein ganz anderes Feld der Ma-
terie noch statt finden könne, kan der Verstand nicht ent-
scheiden, er hat es nur mit der Synthesis dessen zu thun,
was gegeben ist. Sonst ist die Armseligkeit unserer ge-
wöhnlichen Schlüsse, wodurch wir ein grosses Reich der
Möglichkeit heraus bringen, davon alles Wirkliche (aller
Gegenstand der Erfahrung) nur ein kleiner Theil sey,
sehr in die Augen fallend. Alles wirkliche ist möglich;
hieraus folgt natürlicher Weise, nach den logischen Regeln
der Umkehrung, der blos particulare Satz: einiges Mög-
liche ist wirklich, welches denn so viel zu bedeuten scheint,
als: es ist vieles möglich, was nicht wirklich ist. Zwar
hat es den Anschein, als könne man auch gerade zu die
Zahl des Möglichen über die des Wirklichen dadurch hin-
aussetzen, weil zu iener noch etwas hinzukommen muß,
um diese auszumachen. Allein dieses Hinzukommen zum
Möglichen kenne ich nicht. Denn was über dasselbe noch
zugesezt werden sollte, wäre unmöglich. Es kan nur zu
meinem Verstande etwas über die Zusammenstimmung mit
den formalen Bedingungen der Erfahrung, nemlich, die
Verknüpfung mit irgend einer Wahrnehmung hinzukommen;
was aber mit dieser nach empirischen Gesetzen verknüpft
ist, ist wirklich, ob es gleich unmittelbar nicht wahrge-
nommen wird. Daß aber im durchgängigen Zusammen-
hange mit dem, was mir in der Wahrnehmung gegeben
ist, eine andere Reihe von Erscheinungen, mithin mehr

wie
P 4

III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc.
mungen, als uͤberhaupt, zu unſerer geſamten moͤglichen Er-
fahrung gehoͤren, und alſo ein ganz anderes Feld der Ma-
terie noch ſtatt finden koͤnne, kan der Verſtand nicht ent-
ſcheiden, er hat es nur mit der Syntheſis deſſen zu thun,
was gegeben iſt. Sonſt iſt die Armſeligkeit unſerer ge-
woͤhnlichen Schluͤſſe, wodurch wir ein groſſes Reich der
Moͤglichkeit heraus bringen, davon alles Wirkliche (aller
Gegenſtand der Erfahrung) nur ein kleiner Theil ſey,
ſehr in die Augen fallend. Alles wirkliche iſt moͤglich;
hieraus folgt natuͤrlicher Weiſe, nach den logiſchen Regeln
der Umkehrung, der blos particulare Satz: einiges Moͤg-
liche iſt wirklich, welches denn ſo viel zu bedeuten ſcheint,
als: es iſt vieles moͤglich, was nicht wirklich iſt. Zwar
hat es den Anſchein, als koͤnne man auch gerade zu die
Zahl des Moͤglichen uͤber die des Wirklichen dadurch hin-
ausſetzen, weil zu iener noch etwas hinzukommen muß,
um dieſe auszumachen. Allein dieſes Hinzukommen zum
Moͤglichen kenne ich nicht. Denn was uͤber daſſelbe noch
zugeſezt werden ſollte, waͤre unmoͤglich. Es kan nur zu
meinem Verſtande etwas uͤber die Zuſammenſtimmung mit
den formalen Bedingungen der Erfahrung, nemlich, die
Verknuͤpfung mit irgend einer Wahrnehmung hinzukommen;
was aber mit dieſer nach empiriſchen Geſetzen verknuͤpft
iſt, iſt wirklich, ob es gleich unmittelbar nicht wahrge-
nommen wird. Daß aber im durchgaͤngigen Zuſammen-
hange mit dem, was mir in der Wahrnehmung gegeben
iſt, eine andere Reihe von Erſcheinungen, mithin mehr

