ihrer rechtlichen Ansprüche enthalten, vorgestellt und, wie es einer Transscendental-Philosophie geziemt, diese von allem Empirischen entkleidet, obgleich die ganze Pracht der Vernunftbehauptungen nur in Verbindung mi[t] demselben hervorleuchten kan. In dieser Anwendung aber, und der fortschreitenden Erweiterung des Vernunftgebrauchs, indem sie von dem Felde der Erfahrungen anhebt, und sich bis zu diesen erhabenen Ideen almählig hinaufschwingt, zeigt die Philosophie eine Würde, welche, wenn sie ihre Anmassungen nur behaupten könte, den Werth aller ande- ren menschlichen Wissenschaft weit unter sich lassen würde, indem sie die Grundlage zu unseren grössesten Erwartungen und Aussichten auf die lezten Zwecke, in welchen alle Ver- nunftbemühungen sich endlich vereinigen müssen, verheißt. Die Fragen: ob die Welt einen Anfang und irgend eine Gränze ihrer Ausdehnung im Raume habe, ob es irgend- wo und vielleicht in meinem denkenden Selbst eine untheil- bare und unzerstörliche Einheit, oder nichts als das Theil- bare und Vergängliche gebe, ob ich in meinen Handlungen frey, oder, wie andere Wesen, an dem Faden der Natur und des Schicksals geleitet sey, ob es endlich eine oberste Weltursache gebe, oder die Naturdinge und deren Ord- nung den lezten Gegenstand ausmachen, bey dem wir in allen unseren Betrachtungen stehen bleiben müssen: das sind Fragen, um deren Auflösung der Mathematiker gerne seine ganze Wissenschaft dahin gäbe; denn diese kan ihm doch in Ansehung der höchsten und angelegensten Zwecke der
Mensch-
III. Abſch. Von dem Intereſſe der Vernunft. ꝛc.
ihrer rechtlichen Anſpruͤche enthalten, vorgeſtellt und, wie es einer Transſcendental-Philoſophie geziemt, dieſe von allem Empiriſchen entkleidet, obgleich die ganze Pracht der Vernunftbehauptungen nur in Verbindung mi[t] demſelben hervorleuchten kan. In dieſer Anwendung aber, und der fortſchreitenden Erweiterung des Vernunftgebrauchs, indem ſie von dem Felde der Erfahrungen anhebt, und ſich bis zu dieſen erhabenen Ideen almaͤhlig hinaufſchwingt, zeigt die Philoſophie eine Wuͤrde, welche, wenn ſie ihre Anmaſſungen nur behaupten koͤnte, den Werth aller ande- ren menſchlichen Wiſſenſchaft weit unter ſich laſſen wuͤrde, indem ſie die Grundlage zu unſeren groͤſſeſten Erwartungen und Ausſichten auf die lezten Zwecke, in welchen alle Ver- nunftbemuͤhungen ſich endlich vereinigen muͤſſen, verheißt. Die Fragen: ob die Welt einen Anfang und irgend eine Graͤnze ihrer Ausdehnung im Raume habe, ob es irgend- wo und vielleicht in meinem denkenden Selbſt eine untheil- bare und unzerſtoͤrliche Einheit, oder nichts als das Theil- bare und Vergaͤngliche gebe, ob ich in meinen Handlungen frey, oder, wie andere Weſen, an dem Faden der Natur und des Schickſals geleitet ſey, ob es endlich eine oberſte Welturſache gebe, oder die Naturdinge und deren Ord- nung den lezten Gegenſtand ausmachen, bey dem wir in allen unſeren Betrachtungen ſtehen bleiben muͤſſen: das ſind Fragen, um deren Aufloͤſung der Mathematiker gerne ſeine ganze Wiſſenſchaft dahin gaͤbe; denn dieſe kan ihm doch in Anſehung der hoͤchſten und angelegenſten Zwecke der
Menſch-
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III. Abſch. Von dem Intereſſe der Vernunft. ꝛc.
ihrer rechtlichen Anſpruͤche enthalten, vorgeſtellt und, wie
es einer Transſcendental-Philoſophie geziemt, dieſe von
allem Empiriſchen entkleidet, obgleich die ganze Pracht der
Vernunftbehauptungen nur in Verbindung mit demſelben
hervorleuchten kan. In dieſer Anwendung aber, und
der fortſchreitenden Erweiterung des Vernunftgebrauchs,
indem ſie von dem Felde der Erfahrungen anhebt, und
ſich bis zu dieſen erhabenen Ideen almaͤhlig hinaufſchwingt,
zeigt die Philoſophie eine Wuͤrde, welche, wenn ſie ihre
Anmaſſungen nur behaupten koͤnte, den Werth aller ande-
ren menſchlichen Wiſſenſchaft weit unter ſich laſſen wuͤrde,
indem ſie die Grundlage zu unſeren groͤſſeſten Erwartungen
und Ausſichten auf die lezten Zwecke, in welchen alle Ver-
nunftbemuͤhungen ſich endlich vereinigen muͤſſen, verheißt.
Die Fragen: ob die Welt einen Anfang und irgend eine
Graͤnze ihrer Ausdehnung im Raume habe, ob es irgend-
wo und vielleicht in meinem denkenden Selbſt eine untheil-
bare und unzerſtoͤrliche Einheit, oder nichts als das Theil-
bare und Vergaͤngliche gebe, ob ich in meinen Handlungen
frey, oder, wie andere Weſen, an dem Faden der Natur
und des Schickſals geleitet ſey, ob es endlich eine oberſte
Welturſache gebe, oder die Naturdinge und deren Ord-
nung den lezten Gegenſtand ausmachen, bey dem wir in
allen unſeren Betrachtungen ſtehen bleiben muͤſſen: das
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doch in Anſehung der hoͤchſten und angelegenſten Zwecke der
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/493>, abgerufen am 22.11.2024.
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