Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.Die Transscendentale Aesthetik. Farbe etc. absondere, so bleibt mir aus dieser empirischenAnschauung noch etwas übrig, nemlich Ausdehnung und Gestalt. Diese gehören zur reinen Anschauung, die a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung, als eine blosse Form der Sinnlichkeit im Gemüthe statt findet. Eine Wissenschaft von allen Principien der Sinnlich- In *) Die Deutschen sind die einzige, welche sich iezt des Worts Aesthetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andre Critik des Geschmacks heissen. Es liegt hier eine verfehlte Hoffnung zum Grunde, die der vortrefliche Ana- lyst Baumgarten faßte, die critische Beurtheilung des Schönen unter Vernunftprincipien zu bringen, und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben. Allein diese Bemühung ist vergeblich. Denn gedachte Regeln, oder Criterien sind ihren Quellen. nach blos empirisch, und können also niemals zu Gesetzen a priori dienen, wor- nach sich unser Geschmacksurtheil richten müßte, vielmehr macht das letztere den eigentlichen Probierstein der Richtig- keit der ersteren aus. Um deswillen ist es rathsam, diese Benennung wiederum eingehen zu lassen, und sie derie- nigen Lehre aufzubehalten, die wahre Wissenschaft ist, wodurch man auch der Sprache und dem Sinne der Al- ten näher treten würde, bey denen die Eintheilung der Erkentniß in aitheta kai noeta sehr berühmt war. B 3
Die Transſcendentale Aeſthetik. Farbe ꝛc. abſondere, ſo bleibt mir aus dieſer empiriſchenAnſchauung noch etwas uͤbrig, nemlich Ausdehnung und Geſtalt. Dieſe gehoͤren zur reinen Anſchauung, die a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenſtand der Sinne oder Empfindung, als eine bloſſe Form der Sinnlichkeit im Gemuͤthe ſtatt findet. Eine Wiſſenſchaft von allen Principien der Sinnlich- In *) Die Deutſchen ſind die einzige, welche ſich iezt des Worts Aeſthetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andre Critik des Geſchmacks heiſſen. Es liegt hier eine verfehlte Hoffnung zum Grunde, die der vortrefliche Ana- lyſt Baumgarten faßte, die critiſche Beurtheilung des Schoͤnen unter Vernunftprincipien zu bringen, und die Regeln derſelben zur Wiſſenſchaft zu erheben. Allein dieſe Bemuͤhung iſt vergeblich. Denn gedachte Regeln, oder Criterien ſind ihren Quellen. nach blos empiriſch, und koͤnnen alſo niemals zu Geſetzen a priori dienen, wor- nach ſich unſer Geſchmacksurtheil richten muͤßte, vielmehr macht das letztere den eigentlichen Probierſtein der Richtig- keit der erſteren aus. Um deswillen iſt es rathſam, dieſe Benennung wiederum eingehen zu laſſen, und ſie derie- nigen Lehre aufzubehalten, die wahre Wiſſenſchaft iſt, wodurch man auch der Sprache und dem Sinne der Al- ten naͤher treten wuͤrde, bey denen die Eintheilung der Erkentniß in ἀιϑητὰ καὶ νόητα ſehr beruͤhmt war. B 3
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Die Transſcendentale Aeſthetik.
Farbe ꝛc. abſondere, ſo bleibt mir aus dieſer empiriſchen
Anſchauung noch etwas uͤbrig, nemlich Ausdehnung und
Geſtalt. Dieſe gehoͤren zur reinen Anſchauung, die
a priori, auch ohne einen wirklichen Gegenſtand der Sinne
oder Empfindung, als eine bloſſe Form der Sinnlichkeit
im Gemuͤthe ſtatt findet.
Eine Wiſſenſchaft von allen Principien der Sinnlich-
keit a priori nenne ich die transſcendentale Aeſthetik. *)
Es muß alſo eine ſolche Wiſſenſchaft geben, die den erſten
Theil der transſcendentalen Elementar-Lehre ausmacht, im
Gegenſatz mit derienigen, welche die Principien des reinen
Denkens enthaͤlt, und transſcendentale Logik genannt
wird.
In
*) Die Deutſchen ſind die einzige, welche ſich iezt des Worts
Aeſthetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was
andre Critik des Geſchmacks heiſſen. Es liegt hier eine
verfehlte Hoffnung zum Grunde, die der vortrefliche Ana-
lyſt Baumgarten faßte, die critiſche Beurtheilung des
Schoͤnen unter Vernunftprincipien zu bringen, und die
Regeln derſelben zur Wiſſenſchaft zu erheben. Allein
dieſe Bemuͤhung iſt vergeblich. Denn gedachte Regeln,
oder Criterien ſind ihren Quellen. nach blos empiriſch,
und koͤnnen alſo niemals zu Geſetzen a priori dienen, wor-
nach ſich unſer Geſchmacksurtheil richten muͤßte, vielmehr
macht das letztere den eigentlichen Probierſtein der Richtig-
keit der erſteren aus. Um deswillen iſt es rathſam, dieſe
Benennung wiederum eingehen zu laſſen, und ſie derie-
nigen Lehre aufzubehalten, die wahre Wiſſenſchaft iſt,
wodurch man auch der Sprache und dem Sinne der Al-
ten naͤher treten wuͤrde, bey denen die Eintheilung der
Erkentniß in ἀιϑητὰ καὶ νόητα ſehr beruͤhmt war.
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