ich nicht, und brauche es auch nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding anders, als in der Erscheinung vor- kommen kan.
So verfahre ich auch mit den übrigen Reflexionsbe- griffen. Die Materie ist substantia phaenomenon. Was ihr innerlich zukomme, suche ich in allen Theilen des Rau- mes, den sie einnimt, und in allen Wirkungen, die sie ausübt, und die freilich nur immer Erscheinungen äusserer Sinne seyn können. Ich habe also zwar nichts Schlecht- hin - sondern lauter Comparativinnerliches, das selber wiederum aus äusseren Verhältnissen besteht. Allein, das schlechthin, dem reinen Verstande nach, Innerliche der Materie ist auch eine blosse Grille; denn diese ist überall kein Gegenstand vor den reinen Verstand, das transscen- dentale Obiect aber, welches der Grund dieser Erscheinung seyn mag, die wir Materie nennen, ist ein blosses Etwas, wovon wir nicht einmal verstehen würden, was es sey, wenn es uns auch iemand sagen könte. Denn wir kön- nen nichts verstehen, als was ein unsern Worten Corre- spondirendes in der Anschauung mit sich führet. Wenn die Klagen: Wir sehen das Innere der Dinge gar nicht ein, so viel bedeuten sollen, als wir begreifen nicht durch den reinen Verstand, was die Dinge, die uns er- scheinen, an sich seyn mögen, so sind sie ganz unbillig und unvernünftig; denn sie wollen, daß man ohne Sinnen doch Dinge erkennen, mithin anschauen könne, folglich, daß wir ein von dem menschlichen nicht blos dem Grade,
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Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe.
ich nicht, und brauche es auch nicht zu wiſſen, weil mir doch niemals ein Ding anders, als in der Erſcheinung vor- kommen kan.
So verfahre ich auch mit den uͤbrigen Reflexionsbe- griffen. Die Materie iſt ſubſtantia phænomenon. Was ihr innerlich zukomme, ſuche ich in allen Theilen des Rau- mes, den ſie einnimt, und in allen Wirkungen, die ſie ausuͤbt, und die freilich nur immer Erſcheinungen aͤuſſerer Sinne ſeyn koͤnnen. Ich habe alſo zwar nichts Schlecht- hin - ſondern lauter Comparativinnerliches, das ſelber wiederum aus aͤuſſeren Verhaͤltniſſen beſteht. Allein, das ſchlechthin, dem reinen Verſtande nach, Innerliche der Materie iſt auch eine bloſſe Grille; denn dieſe iſt uͤberall kein Gegenſtand vor den reinen Verſtand, das transſcen- dentale Obiect aber, welches der Grund dieſer Erſcheinung ſeyn mag, die wir Materie nennen, iſt ein bloſſes Etwas, wovon wir nicht einmal verſtehen wuͤrden, was es ſey, wenn es uns auch iemand ſagen koͤnte. Denn wir koͤn- nen nichts verſtehen, als was ein unſern Worten Corre- ſpondirendes in der Anſchauung mit ſich fuͤhret. Wenn die Klagen: Wir ſehen das Innere der Dinge gar nicht ein, ſo viel bedeuten ſollen, als wir begreifen nicht durch den reinen Verſtand, was die Dinge, die uns er- ſcheinen, an ſich ſeyn moͤgen, ſo ſind ſie ganz unbillig und unvernuͤnftig; denn ſie wollen, daß man ohne Sinnen doch Dinge erkennen, mithin anſchauen koͤnne, folglich, daß wir ein von dem menſchlichen nicht blos dem Grade,
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Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe.
ich nicht, und brauche es auch nicht zu wiſſen, weil mir
doch niemals ein Ding anders, als in der Erſcheinung vor-
kommen kan.
So verfahre ich auch mit den uͤbrigen Reflexionsbe-
griffen. Die Materie iſt ſubſtantia phænomenon. Was
ihr innerlich zukomme, ſuche ich in allen Theilen des Rau-
mes, den ſie einnimt, und in allen Wirkungen, die ſie
ausuͤbt, und die freilich nur immer Erſcheinungen aͤuſſerer
Sinne ſeyn koͤnnen. Ich habe alſo zwar nichts Schlecht-
hin - ſondern lauter Comparativinnerliches, das ſelber
wiederum aus aͤuſſeren Verhaͤltniſſen beſteht. Allein, das
ſchlechthin, dem reinen Verſtande nach, Innerliche der
Materie iſt auch eine bloſſe Grille; denn dieſe iſt uͤberall
kein Gegenſtand vor den reinen Verſtand, das transſcen-
dentale Obiect aber, welches der Grund dieſer Erſcheinung
ſeyn mag, die wir Materie nennen, iſt ein bloſſes Etwas,
wovon wir nicht einmal verſtehen wuͤrden, was es ſey,
wenn es uns auch iemand ſagen koͤnte. Denn wir koͤn-
nen nichts verſtehen, als was ein unſern Worten Corre-
ſpondirendes in der Anſchauung mit ſich fuͤhret. Wenn
die Klagen: Wir ſehen das Innere der Dinge gar
nicht ein, ſo viel bedeuten ſollen, als wir begreifen nicht
durch den reinen Verſtand, was die Dinge, die uns er-
ſcheinen, an ſich ſeyn moͤgen, ſo ſind ſie ganz unbillig und
unvernuͤnftig; denn ſie wollen, daß man ohne Sinnen
doch Dinge erkennen, mithin anſchauen koͤnne, folglich,
daß wir ein von dem menſchlichen nicht blos dem Grade,
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/307>, abgerufen am 22.11.2024.
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