zum Grunde liegt, ist weder Materie, noch ein denkend Wesen an sich selbst, sondern ein uns unbekanter Grund der Erscheinungen, die den empirischen Begriff von der ersten sowol als zweiten Art an die Hand geben.
Wenn wir also, wie uns denn die gegenwärti- ge Critik augenscheinlich dazu nöthigt, der oben festgesez- ten Regel treu bleiben, unsere Fragen nicht weiter zu trei- ben, als nur so weit mögliche Erfahrung uns das Obie[c]t derselben an die Hand geben kan: so werden wir es uns nicht einmal einfallen lassen, über die Gegenstände unserer Sinne nach demienigen, was sie an sich selbst, d. i. ohne alle Beziehung auf die Sinne seyn mögen, Erkundigung anzustellen. Wenn aber der Psycholog Erscheinungen vor Dinge an sich selbst nimt, so mag er als Materialist einzig und allein Materie, oder als Spiritualist blos denkende Wesen (nemlich nach der Form unsers innern Sinnes) oder als Dualist beide, als vor sich existirende Dinge, in seinen Lehrbegriff aufnehmen, so ist er doch immer durch Mißverstand hingehalten über die Art zu vernünfteln, wie dasienige an sich selbst existiren möge, was doch kein Ding an sich, sondern nur die Erscheinung eines Dinges über- haupt ist.
Be-
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
zum Grunde liegt, iſt weder Materie, noch ein denkend Weſen an ſich ſelbſt, ſondern ein uns unbekanter Grund der Erſcheinungen, die den empiriſchen Begriff von der erſten ſowol als zweiten Art an die Hand geben.
Wenn wir alſo, wie uns denn die gegenwaͤrti- ge Critik augenſcheinlich dazu noͤthigt, der oben feſtgeſez- ten Regel treu bleiben, unſere Fragen nicht weiter zu trei- ben, als nur ſo weit moͤgliche Erfahrung uns das Obie[c]t derſelben an die Hand geben kan: ſo werden wir es uns nicht einmal einfallen laſſen, uͤber die Gegenſtaͤnde unſerer Sinne nach demienigen, was ſie an ſich ſelbſt, d. i. ohne alle Beziehung auf die Sinne ſeyn moͤgen, Erkundigung anzuſtellen. Wenn aber der Pſycholog Erſcheinungen vor Dinge an ſich ſelbſt nimt, ſo mag er als Materialiſt einzig und allein Materie, oder als Spiritualiſt blos denkende Weſen (nemlich nach der Form unſers innern Sinnes) oder als Dualiſt beide, als vor ſich exiſtirende Dinge, in ſeinen Lehrbegriff aufnehmen, ſo iſt er doch immer durch Mißverſtand hingehalten uͤber die Art zu vernuͤnfteln, wie dasienige an ſich ſelbſt exiſtiren moͤge, was doch kein Ding an ſich, ſondern nur die Erſcheinung eines Dinges uͤber- haupt iſt.
Be-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><p><pbfacs="#f0410"n="380"/><fwplace="top"type="header">Elementarl. <hirendition="#aq">II.</hi> Th. <hirendition="#aq">II.</hi> Abth. <hirendition="#aq">II.</hi> Buch.</fw><lb/>
zum Grunde liegt, iſt weder Materie, noch ein denkend<lb/>
Weſen an ſich ſelbſt, ſondern ein uns unbekanter Grund<lb/>
der Erſcheinungen, die den empiriſchen Begriff von der<lb/>
erſten ſowol als zweiten Art an die Hand geben.</p><lb/><p>Wenn wir alſo, wie uns denn die gegenwaͤrti-<lb/>
ge Critik augenſcheinlich dazu noͤthigt, der oben feſtgeſez-<lb/>
ten Regel treu bleiben, unſere Fragen nicht weiter zu trei-<lb/>
ben, als nur ſo weit moͤgliche Erfahrung uns das Obie<supplied>c</supplied>t<lb/>
derſelben an die Hand geben kan: ſo werden wir es uns<lb/>
nicht einmal einfallen laſſen, uͤber die Gegenſtaͤnde unſerer<lb/>
Sinne nach demienigen, was ſie an ſich ſelbſt, d. i. ohne<lb/>
alle Beziehung auf die Sinne ſeyn moͤgen, Erkundigung<lb/>
anzuſtellen. Wenn aber der Pſycholog Erſcheinungen vor<lb/>
Dinge an ſich ſelbſt nimt, ſo mag er als Materialiſt einzig<lb/>
und allein Materie, oder als Spiritualiſt blos denkende<lb/>
Weſen (nemlich nach der Form unſers innern Sinnes)<lb/>
oder als Dualiſt beide, als vor ſich exiſtirende Dinge, in<lb/>ſeinen Lehrbegriff aufnehmen, ſo iſt er doch immer durch<lb/>
Mißverſtand hingehalten uͤber die Art zu vernuͤnfteln, wie<lb/>
dasienige an ſich ſelbſt exiſtiren moͤge, was doch kein Ding<lb/>
an ſich, ſondern nur die Erſcheinung eines Dinges uͤber-<lb/>
haupt iſt.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><fwplace="bottom"type="catch">Be-</fw><lb/></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[380/0410]
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
zum Grunde liegt, iſt weder Materie, noch ein denkend
Weſen an ſich ſelbſt, ſondern ein uns unbekanter Grund
der Erſcheinungen, die den empiriſchen Begriff von der
erſten ſowol als zweiten Art an die Hand geben.
Wenn wir alſo, wie uns denn die gegenwaͤrti-
ge Critik augenſcheinlich dazu noͤthigt, der oben feſtgeſez-
ten Regel treu bleiben, unſere Fragen nicht weiter zu trei-
ben, als nur ſo weit moͤgliche Erfahrung uns das Obiect
derſelben an die Hand geben kan: ſo werden wir es uns
nicht einmal einfallen laſſen, uͤber die Gegenſtaͤnde unſerer
Sinne nach demienigen, was ſie an ſich ſelbſt, d. i. ohne
alle Beziehung auf die Sinne ſeyn moͤgen, Erkundigung
anzuſtellen. Wenn aber der Pſycholog Erſcheinungen vor
Dinge an ſich ſelbſt nimt, ſo mag er als Materialiſt einzig
und allein Materie, oder als Spiritualiſt blos denkende
Weſen (nemlich nach der Form unſers innern Sinnes)
oder als Dualiſt beide, als vor ſich exiſtirende Dinge, in
ſeinen Lehrbegriff aufnehmen, ſo iſt er doch immer durch
Mißverſtand hingehalten uͤber die Art zu vernuͤnfteln, wie
dasienige an ſich ſelbſt exiſtiren moͤge, was doch kein Ding
an ſich, ſondern nur die Erſcheinung eines Dinges uͤber-
haupt iſt.
Be-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/410>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.