Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
V. Absch. Sceptische Vorstellung aller cosmol. etc.
Der
Antinomie der reinen Vernunft
Fünfter Abschnitt.
Sceptische Vorstellung der cosmologischen

Fragen durch alle vier transscendentale
Ideen.

Wir würden von der Foderung gern abstehen, unsere
Fragen dogmatisch beantwortet zu sehen, wenn
wir schon zum voraus begriffen: die Antwort möchte
ausfallen, wie sie wolte, so würde sie unsere Unwissenheit
nur noch vermehren und uns aus einer Unbegreiflichkeit in
eine andere, aus einer Dunkelheit in eine noch grössere
und vielleicht gar in Widersprüche stürzen. Wenn unsere
Frage blos auf Beiahung oder Berneinung gestellt ist, so
ist es klüglich gehandelt, die vermuthliche Gründe der
Beantwortung vor der Hand dahin gestellt seyn zu lassen
und zuvörderst in Erwägung zu ziehen, was man denn
gewinnen würde, wenn die Antwort auf die eine und was,
wenn sie auf der Gegenseite ausfiele. Trift es sich nun:
daß in beiden Fällen lauter Sinnleeres (Nonsens) her-
auskömt, so haben wir eine gegründete Auffoderung unsere
Frage selbst critisch zu untersuchen, und zu sehen: ob sie
nicht selbst auf einer grundlosen Voraussetzung beruhe und
mir einer Idee spiele, die ihre Falschheit, besser in der
Anwendung und durch ihre Folgen, als in der abgeson-
derten Vorstellung verräth. Das ist der grosse Nutzen,

den
H h 3
V. Abſch. Sceptiſche Vorſtellung aller cosmol. ꝛc.
Der
Antinomie der reinen Vernunft
Fuͤnfter Abſchnitt.
Sceptiſche Vorſtellung der cosmologiſchen

Fragen durch alle vier transſcendentale
Ideen.

Wir wuͤrden von der Foderung gern abſtehen, unſere
Fragen dogmatiſch beantwortet zu ſehen, wenn
wir ſchon zum voraus begriffen: die Antwort moͤchte
ausfallen, wie ſie wolte, ſo wuͤrde ſie unſere Unwiſſenheit
nur noch vermehren und uns aus einer Unbegreiflichkeit in
eine andere, aus einer Dunkelheit in eine noch groͤſſere
und vielleicht gar in Widerſpruͤche ſtuͤrzen. Wenn unſere
Frage blos auf Beiahung oder Berneinung geſtellt iſt, ſo
iſt es kluͤglich gehandelt, die vermuthliche Gruͤnde der
Beantwortung vor der Hand dahin geſtellt ſeyn zu laſſen
und zuvoͤrderſt in Erwaͤgung zu ziehen, was man denn
gewinnen wuͤrde, wenn die Antwort auf die eine und was,
wenn ſie auf der Gegenſeite ausfiele. Trift es ſich nun:
daß in beiden Faͤllen lauter Sinnleeres (Nonſens) her-
auskoͤmt, ſo haben wir eine gegruͤndete Auffoderung unſere
Frage ſelbſt critiſch zu unterſuchen, und zu ſehen: ob ſie
nicht ſelbſt auf einer grundloſen Vorausſetzung beruhe und
mir einer Idee ſpiele, die ihre Falſchheit, beſſer in der
Anwendung und durch ihre Folgen, als in der abgeſon-
derten Vorſtellung verraͤth. Das iſt der groſſe Nutzen,

