Unterscheidung von andern verwandten Begriffen von gros- ser Wichtigkeit ist, so ist es rathsam, damit nicht ver- schwenderisch umzugehen, oder es blos zur Abwechselung, synonimisch statt anderer zu gebrauchen, sondern ihm seine eigenthümliche Bedeutung sorgfältig aufzubehalten; weil es sonst leichtlich geschieht: daß, nachdem der Ausdruck die Aufmerksamkeit nicht besonders beschäftigt, sondern sich unter dem Haufen anderer von sehr abweichender Be- deutung verliert, auch der Gedanke verlohren gehe, den er allein hätte aufbehalten können.
Plato bediente sich des Ausdrucks Idee so: daß man wol sieht, er habe darunter etwas verstanden, was nicht allein niemals von den Sinnen entlehnt wird, sondern welches so gar die Begriffe des Verstandes, mit denen sich Aristoteles beschäftigte, weit übersteigt, indem in der Er- fahrung niemals etwas damit Congruirendes angetroffen wird. Die Ideen sind bey ihm Urbilder der Dinge selbst, und nicht blos Schlüssel zu möglichen Erfahrungen, wie die Categorien. Nach seiner Meinung flossen sie aus der höch- sten Vernunft aus, von da sie der menschlichen zu Theil geworden, die sich aber iezt nicht mehr in ihrem ursprüng- lichen Zustande befindet, sondern mit Mühe die alte, iezt sehr verdunkelte Ideen, durch Erinnerung (die Philoso- phie heißt) zurükruffen muß. Ich will mich hier in keine litterarische Untersuchung einlassen, um den Sinn auszu- machen, den der erhabene Philosoph mit seinem Ausdrucke
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I. Abſchnitt. Von den Ideen uͤberhaupt.
Unterſcheidung von andern verwandten Begriffen von groſ- ſer Wichtigkeit iſt, ſo iſt es rathſam, damit nicht ver- ſchwenderiſch umzugehen, oder es blos zur Abwechſelung, ſynonimiſch ſtatt anderer zu gebrauchen, ſondern ihm ſeine eigenthuͤmliche Bedeutung ſorgfaͤltig aufzubehalten; weil es ſonſt leichtlich geſchieht: daß, nachdem der Ausdruck die Aufmerkſamkeit nicht beſonders beſchaͤftigt, ſondern ſich unter dem Haufen anderer von ſehr abweichender Be- deutung verliert, auch der Gedanke verlohren gehe, den er allein haͤtte aufbehalten koͤnnen.
Plato bediente ſich des Ausdrucks Idee ſo: daß man wol ſieht, er habe darunter etwas verſtanden, was nicht allein niemals von den Sinnen entlehnt wird, ſondern welches ſo gar die Begriffe des Verſtandes, mit denen ſich Ariſtoteles beſchaͤftigte, weit uͤberſteigt, indem in der Er- fahrung niemals etwas damit Congruirendes angetroffen wird. Die Ideen ſind bey ihm Urbilder der Dinge ſelbſt, und nicht blos Schluͤſſel zu moͤglichen Erfahrungen, wie die Categorien. Nach ſeiner Meinung floſſen ſie aus der hoͤch- ſten Vernunft aus, von da ſie der menſchlichen zu Theil geworden, die ſich aber iezt nicht mehr in ihrem urſpruͤng- lichen Zuſtande befindet, ſondern mit Muͤhe die alte, iezt ſehr verdunkelte Ideen, durch Erinnerung (die Philoſo- phie heißt) zuruͤkruffen muß. Ich will mich hier in keine litterariſche Unterſuchung einlaſſen, um den Sinn auszu- machen, den der erhabene Philoſoph mit ſeinem Ausdrucke
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I. Abſchnitt. Von den Ideen uͤberhaupt.
Unterſcheidung von andern verwandten Begriffen von groſ-
ſer Wichtigkeit iſt, ſo iſt es rathſam, damit nicht ver-
ſchwenderiſch umzugehen, oder es blos zur Abwechſelung,
ſynonimiſch ſtatt anderer zu gebrauchen, ſondern ihm ſeine
eigenthuͤmliche Bedeutung ſorgfaͤltig aufzubehalten; weil
es ſonſt leichtlich geſchieht: daß, nachdem der Ausdruck
die Aufmerkſamkeit nicht beſonders beſchaͤftigt, ſondern
ſich unter dem Haufen anderer von ſehr abweichender Be-
deutung verliert, auch der Gedanke verlohren gehe, den
er allein haͤtte aufbehalten koͤnnen.
Plato bediente ſich des Ausdrucks Idee ſo: daß man
wol ſieht, er habe darunter etwas verſtanden, was nicht
allein niemals von den Sinnen entlehnt wird, ſondern
welches ſo gar die Begriffe des Verſtandes, mit denen ſich
Ariſtoteles beſchaͤftigte, weit uͤberſteigt, indem in der Er-
fahrung niemals etwas damit Congruirendes angetroffen
wird. Die Ideen ſind bey ihm Urbilder der Dinge ſelbſt,
und nicht blos Schluͤſſel zu moͤglichen Erfahrungen, wie die
Categorien. Nach ſeiner Meinung floſſen ſie aus der hoͤch-
ſten Vernunft aus, von da ſie der menſchlichen zu Theil
geworden, die ſich aber iezt nicht mehr in ihrem urſpruͤng-
lichen Zuſtande befindet, ſondern mit Muͤhe die alte, iezt
ſehr verdunkelte Ideen, durch Erinnerung (die Philoſo-
phie heißt) zuruͤkruffen muß. Ich will mich hier in keine
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/343>, abgerufen am 22.11.2024.
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