Dingen Unabhängige, was beide an sich zu haben scheinen, schrieb er der Verworrenheit dieser Begriffe zu, welche machte, daß dasienige, was eine blosse Form dynami- scher Verhältnisse ist, vor eine eigene vor sich beste- hende, und vor den Dingen selbst vorhergehende Anschau- ung gehalten wird. Also waren Raum und Zeit die in- telligibele Form der Verknüpfung der Dinge (Substanzen und ihrer Zustände) an sich selbst. Die Dinge aber wa- ren intelligibele Substanzen (substantiae Noümena.) Gleichwol wollte er diese Begriffe vor Erscheinungen geltend machen, weil er der Sinnlichkeit keine eigene Art der An- schauung zugestand, sondern alle, selbst die empirische Vorstellung der Gegenstände, im Verstande suchte, und den Sinnen nichts als das verächtliche Geschäfte ließ, die Vorstellungen des ersteren zu verwirren und zu verun- stalten.
Wenn wir aber auch von Dingen an sich selbst etwas durch den reinen Verstand synthetisch sagen könten, (welches gleichwol unmöglich ist) so würde dieses doch gar nicht auf Erscheinungen, welche nicht Dinge an sich selbst vorstellen, gezogen werden können. Ich werde also in diesem lezteren Falle in der transscendentalen Ueberlegung meine Begriffe iederzeit nur unter den Bedingungen der Sinnlich- keit vergleichen müssen, und so werden Raum und Zeit nicht Bestimmungen der Dinge an sich, sondern der Er- scheinungen seyn: was die Dinge an sich seyn mögen, weiß
ich
Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch Anhang.
Dingen Unabhaͤngige, was beide an ſich zu haben ſcheinen, ſchrieb er der Verworrenheit dieſer Begriffe zu, welche machte, daß dasienige, was eine bloſſe Form dynami- ſcher Verhaͤltniſſe iſt, vor eine eigene vor ſich beſte- hende, und vor den Dingen ſelbſt vorhergehende Anſchau- ung gehalten wird. Alſo waren Raum und Zeit die in- telligibele Form der Verknuͤpfung der Dinge (Subſtanzen und ihrer Zuſtaͤnde) an ſich ſelbſt. Die Dinge aber wa- ren intelligibele Subſtanzen (ſubſtantiæ Noümena.) Gleichwol wollte er dieſe Begriffe vor Erſcheinungen geltend machen, weil er der Sinnlichkeit keine eigene Art der An- ſchauung zugeſtand, ſondern alle, ſelbſt die empiriſche Vorſtellung der Gegenſtaͤnde, im Verſtande ſuchte, und den Sinnen nichts als das veraͤchtliche Geſchaͤfte ließ, die Vorſtellungen des erſteren zu verwirren und zu verun- ſtalten.
Wenn wir aber auch von Dingen an ſich ſelbſt etwas durch den reinen Verſtand ſynthetiſch ſagen koͤnten, (welches gleichwol unmoͤglich iſt) ſo wuͤrde dieſes doch gar nicht auf Erſcheinungen, welche nicht Dinge an ſich ſelbſt vorſtellen, gezogen werden koͤnnen. Ich werde alſo in dieſem lezteren Falle in der transſcendentalen Ueberlegung meine Begriffe iederzeit nur unter den Bedingungen der Sinnlich- keit vergleichen muͤſſen, und ſo werden Raum und Zeit nicht Beſtimmungen der Dinge an ſich, ſondern der Er- ſcheinungen ſeyn: was die Dinge an ſich ſeyn moͤgen, weiß
ich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0306"n="276"/><fwplace="top"type="header">Elementarl. <hirendition="#aq">II.</hi> Th. <hirendition="#aq">I.</hi> Abth. <hirendition="#aq">II.</hi> Buch Anhang.</fw><lb/>
Dingen Unabhaͤngige, was beide an ſich zu haben ſcheinen,<lb/>ſchrieb er der Verworrenheit dieſer Begriffe zu, welche<lb/>
