ten ganz abweicht, und wobey es freylich keine Schwierig- keit hat, aber auch nichts, als leere Wortkrämerey an- getroffen wird. Nach demselben hat es einigen beliebt, den Inbegriff der Erscheinungen, so fern er angeschaut wird, die Sinnenwelt, so fern aber der Zusammenhang derselben nach allgemeinen Verstandesgesetzen gedacht wird, die Verstandeswelt zu nennen. Die theoretische Astronomie, welche die blosse Beobachtung des bestirnten Himmels vor- trägt, würde die erstere, die contemplative dagegen, (etwa nach dem copernicanischen Weltsystem, oder gar nach Newtons Gravitationsgesetzen erklärt) die zweite, nem- lich eine intelligibele Welt vorstellig machen. Aber eine solche Wortverdrehung ist eine blosse sophistische Ausflucht, um einer beschwerlichen Frage auszuweichen, dadurch, daß man ihren Sinn zu seiner Gemächlichkeit herabstimt. In Ansehung der Erscheinungen läßt sich allerdings Verstand und Vernunft brauchen, aber es frägt sich, ob diese auch noch einigen Gebrauch haben, wenn der Gegenstand nicht Erscheinung (Noümenon) ist, und in diesem Sinne nimt man ihn, wenn er an sich als blos intelligibel, d. i. dem Verstande allein, und gar nicht den Sinnen gegeben, ge- dacht wird. Es ist also die Frage: ob ausser ienem em- pirischen Gebrauche des Verstandes (selbst in der Newto- nischen Vorstellung des Weltbaues) noch ein transscenden- taler möglich sey, der auf das Noumenon als einen Ge- genstand gehe, welche Frage wir verneinend beantwortet haben.
Wenn
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III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc.
ten ganz abweicht, und wobey es freylich keine Schwierig- keit hat, aber auch nichts, als leere Wortkraͤmerey an- getroffen wird. Nach demſelben hat es einigen beliebt, den Inbegriff der Erſcheinungen, ſo fern er angeſchaut wird, die Sinnenwelt, ſo fern aber der Zuſammenhang derſelben nach allgemeinen Verſtandesgeſetzen gedacht wird, die Verſtandeswelt zu nennen. Die theoretiſche Aſtronomie, welche die bloſſe Beobachtung des beſtirnten Himmels vor- traͤgt, wuͤrde die erſtere, die contemplative dagegen, (etwa nach dem copernicaniſchen Weltſyſtem, oder gar nach Newtons Gravitationsgeſetzen erklaͤrt) die zweite, nem- lich eine intelligibele Welt vorſtellig machen. Aber eine ſolche Wortverdrehung iſt eine bloſſe ſophiſtiſche Ausflucht, um einer beſchwerlichen Frage auszuweichen, dadurch, daß man ihren Sinn zu ſeiner Gemaͤchlichkeit herabſtimt. In Anſehung der Erſcheinungen laͤßt ſich allerdings Verſtand und Vernunft brauchen, aber es fraͤgt ſich, ob dieſe auch noch einigen Gebrauch haben, wenn der Gegenſtand nicht Erſcheinung (Noümenon) iſt, und in dieſem Sinne nimt man ihn, wenn er an ſich als blos intelligibel, d. i. dem Verſtande allein, und gar nicht den Sinnen gegeben, ge- dacht wird. Es iſt alſo die Frage: ob auſſer ienem em- piriſchen Gebrauche des Verſtandes (ſelbſt in der Newto- niſchen Vorſtellung des Weltbaues) noch ein transſcenden- taler moͤglich ſey, der auf das Noumenon als einen Ge- genſtand gehe, welche Frage wir verneinend beantwortet haben.
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III. Hauptſt. Von dem Grunde d. Unterſch. ꝛc.
ten ganz abweicht, und wobey es freylich keine Schwierig-
keit hat, aber auch nichts, als leere Wortkraͤmerey an-
getroffen wird. Nach demſelben hat es einigen beliebt,
den Inbegriff der Erſcheinungen, ſo fern er angeſchaut
wird, die Sinnenwelt, ſo fern aber der Zuſammenhang
derſelben nach allgemeinen Verſtandesgeſetzen gedacht wird,
die Verſtandeswelt zu nennen. Die theoretiſche Aſtronomie,
welche die bloſſe Beobachtung des beſtirnten Himmels vor-
traͤgt, wuͤrde die erſtere, die contemplative dagegen, (etwa
nach dem copernicaniſchen Weltſyſtem, oder gar nach
Newtons Gravitationsgeſetzen erklaͤrt) die zweite, nem-
lich eine intelligibele Welt vorſtellig machen. Aber eine
ſolche Wortverdrehung iſt eine bloſſe ſophiſtiſche Ausflucht,
um einer beſchwerlichen Frage auszuweichen, dadurch, daß
man ihren Sinn zu ſeiner Gemaͤchlichkeit herabſtimt. In
Anſehung der Erſcheinungen laͤßt ſich allerdings Verſtand
und Vernunft brauchen, aber es fraͤgt ſich, ob dieſe auch
noch einigen Gebrauch haben, wenn der Gegenſtand nicht
Erſcheinung (Noümenon) iſt, und in dieſem Sinne nimt
man ihn, wenn er an ſich als blos intelligibel, d. i. dem
Verſtande allein, und gar nicht den Sinnen gegeben, ge-
dacht wird. Es iſt alſo die Frage: ob auſſer ienem em-
piriſchen Gebrauche des Verſtandes (ſelbſt in der Newto-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/287>, abgerufen am 22.11.2024.
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