Aber bey syntheti[sch]en Urtheilen a priori fehlt dieses Hülfsmittel ganz und gar. Wenn ich ausser dem Begriffe A hinaus gehen soll, um einen andern B, als damit verbunden zu erkennen, was ist das, worauf ich mich stütze, und wodurch die Synthesis möglich wird, da ich hier den Vortheil nicht habe, mich im Felde der Er- fahrung darnach umzusehen. Man nehme den Satz: "Alles, was geschieht, hat seine Ursache." In dem Begriff von Etwas, das geschieht, denke ich zwar ein Daseyn, vor welchem eine Zeit vorhergehet etc. und daraus lassen sich analytische Urtheile ziehen. Aber der Begriff einer Ursache zeigt Etwas von dem, was geschieht, verschie- denes an, und ist in dieser lezteren Vorstellung gar nicht mit enthalten. Wie komme ich denn dazu, von dem, was überhaupt geschiehet, etwas davon ganz verschiedenes zu sagen, und den Begriff der Ursachen, ob zwar in ienen nicht enthalten, dennoch, als dazu gehörig, zu erkennen. Was ist hier das X, worauf sich der Verstand stüzt, wenn er ausser dem Begriff von A ein demselben fremdes Prä- dicat aufzufinden glaubt, das gleichwohl damit verknüpft sey. Erfahrung kan es nicht seyn, weil der angeführte Grundsaz nicht allein mit grösserer Allgemeinheit, als die Erfahrung verschaffen kan, sondern auch mit dem Aus- druck der Nothwendigkeit, mithin gänzlich a priori und aus blossen Begriffen diese zweyte Vorstellungen zu der ersteren hinzufügt. Nun beruhet auf solchen synthetischen d. i. Erweiterungs-Grundsätzen die ganze Endabsicht unse-
rer
A 5
Einleitung.
Aber bey ſyntheti[ſch]en Urtheilen a priori fehlt dieſes Huͤlfsmittel ganz und gar. Wenn ich auſſer dem Begriffe A hinaus gehen ſoll, um einen andern B, als damit verbunden zu erkennen, was iſt das, worauf ich mich ſtuͤtze, und wodurch die Syntheſis moͤglich wird, da ich hier den Vortheil nicht habe, mich im Felde der Er- fahrung darnach umzuſehen. Man nehme den Satz: „Alles, was geſchieht, hat ſeine Urſache.“ In dem Begriff von Etwas, das geſchieht, denke ich zwar ein Daſeyn, vor welchem eine Zeit vorhergehet ꝛc. und daraus laſſen ſich analytiſche Urtheile ziehen. Aber der Begriff einer Urſache zeigt Etwas von dem, was geſchieht, verſchie- denes an, und iſt in dieſer lezteren Vorſtellung gar nicht mit enthalten. Wie komme ich denn dazu, von dem, was uͤberhaupt geſchiehet, etwas davon ganz verſchiedenes zu ſagen, und den Begriff der Urſachen, ob zwar in ienen nicht enthalten, dennoch, als dazu gehoͤrig, zu erkennen. Was iſt hier das X, worauf ſich der Verſtand ſtuͤzt, wenn er auſſer dem Begriff von A ein demſelben fremdes Praͤ- dicat aufzufinden glaubt, das gleichwohl damit verknuͤpft ſey. Erfahrung kan es nicht ſeyn, weil der angefuͤhrte Grundſaz nicht allein mit groͤſſerer Allgemeinheit, als die Erfahrung verſchaffen kan, ſondern auch mit dem Aus- druck der Nothwendigkeit, mithin gaͤnzlich a priori und aus bloſſen Begriffen dieſe zweyte Vorſtellungen zu der erſteren hinzufuͤgt. Nun beruhet auf ſolchen ſynthetiſchen d. i. Erweiterungs-Grundſaͤtzen die ganze Endabſicht unſe-
rer
A 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0039"n="9"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/><p>Aber bey ſyntheti<supplied>ſch</supplied>en Urtheilen <hirendition="#aq">a priori</hi> fehlt<lb/>
dieſes Huͤlfsmittel ganz und gar. Wenn ich auſſer dem<lb/>