den
H h 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0515" n="485"/>
                    <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Ab&#x017F;ch. Scepti&#x017F;che Vor&#x017F;tellung aller cosmol. &#xA75B;c.</fw><lb/>
                    <div n="8">
                      <head><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Der</hi><lb/>
Antinomie der reinen Vernunft<lb/>
Fu&#x0364;nfter Ab&#x017F;chnitt.<lb/>
Scepti&#x017F;che Vor&#x017F;tellung der cosmologi&#x017F;chen</hi><lb/>
Fragen durch alle vier trans&#x017F;cendentale<lb/><hi rendition="#g">Ideen</hi>.</head><lb/>
                      <p><hi rendition="#in">W</hi>ir wu&#x0364;rden von der Foderung gern ab&#x017F;tehen, un&#x017F;ere<lb/>
Fragen dogmati&#x017F;ch beantwortet zu &#x017F;ehen, wenn<lb/>
wir &#x017F;chon zum voraus begriffen: die Antwort mo&#x0364;chte<lb/>
ausfallen, wie &#x017F;ie wolte, &#x017F;o wu&#x0364;rde &#x017F;ie un&#x017F;ere Unwi&#x017F;&#x017F;enheit<lb/>
nur noch vermehren und uns aus einer Unbegreiflichkeit in<lb/>
eine andere, aus einer Dunkelheit in eine noch gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere<lb/>
und vielleicht gar in Wider&#x017F;pru&#x0364;che &#x017F;tu&#x0364;rzen. Wenn un&#x017F;ere<lb/>
Frage blos auf Beiahung oder Berneinung ge&#x017F;tellt i&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t es klu&#x0364;glich gehandelt, die vermuthliche Gru&#x0364;nde der<lb/>
Beantwortung vor der Hand dahin ge&#x017F;tellt &#x017F;eyn zu la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und zuvo&#x0364;rder&#x017F;t in Erwa&#x0364;gung zu ziehen, was man denn<lb/>
gewinnen wu&#x0364;rde, wenn die Antwort auf die eine und was,<lb/>
wenn &#x017F;ie auf der Gegen&#x017F;eite ausfiele. Trift es &#x017F;ich nun:<lb/>
daß in beiden Fa&#x0364;llen lauter Sinnleeres (Non&#x017F;ens) her-<lb/>
ausko&#x0364;mt, &#x017F;o haben wir eine gegru&#x0364;ndete Auffoderung un&#x017F;ere<lb/>
Frage &#x017F;elb&#x017F;t criti&#x017F;ch zu unter&#x017F;uchen, und zu &#x017F;ehen: ob &#x017F;ie<lb/>
nicht &#x017F;elb&#x017F;t auf einer grundlo&#x017F;en Voraus&#x017F;etzung beruhe und<lb/>
mir einer Idee &#x017F;piele, die ihre Fal&#x017F;chheit, be&#x017F;&#x017F;er in der<lb/>
Anwendung und durch ihre Folgen, als in der abge&#x017F;on-<lb/>
derten Vor&#x017F;tellung verra&#x0364;th. Das i&#x017F;t der gro&#x017F;&#x017F;e Nutzen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H h 3</fw><fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[485/0515] V. Abſch. Sceptiſche Vorſtellung aller cosmol. ꝛc. Der Antinomie der reinen Vernunft Fuͤnfter Abſchnitt. Sceptiſche Vorſtellung der cosmologiſchen Fragen durch alle vier transſcendentale Ideen. Wir wuͤrden von der Foderung gern abſtehen, unſere Fragen dogmatiſch beantwortet zu ſehen, wenn wir ſchon zum voraus begriffen: die Antwort moͤchte ausfallen, wie ſie wolte, ſo wuͤrde ſie unſere Unwiſſenheit nur noch vermehren und uns aus einer Unbegreiflichkeit in eine andere, aus einer Dunkelheit in eine noch groͤſſere und vielleicht gar in Widerſpruͤche ſtuͤrzen. Wenn unſere Frage blos auf Beiahung oder Berneinung geſtellt iſt, ſo iſt es kluͤglich gehandelt, die vermuthliche Gruͤnde der Beantwortung vor der Hand dahin geſtellt ſeyn zu laſſen und zuvoͤrderſt in Erwaͤgung zu ziehen, was man denn gewinnen wuͤrde, wenn die Antwort auf die eine und was, wenn ſie auf der Gegenſeite ausfiele. Trift es ſich nun: daß in beiden Faͤllen lauter Sinnleeres (Nonſens) her- auskoͤmt, ſo haben wir eine gegruͤndete Auffoderung unſere Frage ſelbſt critiſch zu unterſuchen, und zu ſehen: ob ſie nicht ſelbſt auf einer grundloſen Vorausſetzung beruhe und mir einer Idee ſpiele, die ihre Falſchheit, beſſer in der Anwendung und durch ihre Folgen, als in der abgeſon- derten Vorſtellung verraͤth. Das iſt der groſſe Nutzen, den H h 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/515
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/515>, abgerufen am 22.11.2024.