wie
P 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0261" n="231"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Ab&#x017F;ch. Sy&#x017F;temat. Vor&#x017F;tellung aller &#xA75B;c.</fw><lb/>
mungen, als u&#x0364;berhaupt, zu un&#x017F;erer ge&#x017F;amten mo&#x0364;glichen Er-<lb/>
fahrung geho&#x0364;ren, und al&#x017F;o ein ganz anderes Feld der Ma-<lb/>
terie noch &#x017F;tatt finden ko&#x0364;nne, kan der Ver&#x017F;tand nicht ent-<lb/>
&#x017F;cheiden, er hat es nur mit der Synthe&#x017F;is de&#x017F;&#x017F;en zu thun,<lb/>
was gegeben i&#x017F;t. Son&#x017F;t i&#x017F;t die Arm&#x017F;eligkeit un&#x017F;erer ge-<lb/>
wo&#x0364;hnlichen Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, wodurch wir ein gro&#x017F;&#x017F;es Reich der<lb/>
Mo&#x0364;glichkeit heraus bringen, davon alles Wirkliche (aller<lb/>
Gegen&#x017F;tand der Erfahrung) nur ein kleiner Theil &#x017F;ey,<lb/>
&#x017F;ehr in die Augen fallend. Alles wirkliche i&#x017F;t mo&#x0364;glich;<lb/>
hieraus folgt natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e, nach den logi&#x017F;chen Regeln<lb/>
der Umkehrung, der blos particulare Satz: einiges Mo&#x0364;g-<lb/>
liche i&#x017F;t wirklich, welches denn &#x017F;o viel zu bedeuten &#x017F;cheint,<lb/>
als: es i&#x017F;t vieles mo&#x0364;glich, was nicht wirklich i&#x017F;t. Zwar<lb/>
hat es den An&#x017F;chein, als ko&#x0364;nne man auch gerade zu die<lb/>
Zahl des Mo&#x0364;glichen u&#x0364;ber die des Wirklichen dadurch hin-<lb/>
aus&#x017F;etzen, weil zu iener noch etwas hinzukommen muß,<lb/>
um die&#x017F;e auszumachen. Allein die&#x017F;es Hinzukommen zum<lb/>
Mo&#x0364;glichen kenne ich nicht. Denn was u&#x0364;ber da&#x017F;&#x017F;elbe noch<lb/>
zuge&#x017F;ezt werden &#x017F;ollte, wa&#x0364;re unmo&#x0364;glich. Es kan nur zu<lb/>
meinem Ver&#x017F;tande etwas u&#x0364;ber die Zu&#x017F;ammen&#x017F;timmung mit<lb/>
den formalen Bedingungen der Erfahrung, nemlich, die<lb/>
Verknu&#x0364;pfung mit irgend einer Wahrnehmung hinzukommen;<lb/>
was aber mit die&#x017F;er nach empiri&#x017F;chen Ge&#x017F;etzen verknu&#x0364;pft<lb/>
i&#x017F;t, i&#x017F;t wirklich, ob es gleich unmittelbar nicht wahrge-<lb/>
nommen wird. Daß aber im durchga&#x0364;ngigen Zu&#x017F;ammen-<lb/>
hange mit dem, was mir in der Wahrnehmung gegeben<lb/>
i&#x017F;t, eine andere Reihe von Er&#x017F;cheinungen, mithin mehr<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P 4</fw><fw place="bottom" type="catch">wie</fw><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0261] III. Abſch. Syſtemat. Vorſtellung aller ꝛc. mungen, als uͤberhaupt, zu unſerer geſamten moͤglichen Er- fahrung gehoͤren, und alſo ein ganz anderes Feld der Ma- terie noch ſtatt finden koͤnne, kan der Verſtand nicht ent- ſcheiden, er hat es nur mit der Syntheſis deſſen zu thun, was gegeben iſt. Sonſt iſt die Armſeligkeit unſerer ge- woͤhnlichen Schluͤſſe, wodurch wir ein groſſes Reich der Moͤglichkeit heraus bringen, davon alles Wirkliche (aller Gegenſtand der Erfahrung) nur ein kleiner Theil ſey, ſehr in die Augen fallend. Alles wirkliche iſt moͤglich; hieraus folgt natuͤrlicher Weiſe, nach den logiſchen Regeln der Umkehrung, der blos particulare Satz: einiges Moͤg- liche iſt wirklich, welches denn ſo viel zu bedeuten ſcheint, als: es iſt vieles moͤglich, was nicht wirklich iſt. Zwar hat es den Anſchein, als koͤnne man auch gerade zu die Zahl des Moͤglichen uͤber die des Wirklichen dadurch hin- ausſetzen, weil zu iener noch etwas hinzukommen muß, um dieſe auszumachen. Allein dieſes Hinzukommen zum Moͤglichen kenne ich nicht. Denn was uͤber daſſelbe noch zugeſezt werden ſollte, waͤre unmoͤglich. Es kan nur zu meinem Verſtande etwas uͤber die Zuſammenſtimmung mit den formalen Bedingungen der Erfahrung, nemlich, die Verknuͤpfung mit irgend einer Wahrnehmung hinzukommen; was aber mit dieſer nach empiriſchen Geſetzen verknuͤpft iſt, iſt wirklich, ob es gleich unmittelbar nicht wahrge- nommen wird. Daß aber im durchgaͤngigen Zuſammen- hange mit dem, was mir in der Wahrnehmung gegeben iſt, eine andere Reihe von Erſcheinungen, mithin mehr wie P 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/261
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/261>, abgerufen am 22.11.2024.