Begriffe <hirendition="#aq">A</hi> hinaus gehen ſoll, um einen andern <hirendition="#aq">B</hi>, als<lb/>
damit verbunden zu erkennen, was iſt das, worauf ich<lb/>
mich ſtuͤtze, und wodurch die Syntheſis moͤglich wird, da<lb/>
ich hier den Vortheil nicht habe, mich im Felde der Er-<lb/>
fahrung darnach umzuſehen. Man nehme den Satz:<lb/>„Alles, was geſchieht, hat ſeine Urſache.“ In dem Begriff<lb/>
von Etwas, das geſchieht, denke ich zwar ein Daſeyn,<lb/>
vor welchem eine Zeit vorhergehet ꝛc. und daraus laſſen<lb/>ſich analytiſche Urtheile ziehen. Aber der Begriff einer<lb/>
Urſache zeigt Etwas von dem, was geſchieht, verſchie-<lb/>
denes an, und iſt in dieſer lezteren Vorſtellung gar nicht<lb/>
mit enthalten. Wie komme ich denn dazu, von dem,<lb/>
was uͤberhaupt geſchiehet, etwas davon ganz verſchiedenes<lb/>
zu ſagen, und den Begriff der Urſachen, ob zwar in ienen<lb/>
nicht enthalten, dennoch, als dazu gehoͤrig, zu erkennen.<lb/>
Was iſt hier das <hirendition="#aq">X</hi>, worauf ſich der Verſtand ſtuͤzt, wenn<lb/>
er auſſer dem Begriff von <hirendition="#aq">A</hi> ein demſelben fremdes Praͤ-<lb/>
dicat aufzufinden glaubt, das gleichwohl damit verknuͤpft<lb/>ſey. Erfahrung kan es nicht ſeyn, weil der angefuͤhrte<lb/>
Grundſaz nicht allein mit groͤſſerer Allgemeinheit, als die<lb/>
Erfahrung verſchaffen kan, ſondern auch mit dem Aus-<lb/>
druck der Nothwendigkeit, mithin gaͤnzlich <hirendition="#aq">a priori</hi> und<lb/>
aus bloſſen Begriffen dieſe zweyte Vorſtellungen zu der<lb/>
erſteren hinzufuͤgt. Nun beruhet auf ſolchen ſynthetiſchen<lb/>
d. i. Erweiterungs-Grundſaͤtzen die ganze Endabſicht unſe-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">rer</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[9/0039]
Einleitung.
Aber bey ſynthetiſchen Urtheilen a priori fehlt
dieſes Huͤlfsmittel ganz und gar. Wenn ich auſſer dem
Begriffe A hinaus gehen ſoll, um einen andern B, als
damit verbunden zu erkennen, was iſt das, worauf ich
mich ſtuͤtze, und wodurch die Syntheſis moͤglich wird, da
ich hier den Vortheil nicht habe, mich im Felde der Er-
fahrung darnach umzuſehen. Man nehme den Satz:
„Alles, was geſchieht, hat ſeine Urſache.“ In dem Begriff
von Etwas, das geſchieht, denke ich zwar ein Daſeyn,
vor welchem eine Zeit vorhergehet ꝛc. und daraus laſſen
ſich analytiſche Urtheile ziehen. Aber der Begriff einer
Urſache zeigt Etwas von dem, was geſchieht, verſchie-
denes an, und iſt in dieſer lezteren Vorſtellung gar nicht
mit enthalten. Wie komme ich denn dazu, von dem,
was uͤberhaupt geſchiehet, etwas davon ganz verſchiedenes
zu ſagen, und den Begriff der Urſachen, ob zwar in ienen
nicht enthalten, dennoch, als dazu gehoͤrig, zu erkennen.
Was iſt hier das X, worauf ſich der Verſtand ſtuͤzt, wenn
er auſſer dem Begriff von A ein demſelben fremdes Praͤ-
dicat aufzufinden glaubt, das gleichwohl damit verknuͤpft
ſey. Erfahrung kan es nicht ſeyn, weil der angefuͤhrte
Grundſaz nicht allein mit groͤſſerer Allgemeinheit, als die
Erfahrung verſchaffen kan, ſondern auch mit dem Aus-
druck der Nothwendigkeit, mithin gaͤnzlich a priori und
aus bloſſen Begriffen dieſe zweyte Vorſtellungen zu der
erſteren hinzufuͤgt. Nun beruhet auf ſolchen ſynthetiſchen
d. i. Erweiterungs-Grundſaͤtzen die ganze Endabſicht unſe-
rer
A 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/39>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.