machte, daß dasienige, was eine bloſſe Form dynami-<lb/>ſcher Verhaͤltniſſe iſt, vor eine eigene vor ſich beſte-<lb/>
hende, und vor den Dingen ſelbſt vorhergehende Anſchau-<lb/>
ung gehalten wird. Alſo waren Raum und Zeit die in-<lb/>
telligibele Form der Verknuͤpfung der Dinge (Subſtanzen<lb/>
und ihrer Zuſtaͤnde) an ſich ſelbſt. Die Dinge aber wa-<lb/>
ren intelligibele Subſtanzen (<hirendition="#aq">ſubſtantiæ Noümena.</hi>)<lb/>
Gleichwol wollte er dieſe Begriffe vor Erſcheinungen geltend<lb/>
machen, weil er der Sinnlichkeit keine eigene Art der An-<lb/>ſchauung zugeſtand, ſondern alle, ſelbſt die empiriſche<lb/>
Vorſtellung der Gegenſtaͤnde, im Verſtande ſuchte, und<lb/>
den Sinnen nichts als das veraͤchtliche Geſchaͤfte ließ, die<lb/>
Vorſtellungen des erſteren zu verwirren und zu verun-<lb/>ſtalten.</p><lb/><p>Wenn wir aber auch von Dingen an ſich ſelbſt<lb/>
etwas durch den reinen Verſtand ſynthetiſch ſagen koͤnten,<lb/>
(welches gleichwol unmoͤglich iſt) ſo wuͤrde dieſes doch gar<lb/>
nicht auf Erſcheinungen, welche nicht Dinge an ſich ſelbſt<lb/>
vorſtellen, gezogen werden koͤnnen. Ich werde alſo in dieſem<lb/>
lezteren Falle in der transſcendentalen Ueberlegung meine<lb/>
Begriffe iederzeit nur unter den Bedingungen der Sinnlich-<lb/>
keit vergleichen muͤſſen, und ſo werden Raum und Zeit<lb/>
nicht Beſtimmungen der Dinge an ſich, ſondern der Er-<lb/>ſcheinungen ſeyn: was die Dinge an ſich ſeyn moͤgen, weiß<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ich</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[276/0306]
Elementarl. II. Th. I. Abth. II. Buch Anhang.
Dingen Unabhaͤngige, was beide an ſich zu haben ſcheinen,
ſchrieb er der Verworrenheit dieſer Begriffe zu, welche
machte, daß dasienige, was eine bloſſe Form dynami-
ſcher Verhaͤltniſſe iſt, vor eine eigene vor ſich beſte-
hende, und vor den Dingen ſelbſt vorhergehende Anſchau-
ung gehalten wird. Alſo waren Raum und Zeit die in-
telligibele Form der Verknuͤpfung der Dinge (Subſtanzen
und ihrer Zuſtaͤnde) an ſich ſelbſt. Die Dinge aber wa-
ren intelligibele Subſtanzen (ſubſtantiæ Noümena.)
Gleichwol wollte er dieſe Begriffe vor Erſcheinungen geltend
machen, weil er der Sinnlichkeit keine eigene Art der An-
ſchauung zugeſtand, ſondern alle, ſelbſt die empiriſche
Vorſtellung der Gegenſtaͤnde, im Verſtande ſuchte, und
den Sinnen nichts als das veraͤchtliche Geſchaͤfte ließ, die
Vorſtellungen des erſteren zu verwirren und zu verun-
ſtalten.
Wenn wir aber auch von Dingen an ſich ſelbſt
etwas durch den reinen Verſtand ſynthetiſch ſagen koͤnten,
(welches gleichwol unmoͤglich iſt) ſo wuͤrde dieſes doch gar
nicht auf Erſcheinungen, welche nicht Dinge an ſich ſelbſt
vorſtellen, gezogen werden koͤnnen. Ich werde alſo in dieſem
lezteren Falle in der transſcendentalen Ueberlegung meine
Begriffe iederzeit nur unter den Bedingungen der Sinnlich-
keit vergleichen muͤſſen, und ſo werden Raum und Zeit
nicht Beſtimmungen der Dinge an ſich, ſondern der Er-
ſcheinungen ſeyn: was die Dinge an ſich ſeyn moͤgen, weiß
ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/306>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.