Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
denken, d. i. eben dasselbe was, als äussere Erscheinung,
ausgedehnt ist, innerlich (an sich selbst) ein Subiect sey,
was nicht zusammengesezt, sondern einfach ist und denkt.

Aber, ohne dergleichen Hypothesen zu erlauben, kan
man allgemein bemerken: daß, wenn ich unter Seele ein
denkend Wesen an sich selbst verstehe, die Frage an sich
schon unschicklich sey: ob sie nemlich mit der Materie (die
gar kein Ding an sich selbst, sondern nur eine Art Vorstel-
lungen in uns ist) von gleicher Art sey, oder nicht; denn
das versteht sich schon von selbst, daß ein Ding an sich
selbst von anderer Natur sey, als die Bestimmungen, die
blos seinen Zustand ausmachen.

Vergleichen wir aber das denkende Ich nicht mit der
Materie, sondern mit dem Intelligibelen, welches der
äusseren Erscheinung, die wir Materie nennen, zum Grunde
liegt: so können wir, weil wir vom lezteren gar nichts
wissen, auch nicht sagen: daß die Seele sich von diesem
irgend worin innerlich unterscheide.

So ist demnach das einfache Bewustseyn keine Kent-
niß der einfachen Natur unseres Subiects, in so fern, als
dieses dadurch von der Materie, als einem zusammenge-
sezten Wesen, unterschieden werden soll.

Wenn dieser Begriff aber dazu nicht taugt, ihn in
dem einzigen Falle, da er brauchbar ist, nemlich in der
Vergleichung meiner Selbst mit Gegenständen äusserer
Erfahrung, das Eigenthümliche und Unterscheidende seiner
Natur zu bestimmen, so mag man immer zu wissen vorge-

ben:

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
denken, d. i. eben daſſelbe was, als aͤuſſere Erſcheinung,
ausgedehnt iſt, innerlich (an ſich ſelbſt) ein Subiect ſey,
was nicht zuſammengeſezt, ſondern einfach iſt und denkt.

Aber, ohne dergleichen Hypotheſen zu erlauben, kan
man allgemein bemerken: daß, wenn ich unter Seele ein
denkend Weſen an ſich ſelbſt verſtehe, die Frage an ſich
ſchon unſchicklich ſey: ob ſie nemlich mit der Materie (die
gar kein Ding an ſich ſelbſt, ſondern nur eine Art Vorſtel-
lungen in uns iſt) von gleicher Art ſey, oder nicht; denn
das verſteht ſich ſchon von ſelbſt, daß ein Ding an ſich
ſelbſt von anderer Natur ſey, als die Beſtimmungen, die
blos ſeinen Zuſtand ausmachen.

Vergleichen wir aber das denkende Ich nicht mit der
Materie, ſondern mit dem Intelligibelen, welches der
aͤuſſeren Erſcheinung, die wir Materie nennen, zum Grunde
liegt: ſo koͤnnen wir, weil wir vom lezteren gar nichts
wiſſen, auch nicht ſagen: daß die Seele ſich von dieſem
irgend worin innerlich unterſcheide.

So iſt demnach das einfache Bewuſtſeyn keine Kent-
niß der einfachen Natur unſeres Subiects, in ſo fern, als
dieſes dadurch von der Materie, als einem zuſammenge-
ſezten Weſen, unterſchieden werden ſoll.

Wenn dieſer Begriff aber dazu nicht taugt, ihn in
dem einzigen Falle, da er brauchbar iſt, nemlich in der
Vergleichung meiner Selbſt mit Gegenſtaͤnden aͤuſſerer
Erfahrung, das Eigenthuͤmliche und Unterſcheidende ſeiner
Natur zu beſtimmen, ſo mag man immer zu wiſſen vorge-

