der Begriff der Substanz in dem Paralogismus der Sim- plicität ein reiner intellectueller Begriff, der ohne Bedin- gungen der sinnlichen Anschauung blos von transscenden- talen, d. i. von gar keinem Gebrauch ist. Im Untersatze aber ist eben derselbe Begriff auf den Gegenstand aller in- neren Erfahrung angewandt, ohne doch die Bedingung seiner Anwendung in concreto, nemlich die Beharrlich- keit desselben, voraus festzusetzen und zum Grunde zu le- gen, und daher ein empirischer, obzwar hier unzulässiger Gebrauch davon gemacht worden.
Um endlich den systematischen Zusammenhang aller dieser dialectischen Behauptungen, in einer vernünfteln- den Seelenlehre, in einem Zusammenhange der reinen Vernunft, mithin die Vollständigkeit derselben zu zeigen, so merke man: daß die Apperception durch alle Classen der Categorien, aber nur auf dieienige Verstandesbegriffe durchgeführt werde, welche in ieder derselben den übrigen zum Grunde der Einheit in einer möglichen Wahrnehmung liegen, folglich: Subsistenz, Realität, Einheit (nicht Vielheit) und Existenz, nur daß die Vernunft sie hier alle als Bedingungen der Möglichkeit eines denkenden We- sens, die selbst unbedingt sind, vorstellt. Also erkent die Seele an sich selbst
Die
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I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
der Begriff der Subſtanz in dem Paralogismus der Sim- plicitaͤt ein reiner intellectueller Begriff, der ohne Bedin- gungen der ſinnlichen Anſchauung blos von transſcenden- talen, d. i. von gar keinem Gebrauch iſt. Im Unterſatze aber iſt eben derſelbe Begriff auf den Gegenſtand aller in- neren Erfahrung angewandt, ohne doch die Bedingung ſeiner Anwendung in concreto, nemlich die Beharrlich- keit deſſelben, voraus feſtzuſetzen und zum Grunde zu le- gen, und daher ein empiriſcher, obzwar hier unzulaͤſſiger Gebrauch davon gemacht worden.
Um endlich den ſyſtematiſchen Zuſammenhang aller dieſer dialectiſchen Behauptungen, in einer vernuͤnfteln- den Seelenlehre, in einem Zuſammenhange der reinen Vernunft, mithin die Vollſtaͤndigkeit derſelben zu zeigen, ſo merke man: daß die Apperception durch alle Claſſen der Categorien, aber nur auf dieienige Verſtandesbegriffe durchgefuͤhrt werde, welche in ieder derſelben den uͤbrigen zum Grunde der Einheit in einer moͤglichen Wahrnehmung liegen, folglich: Subſiſtenz, Realitaͤt, Einheit (nicht Vielheit) und Exiſtenz, nur daß die Vernunft ſie hier alle als Bedingungen der Moͤglichkeit eines denkenden We- ſens, die ſelbſt unbedingt ſind, vorſtellt. Alſo erkent die Seele an ſich ſelbſt
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I. Hauptſt. V. d. Paralogismen d. r. Vernunft.
der Begriff der Subſtanz in dem Paralogismus der Sim-
plicitaͤt ein reiner intellectueller Begriff, der ohne Bedin-
gungen der ſinnlichen Anſchauung blos von transſcenden-
talen, d. i. von gar keinem Gebrauch iſt. Im Unterſatze
aber iſt eben derſelbe Begriff auf den Gegenſtand aller in-
neren Erfahrung angewandt, ohne doch die Bedingung
ſeiner Anwendung in concreto, nemlich die Beharrlich-
keit deſſelben, voraus feſtzuſetzen und zum Grunde zu le-
gen, und daher ein empiriſcher, obzwar hier unzulaͤſſiger
Gebrauch davon gemacht worden.
Um endlich den ſyſtematiſchen Zuſammenhang aller
dieſer dialectiſchen Behauptungen, in einer vernuͤnfteln-
den Seelenlehre, in einem Zuſammenhange der reinen
Vernunft, mithin die Vollſtaͤndigkeit derſelben zu zeigen,
ſo merke man: daß die Apperception durch alle Claſſen der
Categorien, aber nur auf dieienige Verſtandesbegriffe
durchgefuͤhrt werde, welche in ieder derſelben den uͤbrigen
zum Grunde der Einheit in einer moͤglichen Wahrnehmung
liegen, folglich: Subſiſtenz, Realitaͤt, Einheit (nicht
Vielheit) und Exiſtenz, nur daß die Vernunft ſie hier
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ſens, die ſelbſt unbedingt ſind, vorſtellt. Alſo erkent
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/433>, abgerufen am 22.11.2024.
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