ben:
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <p><pb facs="#f0390" n="360"/><fw place="top" type="header">Elementarl. <hi rendition="#aq">II.</hi> Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> Abth. <hi rendition="#aq">II.</hi> Buch.</fw><lb/>
denken, d. i. eben da&#x017F;&#x017F;elbe was, als a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere Er&#x017F;cheinung,<lb/>
ausgedehnt i&#x017F;t, innerlich (an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t) ein Subiect &#x017F;ey,<lb/>
was nicht zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezt, &#x017F;ondern einfach i&#x017F;t und denkt.</p><lb/>
                        <p>Aber, ohne dergleichen Hypothe&#x017F;en zu erlauben, kan<lb/>
man allgemein bemerken: daß, wenn ich unter Seele ein<lb/>
denkend We&#x017F;en an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;tehe, die Frage an &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;chon un&#x017F;chicklich &#x017F;ey: ob &#x017F;ie nemlich mit der Materie (die<lb/>
gar kein Ding an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;ondern nur eine Art Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen in uns i&#x017F;t) von gleicher Art &#x017F;ey, oder nicht; denn<lb/>
das ver&#x017F;teht &#x017F;ich &#x017F;chon von &#x017F;elb&#x017F;t, daß ein Ding an &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t von anderer Natur &#x017F;ey, als die Be&#x017F;timmungen, die<lb/>
blos &#x017F;einen Zu&#x017F;tand ausmachen.</p><lb/>
                        <p>Vergleichen wir aber das denkende Ich nicht mit der<lb/>
Materie, &#x017F;ondern mit dem Intelligibelen, welches der<lb/>
a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;eren Er&#x017F;cheinung, die wir Materie nennen, zum Grunde<lb/>
liegt: &#x017F;o ko&#x0364;nnen wir, weil wir vom lezteren gar nichts<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, auch nicht &#x017F;agen: daß die Seele &#x017F;ich von die&#x017F;em<lb/>
irgend worin innerlich unter&#x017F;cheide.</p><lb/>
                        <p>So i&#x017F;t demnach das einfache Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn keine Kent-<lb/>
niß der einfachen Natur un&#x017F;eres Subiects, in &#x017F;o fern, als<lb/>
die&#x017F;es dadurch von der Materie, als einem zu&#x017F;ammenge-<lb/>
&#x017F;ezten We&#x017F;en, unter&#x017F;chieden werden &#x017F;oll.</p><lb/>
                        <p>Wenn die&#x017F;er Begriff aber dazu nicht taugt, ihn in<lb/>
dem einzigen Falle, da er brauchbar i&#x017F;t, nemlich in der<lb/>
Vergleichung meiner Selb&#x017F;t mit Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erer<lb/>
Erfahrung, das Eigenthu&#x0364;mliche und Unter&#x017F;cheidende &#x017F;einer<lb/>
Natur zu be&#x017F;timmen, &#x017F;o mag man immer zu wi&#x017F;&#x017F;en vorge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ben:</fw><lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[360/0390] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. denken, d. i. eben daſſelbe was, als aͤuſſere Erſcheinung, ausgedehnt iſt, innerlich (an ſich ſelbſt) ein Subiect ſey, was nicht zuſammengeſezt, ſondern einfach iſt und denkt. Aber, ohne dergleichen Hypotheſen zu erlauben, kan man allgemein bemerken: daß, wenn ich unter Seele ein denkend Weſen an ſich ſelbſt verſtehe, die Frage an ſich ſchon unſchicklich ſey: ob ſie nemlich mit der Materie (die gar kein Ding an ſich ſelbſt, ſondern nur eine Art Vorſtel- lungen in uns iſt) von gleicher Art ſey, oder nicht; denn das verſteht ſich ſchon von ſelbſt, daß ein Ding an ſich ſelbſt von anderer Natur ſey, als die Beſtimmungen, die blos ſeinen Zuſtand ausmachen. Vergleichen wir aber das denkende Ich nicht mit der Materie, ſondern mit dem Intelligibelen, welches der aͤuſſeren Erſcheinung, die wir Materie nennen, zum Grunde liegt: ſo koͤnnen wir, weil wir vom lezteren gar nichts wiſſen, auch nicht ſagen: daß die Seele ſich von dieſem irgend worin innerlich unterſcheide. So iſt demnach das einfache Bewuſtſeyn keine Kent- niß der einfachen Natur unſeres Subiects, in ſo fern, als dieſes dadurch von der Materie, als einem zuſammenge- ſezten Weſen, unterſchieden werden ſoll. Wenn dieſer Begriff aber dazu nicht taugt, ihn in dem einzigen Falle, da er brauchbar iſt, nemlich in der Vergleichung meiner Selbſt mit Gegenſtaͤnden aͤuſſerer Erfahrung, das Eigenthuͤmliche und Unterſcheidende ſeiner Natur zu beſtimmen, ſo mag man immer zu wiſſen vorge- ben:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/390
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/390>, abgerufen am 22.11.2024.